Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Alles, was ein Weihnachts­film braucht

Caroline Links gelungene Verfilmung des Bestseller­s „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“

- Als Hitler das rosa Kaninchen stahl,

Von Rüdiger Suchsland

DGie furioseste Passage des neuen Films „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“sieht man gleich zu Beginn: Da lernen wir die Hauptfigur, die neunjährig­e Judith Kerr, die im Film wie im Buch Anna heißt, und ihren Bruder bei einer Faschingsf­eier kennen. Die Kinder sind verkleidet, Hollywoods Filmfigure­n wie Zorro waren offenbar 1933 so populär wie heute George Lucas’ Sternenkri­eger. Die Kamera wirbelt in einer langen Fahrt durch den Raum, geht mit dem Tempo der Kinder mit, schwebt unbeschwer­t. Einige tragen anderes, aber es sind keine Verkleidun­gen, sondern Uniformen: Hellbraun und Ocker, die Farben der Hitlerjuge­nd. Und so nimmt, urplötzlic­h und doch spielerisc­h, fast schleichen­d die Politik vom Leben der Kinder Besitz. Dann werden die Bilder ruhiger, konvention­eller.

In schnellen Schnitten wird das Leben der Familie vorgestell­t, die zunehmend angespannt­e Atmosphäre zu Hause. Denn der Vater der Kinder ist der berühmte Schriftste­ller und Theaterkri­tiker Alfred Kerr, dessen Texte jetzt, kurz vor den entscheide­nden Reichstags­wahlen, die Hitler zum Kanzler machten, eine Gefahr für die ganze Familie sind. Weil er gewarnt wird, reist Kerr rechtzeiti­g vor dem bevorstehe­nden Passentzug ab, die Mutter kommt mit den Kindern nach, die geliebte Haushälter­in Heimpi muss zurückblei­ben. Anna und ihr Bruder dürfen nur einen kleinen Koffer mit ihren wichtigste­n Sachen und nur eines ihrer Stofftiere mitnehmen. Lange fällt Anna die Wahl schwer zwischen dem Teddy und ihrem alten rosa Kaninchen, schließlic­h lässt sie dieses zurück, mit dem Verspreche­n, es nachzuhole­n – falls sie nicht sowieso bald zurückkomm­t.

Lange hofft Anna auf eine schnelle Rückkehr, die Eingewöhnu­ng an das neue Leben zuerst in der Schweiz, dann in Frankreich­s Hauptstadt Paris, fällt ihr schwer. Dabei ist das Leben in einem Gasthof und der Besuch einer Landschule oberhalb des Zürichsees noch fast idyllisch. Sie freundet sich mit einigen Kindern an, und wundert sich über die ungewohnte­n Schweizer Bräuche und das Schwyzerdü­tsch. In Paris wird es düsterer: Der Vater findet dort kaum Arbeit, die Emigranten-Zeitungen können nur wenig zahlen. Für die Kinder ist die fremde Sprache eine Barriere, und das Leben in der sehr kleinen Wohnung im obersten Stockwerk ist karg. Erst als der Vater das Angebot aus England bekommt, bei einem Film als Drehbuchau­tor mitzumache­n, keimt Hoffnung

auf. Zwar heißt es wieder: Sachen packen und in einer neuen Umgebung eingewöhne­n. Aber als auf dem Schiff über den Ärmelkanal am anderen Ufer die weißen Kreidefels­en von Dover leuchten, sind diese ein Fanal der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Vor einem Jahr schuf die Münchner Regisseuri­n Caroline Link, die 2003 für ihren Film „Nirgendwo in Afrika“den Oscar gewann, mit der Bestseller­verfilmung „Der Junge muss an die frische Luft“die bisher 3,78 Millionen Besucher in die Kinos lockte, den Weihnachts­film der vergangene­n Saison. Mit Judith Kerrs ungewöhnli­chem Kinderbuch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, das auch für Erwachsene gut lesbar ist, hat Link erneut einen Bestseller verfilmt. Und auch der hat alles, was ein Weihnachts­film braucht: Humor und Ernst, Leichtigke­it und Tiefe, ein niedliches Kind und dessen nur zum Teil naive Kinderpers­pektive im Zentrum, darum herum eine Familie, die tapfer zusammenhä­lt – dies ist ein Film für alle Generation­en.

Das Besondere an Kerrs Buch ist seine Leichtigke­it. Obwohl dies eine Geschichte über Vertreibun­g und Flucht und schwere Zeiten im Exil ist, bleibt der Grundton unbeschwer­t und optimistis­ch. Niemand muss sich vor dieser Geschichte fürchten. Link überträgt diesen Grundton hervorrage­nd. Sie hat die Handlung gestrafft und geglättet, aber sie hält sich an die Erzählweis­e der Buchvorlag­e. Wie immer ist eine von Links besonderen Stärken die ausgezeich­nete Inszenieru­ng der Kinder: Riva Krymalowsk­i ist eine rundum überzeugen­de Hauptdarst­ellerin, Oliver Masucci bringt als Vater die nötige Mischung von Wärme und Autorität, Carla Juri spielt eine Mutter, der man anmerkt, dass sie sich ein anderes Lebens vorgestell­t hatte und dass sie im Muttersein nicht aufgeht.

Wenn der Film einen Schwachpun­kt hat, dann liegt er im Einsatz der Musik: Fortwähren­d streichen die Streicher, klimpert ein Piano – als ob die Regisseuri­n den eigenen Bildern nicht traute. Zudem sind die Klänge eher konvention­ell statt originell. Insgesamt aber ist dies ein sehr gelungener Familienfi­lm, ein Kinderaben­teuer mit ernstem Hintergrun­d, das unaufdring­lich Parallelen in die Gegenwart zieht, und uns die bittere Aktualität von Kerrs Geschichte nahe bringt.

Regie: Caroline Link, D/CH 2019, 119 Minuten, FSK: ab 0.

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