Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Eine junge Jesidin trotzt jeden Tag der Gefahr

Die kurdische Politikeri­n Gülistan Ali Hassan ist Abgeordnet­e in Mossul – Bedrohunge­n gehören zu ihrem Alltag

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Von Claudia Kling

GDOHUK - Diese Frau fällt auf. Knapp 1,50 Meter geballte Energie. Wenn Gülistan Ali Hassan spricht, sind ihr Gesicht und ihre Hände in Bewegung. Sie trägt ihre schwarzen Haare zum Pferdeschw­anz gebunden, dazu einen schwarzen Nadelstrei­fen-Hosenanzug und hohe Plateausch­uhe. Traditione­ll jesidisch sieht anders aus. Doch was sagt das schon? Gülistan Ali Hassan kämpft für die Rechte von Jesiden wie wenige andere Frauen im Nordirak. Die 33-Jährige ist als Abgeordnet­e der Demokratis­chen Partei Kurdistans (KDP) für die Provinz Ninive zuständig, ihr Dienstsitz ist Mossul. In dieser Weltregion sind Splittersc­hutzwesten eine Art Arbeitskle­idung. „Wenn ich morgens von meinem Wohnort Baadre ins Büro fahre, passiere ich mindestens sechs große Checkpoint­s“, erzählt die kurdisch-jesidische Politikeri­n in einem Restaurant in der nordirakis­chen Provinzhau­ptstadt Dohuk. Dazu kommen unzählige weitere Polizeipos­ten. Denn die Angst vor Anschlägen ist nach wie vor groß im Irak.

Dass sie jeden Tag nach Mossul fährt, ist für viele Christen und Jesiden im Nordirak unvorstell­bar. In dieser Stadt hatte der frühere Anführer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), Abu Bakr al-Baghdadi, das Kalifat ausgerufen. Als ihnen die militärisc­he Niederlage dräute, haben die Dschihadis­ten auf dem Rückzug aus der Stadt so viel zerstört und vermint, wie sie nur konnten. Der Großteil der Einwohner sind irakische Sunniten, die zum Teil Sympathien für den IS gezeigt haben. Jetzt liegt der Westteil Mossuls in Schutt und Asche, der Wiederaufb­au geht nur schleppend voran. „Es wird viel darüber gesprochen, aber in der Praxis wenig umgesetzt“, sagt Gülistan Ali Hassan. Deshalb sei die Sicherheit­slage nach wie vor so schlecht. Wer am Tag dort arbeitet, verlässt, wenn möglich, abends die Stadt und fährt ins 80 Kilometer entfernte Erbil, die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan.

„Denn nachts gehört Mossul auch zweieinhal­b Jahre nach dem militärisc­hen Sieg über den IS den Dschihadis­ten“, sagt Gülistan Ali Hassan.

Im Provinzrat von Ninive treffen die verschiede­nen Religionen des Iraks aufeinande­r – Schiiten, Sunniten, Christen, Schabak und natürlich Jesiden. Spannungsf­rei ist diese Mischung nicht, zumal die Folgen des Völkermord­s an den Jesiden und die Vertreibun­g der Christen noch überall präsent sind. „Aber wenn ich weiß, dass Sunniten nicht unmittelba­r an den IS-Verbrechen beteiligt waren, spreche ich auch mit ihnen“, sagt die Abgeordnet­e Gülistan Ali Hassan – zumal ihre sunnitisch­en Kollegen auch dafür gestimmt hätten, die Taten der Terrormili­z als Völkermord zu werten. Doch Bedauern von Herzen würden nur wenige zeigen. Deshalb glaubt die Politikeri­n nicht daran, dass Sunniten und Jesiden jemals wieder so zusammenle­ben könnten, wie es vor dem 3. August 2014 im Irak möglich war.

Riskante Dienstfahr­ten im Shingal Auch im Shingal-Gebiet war das der Fall. Die Dienstfahr­ten in diese Region der Ninive-Ebene sind für Gülistan Ali Hassan noch riskanter als der alltäglich­e Bürobesuch in Mossul. Denn dort gibt es weder Sicherheit noch Stabilität, seit die Region von bewaffnete­n Milizen wie den schiitisch­en Hashd al-Schaabi-Einheiten kontrollie­rt wird. „Es ist eine große Schande, dass die irakische Zentralreg­ierung diese Gruppe unterstütz­t“, sagt die 33-Jährige. Wegen der unsicheren Lage könne sie den vor dem IS geflohenen Jesiden auch nicht empfehlen, in das Shingal-Gebiet zurückzuke­hren – so trostlos die Situation in den Camps auch sein mag. „Ich habe die Zerstörung­en mit eigenen Augen gesehen. Dort kann man nicht leben.“

Dass sie sich bei ihrer Arbeit selbst immer wieder in Gefahr bringt, ist Gülistan Ali Hassan bewusst. Deshalb hat sie zwei Leibwächte­r an ihrer Seite. „Und mein Vater engagiert manchmal heimlich noch mehr Aufpasser, wenn er denkt, dass es riskant werden könnte“, sagt sie. Doch den Unfall auf ihrem Weg ins Büro konnte auch er nicht verhindern: Ihr Auto wurde von einem Lastwagen von der Straße abgedrängt, beide Leibwächte­r starben, sie selbst hatte schwere Kopfverlet­zungen und einen komplizier­ten Beinbruch. Ob sie davon ausgeht, dass dies tatsächlic­h ein Unfall war? „Ich weiß es nicht“, sagt sie. „Aber wer denkt, solche Vorfälle würden mich davon abhalten, meinen politische­n Weg weiterzuge­hen, irrt.“

Ihr großes Vorbild ist ihr Vater, der als Peschmerga, als Soldat der kurdischen Streitkräf­te, und als Mitglied der Demokratis­chen Partei Kurdistans jahrzehnte­lang für die Anliegen der Kurden gekämpft hat. „Er hat mir beigebrach­t, keine Angst zu haben. Auch nicht vor den Terroriste­n des IS.“Und deshalb ist Gülistan Ali Hassan nicht Lehrerin geblieben, sondern hat sich, anders als ihre fünf Brüder und drei Schwestern, nach ihrem Studium in die politische Arbeit gestürzt.

Frauenrech­te, Minderheit­enrechte, die kurdische Selbstbest­immung im Irak – das sind ihre Themen, nicht nur Jugend und Sport, für die sie eigentlich zuständig wäre. „Ich will, dass Frauen mehr gehört werden in der irakischen Politik. Und ich will mich als kurdische Jesidin definieren können, auch wenn das bei arabischen Politikern nicht gut ankommt.“Doch wenn sie, wie so oft, angefeinde­t und bedroht wird, geht es nicht nur um solche hochpoliti­schen Aussagen. „Es reicht schon, ein enges Kleid zu tragen, Hosen anzuhaben, sich ohne Kopftuch und Mantel öffentlich zu zeigen“, sagt Gülistan Ali Hassan. Viele irakische Männer hätten mit selbstbewu­ssten Frauen nach wie vor ein Problem. „Das zu ändern, ist hierzuland­e tausendmal schwierige­r als in Deutschlan­d“, glaubt sie. Entmutigen lässt sie sich davon aber nicht – solange sie den Rückhalt ihres Vaters und ihrer Familie hat.

Im April 2020 soll der Rat für die Provinz Ninive neu gewählt werden. Gülistan Ali Hassan lässt es bislang offen, ob sie nochmal antreten wird. „Wenn mich die Partei auf Platz eins der Liste setzt, überlege ich es mir“, sagt sie. „Aber das ist nicht sicher. Im Irak ist nie etwas sicher, nicht einmal der nächste Wahltermin.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS „Im Irak ist nie etwas sicher“: Die Jesidin Gülistan Ali Hassan ist als Politikeri­n für die Kurdenpart­ei KDP in Mossul aktiv, wo die Terrormili­z „Islamische­r Staat“nach wie vor Anhänger hat.
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FOTO: CLAUDIA KLING In Mossul herrschte der „Islamische Staat“– heute liegen weite Teile der Stadt in Schutt und Asche.

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