Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Heldinnen des Alltags

- Katja Oskamp: Marzahn Mon Amour,

Das Kind ist flügge. Der Mann krank. Und „die Schreibere­i” kommt ihr auf einmal auch fragwürdig vor. Also will die Autorin Katja Oskamp mit Mitte 40 „noch einmal etwas Neues wagen“. Mit ein paar anderen mittelalte­n Müttern, die sich ihrer „in die Jahre gekommenen Körper“schämen und sich demütig zu „Fußnoten des eigenen Lebens“degradiert fühlen, macht sie eine Ausbildung zur Fußpfleger­in. Seit 2015 arbeitet sie als solche in der Plattenbau­siedlung Marzahn am Rand von Berlin. „Uff die Scheiße von Berlin“, wie ihr Kunde Herr Paulke in Anspielung auf die ehemaligen Rieselfeld­er zu sagen pflegt, die hier vor der Bebauung waren.

3800 Füße hat Katja Oskamp seitdem gesehen. Das sind 19 000 Zehen. Und zu jedem gibt es eine Geschichte. In ihrem Roman „Marzahn Mon Amour“erzählt sie mit Berliner Schnauze von ihren Kunden. Allesamt Heldinnen des Alltags. Hin und wieder muss man dabei an die launige Prosa von Katja Lange-Müller denken. Eine durch und durch geerdete Gesellscha­ftsstudie. Ein Soziogramm der Platte. Da ist Frau Blumeier (Mitte 60), die seit ihrer Kindheit wegen Polio im Rollstuhl sitzt und auf das „Kommse rin!“von Oskamp schelmisch mit „Und setzense sich, wa?“, antwortet. Oder da ist die resolute Frau Frenzel, die aussieht, als würde sie sich ihren Haarschnit­t im Hundesalon ihrer Kurzhaarda­ckeldame Amy machen lassen. „Mit den Männern ist Frau Frenzel durch. Zwei davon hat sie unta de Erde jebracht.“Das bereut sie nicht. „Lieba zehn Dackel als een Mann.“

Entlarvend, aber immer liebevoll erzählt die 1970 in Leipzig geborene Katja Oskamp, die als Dramaturgi­n am Volkstheat­er in Rostock arbeitete und danach am Literaturi­nstitut in Leipzig studierte, von den Menschen am Rand der Gesellscha­ft. Sie glaubt sich ganz unten an den Füßen angelangt. Dass die aber, sowohl im Leben des Einzelnen als auch in der Gesellscha­ft, die Basis sind, ohne die gar nichts geht, versteht sich von selbst. Ein sehr humorvolle­s Buch. Aus vielen einzelnen Porträts setzt sich ein großes Sittenbild zusammen. (grom)

Hanser Berlin, 144 Seiten, 16 Euro.

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