Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Hêvî – die grüne Hoffnung
Die Idee der Gewächshäuser für jesidische Flüchtlinge im Nordirak macht Schule – 20 weitere Häuser sind entstanden, in denen eine bäuerliche Genossenschaft Paprika, Gurken und Okraschoten anbauen soll
Wenn Khalaf Faruk Besucher durch sein Gewächshaus im Camp Sheikhan im Nordirak führt, dann ist dem 38jährigen Familienvater der Stolz deutlich anzumerken. Denn Faruk hat mit Gurken, Paprika und Okraschoten, die er anbaut, Erfolg. Fünf Gewächshäuser sind durch die Spenden der Leser der „Schwäbischen Zeitung“seit 2016 in Sheikhan finanziert worden, jedes von ihnen bietet zwei Familien Arbeit und ein eigenes Einkommen. „Wir danken den deutschen Freunden“, sagt Faruk, „durch eure Hilfe kann ich die Familie ernähren und sogar noch Geld sparen.“
Faruk, von Beruf Landwirt, musste im Jahr 2014 zusammen mit seiner Frau Hadia und den vier Kindern vor der Terrormiliz „Islamischer Staat“fliehen wie Tausende weiterer Jesiden. Er ließ im heimischen ShingalGebirge sein Haus, seinen Garten und seine Äcker zurück. In Sheikhan gehen die Kinder zur Schule. An die dauerhafte Rückkehr ins Shingal-Gebirge ist nicht zu denken, dort haben verschiedene Milizen das Sagen, immer wieder bombardiert die türkische Luftwaffe das Gebiet im Kampf gegen angebliche Terroristen.
Aber eines Tages, da ist sich Faruk sicher, wird er zurückkehren und wieder auf eigener Scholle arbeiten. Bis dahin möchte er in einem der Gewächshäuser, auf denen große Schilder von der Weihnachtsspendenaktion „Helfen bringt Freude“und von der Unterstützung künden, seinen Lebensunterhalt verdienen. Er beobachtet genau, was der Markt braucht: „Im Jahr 2018 haben alle Kollegen Gurken angebaut, der Preis pro Kilo sank auf umgerechnet 15 Cent.“Damit sei kein Gewinn zu machen: „Ich habe Paprika angebaut und 75 Cent erlöst.“In diesem Jahr war es umgekehrt, die Konkurrenz bot zu viel Paprika an: „Da habe ich Gurken angebaut.“Zwei Millionen Dinar Gewinn, umgerechnet 15 000 Euro, hat Faruk durch sein kluges Handeln verbucht: „Das Geld lege ich auf die Seite, damit ich später mein Haus wieder aufbauen kann.“
Dass die Gewächshäuser, die pro Stück etwa 5000 Euro kosten, den jesidischen Flüchtlingen Perspektiven bieten, die Menschen mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen und den Markt beleben – diese Vorteile haben sich im Nordirak herumgesprochen. Doch während Faruk noch für sich alleine arbeitet, können die Bauern im benachbarten Camp Mam Rashan gemeinsam wirtschaften. Dort waren aus Mitteln der Weihnachtsspendenaktion sechs Gewächshäuser gebaut worden. Das war nur der Anfang einer Erfolgsstory: Nun hat die Partnerorganisation der „Schwäbischen Zeitung“, die Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, mithilfe der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit BadenWürttemberg (SEZ) 20 weitere Häuser gebaut. Das Ziel ist eine bäuerliche Kooperative, die beim Einkauf von Samen und Düngemittel sowie bei der Vermarktung gemeinsam auftreten soll. Direkt an der Hauptstraße ist auch ein Bauernmarkt entstanden, in dem die Produkte angeboten werden. Die Verantwortlichen haben das Projekt „Hêvî“genannt, das bedeutet „Hoffnung“.
An der Spitze des neu gegründeten Zusammenschlusses steht Khalaf Hadschi Kassem (42, Foto unten). Er ist Vater von sieben Kindern und stammt aus Ger User, einer Kleinstadt ebenfalls im Shingal-Gebirge, in der bis zum Sommer 2014 rund 10 000 Familien lebten. Khalaf hat dort als Landwirt gearbeitet. Er wohnt mit seiner Familie seit einem Jahr in Mam Rashan, vorher hatte die Familie Unterschlupf in nie fertiggestellten Rohbauten gefunden. Khalaf ist von den Mitgliedern der Kooperative zum Vorsitzenden eines dreiköpfigen Komitees gewählt worden, das als Verhandlungspartner bei Düngemittel- und Saatguteinkäufen auftreten und in eventuellen Streitfragen schlichten soll.
„Ich bin sehr froh, dass ich ein Gewächshaus bekommen habe“, berichtet Kassem: „Ich hatte mir schon im Camp einen kleinen Garten angelegt, in dem ich Auberginen, Tomaten, Gurken und Paprika anbaue. Im Gewächshaus möchte ich Auberginen anbauen.“Wie Khalaf Faruk in Sheikhan blickt Kassem voraus: „Ich hoffe, dass ich Geld sparen kann, denn ich brauche eine Herzoperation. Außerdem will ich ein bisschen Geld zurücklegen, um mein Haus wieder aufbauen zu können. In unserer Stadt sind alle Häuser zerstört.“Erst fünf Familien sind nach Ger User zurückgekehrt, „weil alles kaputt ist“. Kassem hat die Idee einer Kooperative von Beginn an mitgetragen: „Ich werde die anderen Mitglieder unterstützen und sie beraten. Ich kann ihnen erklären, wie viel Düngemittel sie verwenden müssen oder wie viel Wasser. Da kenne ich mich sehr gut aus. Die anderen wissen, dass ich Ahnung habe, deswegen haben sie mich einstimmig gewählt.“
Die Gewächshäuser werden im Losverfahren für zwei Jahre an jeweils eine Großfamilie vergeben. Thomas Shairzid, Irak-Beauftragter der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, erklärt: „Insgesamt profitieren mehr als 200 Menschen von dem Projekt, das wir weiter ausbauen wollen, wenn es erfolgreich läuft.“Khalaf und seine beiden Stellvertreter berichten regelmäßig an die Campleitung.
Kluge Bauern in Sheikhan und Mam Rashan, die „Schwäbische Zeitung“, der Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart, die CaritasFlüchtlingshilfe Essen, die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg und die Landesregierung: Starke Partner haben sich im Nordirak zusammengefunden, um unbürokratisch Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Philipp Keil von der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit begründet: „Generelles Ziel unseres Engagements in Dohuk ist, die Situation der Geflüchteten und der aufnehmenden Bevölkerung zu verbessern. Das Schaffen einer Grundlage für eine Selbstversorgung in Bezug auf Nahrung, aber auch die Schaffung einer allgemeinen Einkommensquelle sind hier natürlich gute Wege.“
Die Fördermittel sind Gelder des Landes Baden-Württemberg, die über die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) ausgezahlt werden.
Das Engagement der CaritasFlüchtlingshilfe Essen hat die Verantwortlichen der Stiftung besonders beeindruckt. Keil erklärt: „Der Verein hat neben dem Bau der Gewächshäuser auch die Komponenten der Vermarktung durch die Errichtung einer Markthalle sowie die Schaffung von Gemeinschaftssinn und Kooperation durch die Einrichtung einer Genossenschaft in den Blick genommen und im geförderten Projekt umgesetzt.“Wichtig ist der Zeitfaktor: Die Caritas-Flüchtlingshilfe verbindet seit einigen Jahren eine Partnerschaft mit den Menschen im Camp Mam Rashan. Keil würdigt: „Diese längerfristige Tätigkeit schafft Vertrauen. Das ist das, was wir fördern wollen: partnerschaftliche Projekte, die die Situation der betroffenen Menschen nachhaltig und wirksam verbessern und ihnen eine Perspektive bieten.“Übrigens hat das Projekt schon Nachahmer gefunden: Der Landrat von Sheikhan berichtet, dass eine lokale Ölfirma sich das Projekt angeschaut und es in ähnlicher Form in einem Dorf namens Bersef umgesetzt hat.
Die baden-württembergische Staatsministerin Theresa Schopper (Grüne), die im April die Projekte der „Schwäbischen Zeitung“besuchte, begründet das Engagement des Landes: „Auch im neuen Jahr wollen wir mit unseren Projekten dazu beitragen, dass Einheimische, Binnenvertriebene und die Geflüchteten aus Syrien unterstützt werden, sodass sie für sich eine Zukunft in der Region sehen und nicht irgendwann aus Verzweiflung ihre Flucht fortsetzen.“Dass landwirtschaftliche Projekte gefördert werden, sei sinnvoll: „Die Vernachlässigung der Landwirtschaft in der Vergangenheit rächt sich weiterhin, deshalb müssen wir die Eigenversorgung der Geflüchteten und Einheimischen besonders unterstützen. Die Gewächshäuser und die Genossenschaft im Camp Mam Rashan tragen zur Eigenversorgung und Einkommensbildung der Geflüchteten bei.“Dabei wird es nicht bleiben: Auf Anregung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hat das Staatsministerium ein weiteres landwirtschaftliches Projekt gefördert. Schopper sagt: „Die Staatsschule für Gartenbau in Stuttgart-Hohenheim hat mit großem Engagement ein innovatives Foliengewächshaus an der Universität Dohuk aufgebaut, das das Wissen über effektiven und erfolgreichen Gemüseanbau verbessern wird.“
Zurück zu den Gemüsebauern Khalaf Faruk und Khalaf Hadschi Kassem in Sheikhan und Mam Rashan: Bei Temperaturen, die in Richtung Gefrierpunkt fallen, können sie in ihren Gewächshäusern derzeit nichts anbauen, im März will Faruk sich wieder am Markt orientieren. Und Kassem will die Kooperative in die erste Saison führen: „Hêvî, Hoffnung: Die haben wir. Auf Erfolg und ein besseres Leben!
„Ich werde die anderen Mitglieder unterstützen und sie beraten.“
Khalaf Hadschi Kassem (Foto: Jan Jessen) ist Vorsitzender eines dreiköpfigen Komitees der neuen Kooperative.