Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gefährliches Schweigen
Nnachtsfrieden in Frankreich. Unversöhnlich gehen die Gegner an der Streikfront in den Urlaub. Die Gewerkschaften wollen die Rentenreform nicht hinnehmen, in der sie nur Verlierer sehen und die Regierung will ihren Ruf als Reformerin verteidigen. Nicht einmal in der Frage des Rentenalters mit 64 will Premierminister Edouard Philippe nachgeben. Ein Weihnachtsgeschenk an die gemäßigten Gewerkschaften, die genau das gefordert hatten, gibt es von ihm nicht.
Hunderttausende Franzosen müssen deshalb ihre Pläne für die Feiertage umschmeißen, Fahrkarten umtauschen, Mitfahrgelegenheiten suchen, auf den Bus ausweichen. Es wird Omas geben, die ihre Enkel nicht sehen, Eltern, die ohne ihre Kinder feiern und Touristen, die ihre Reise stornieren. Das ist traurig – gerade zu Weihnachten.
Schon der Dezember 2018 war unruhig gewesen. Damals waren es nicht die Gewerkschafter, sondern die Gelbwesten, die das Land mit ihren teilweise gewalttätigen Demonstrationen blockiert hatten. Auch damals mieden die Touristen Paris und das gesamte Land. Auch damals litt das Weihnachtsgeschäft. Ein Jahr später ist klar: Es war kein vorübergehendes Phänomen, das sich damals ereignete. Die Farbe der Westen hat sich geändert, doch die Proteste sind geblieben. Sie sind Zeichen einer Gesellschaft, die immer stärker gespalten ist.
Die Wahl von Emmanuel Macron vor zweieinhalb Jahren hat das Land nicht versöhnt. Im Gegenteil. Und die Rentenreform könnte die Spaltung noch verstärken. Der Präsident hält sich bei seinem wichtigsten Reformprojekt gefährlich im Hintergrund. Sein Schweigen verunsichert seine Landsleute, die Angst um ihre Rente haben. Der Staatschef muss zu den Franzosen sprechen und ihnen seine Pläne erklären. Und zwar sobald wie möglich. Wenn nicht, werden andere das übernehmen. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen zum Beispiel. Sie ist mit ihren unhaltbaren Versprechungen schon gefährlich laut geworden. Nur das Wort des Präsidenten kann sie übertönen.