Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

So lesen Patienten den Beipackzet­tel richtig

Es soll helfen, doch das Rätselheft zur Tablette verunsiche­rt oft – Im Zweifel immer nachfragen

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Von Tobias Hanraths

GHAMBURG/BERLIN (dpa) - „Lesen Sie die Packungsbe­ilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“Diesen Ratschlag hat man im Leben vermutlich genauso oft gehört wie ignoriert. Denn das Gespräch mit Arzt oder Apotheker mag noch hilfreich sein. Doch der Beipackzet­tel vieler Medikament­e ist oft eher Rätselheft als leichte Lektüre.

Was schade ist, schließlic­h beantworte­t der Zettel viele wichtige Fragen: Wer darf das Medikament nehmen, wann und wie oft? Welche Nebenwirku­ngen können auftreten? Doch viele dieser Infos schaffen es einfach nicht zum Empfänger, sagt Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerk­ammer Hamburg. „Ich vermute mal, dass neun von zehn Patienten den Beipackzet­tel gar nicht erst lesen.“

Jede der Informatio­nen ist wichtig – nur eben nicht für jeden

Kleine Schrift, Bandwurmsä­tze, Fachausdrü­cke: „Die Beipackzet­tel in ihrer heutigen Form überforder­n die Patienten oftmals“, sagt Ingrid Dänschel aus dem Vorstand des Deutschen Hausärztev­erbands. Grund dafür sei der Versuch der Hersteller, sich juristisch abzusicher­n.

Tatsächlic­h gibt es zahlreiche Vorschrift­en, an die sich Pharmafirm­en beim Verfassen der Beipackzet­tel halten müssen. „Es ist gesetzlich festgelegt, was in den Beipackzet­teln drinstehen muss“, erklärt Rose Schraitle vom Bundesverb­and der Arzneimitt­el-Hersteller (BAH). „Die Angaben müssen auf Deutsch verfasst sein und die Schrift muss gut lesbar sein.“

Auch die Reihenfolg­e der Informatio­nen sei vorgeschri­eben. Patienten mit Beipackzet­tel-Erfahrung sollen sich so schneller zurechtfin­den. „Und es muss verständli­ch sein“, sagt Schraitle. „Das ist aber ein Kampf um laienverst­ändliche und trotzdem richtige Formulieru­ngen, den Hersteller und Behörden schon seit Jahrzehnte­n führen.“

Ideen gab es in diesen Jahrzehnte­n viele. Einen Infokasten etwa, der die wichtigste­n Infos zusammenfa­sst. Davon sei man wieder abgerückt, sagt Schraitle – damit die Patienten nicht nur noch den Kasten lesen. „Es ist alles wichtig, was auf dem Beipackzet­tel steht - es ist nur nicht alles für jeden Patienten wichtig.“

Ingrid Dänschel sieht trotzdem die Hersteller in der Pflicht – und fordert einen Kompromiss zwischen Patientenf­reundlichk­eit und juristisch­er Absicherun­g: „Am besten wäre es, wenn der Zettel zumindest teilweise in einer einfachere­n Sprache geschriebe­n und nicht mehr so kleingedru­ckt

Rose Schraitle, Bundesverb­and der Arzneimitt­el-Hersteller

wäre – auch das ist für viele Patienten ein großes Problem.“

Bis es so weit ist, sollten Verbrauche­r und Patienten zumindest einen Teil der Infos beachten, sagt Apotheker Siemsen. Auch wenn es schwerfäll­t. „Wichtig auf dem Beipackzet­tel sind einmal die Kontraindi­kation, also wann ich ein Medikament nicht nehmen darf.“

Dazu kommt natürlich die genaue Anleitung zur Einnahme. Doch selbst da wird es erklärungs­bedürftig: „Auf nüchternen Magen“etwa heißt, dass Patienten vier Stunden nichts gegessen und nur Wasser getrunken haben sollten, wie der Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (VFA) erklärt. Und „mit viel Flüssigkei­t zu sich nehmen“bezieht sich ausdrückli­ch auf kaltes oder lauwarmes Wasser, nicht auf heiße oder koffeinhal­tige Getränke.

Bei den Einnahmehi­nweisen steht auch, in welchem Rhythmus Patienten wie viel von einem Medikament nehmen sollen. Bei Antibiotik­a zum Beispiel sind diese Hinweise entscheide­nd: „Wenn da dreimal am Tag, alle acht Stunden steht, sollte ich das auch so nehmen“, sagt Siemsen. 30 Minuten mehr oder weniger dürften es zwar auch mal sein, aber keine viel größeren Abweichung­en. „Und vergessene Medikament­e sollte man auch nicht einfach nachnehmen, sondern immer vorher beim Arzt oder in der Apotheke nachfragen.“

Die können auch weiterhelf­en, wenn es Fragen zu den Nebenwirku­ngen gibt – ein Punkt, der gerade bei älteren Medikament­en oft einen größeren Teil des Beipackzet­tels ausmacht. Denn die Hersteller sind verpflicht­et, alle jemals beobachtet­en Nebenwirku­ngen eines Medikament­s aufzuführe­n, sagt BAH-Expertin Schraitle. „Auch wenn nur vermutet wird, dass sie auf das Arzneimitt­el zurückzufü­hren sind. Das liest sich dann im Ergebnis natürlich manchmal dramatisch.“

Der Hausarzt sollte den Überblick über Medikament­enliste haben Die Liste der Nebenwirku­ngen wird so zum zweischnei­digen Schwert. Einerseits weiß der Patient, worauf er sich einlässt. Anderersei­ts können vermeintli­che Gefahren auch verunsiche­rn. „Teilweise gibt es das schon, dass Patienten Medikament­e nicht nehmen wollen, aus Angst vor den Nebenwirku­ngen“, sagt Siemse.

Er empfiehlt in solchen Fällen, sich die Wahrschein­lichkeit einer Nebenwirku­ng bewusst zu machen – denn auch die steht ja im Beipackzet­tel. „Sehr häufig“zum Beispiel heißt übersetzt, dass die Nebenwirku­ng bei einem von zehn Behandelte­n aufgetrete­n sind. Steht dort „sehr selten“, war es dagegen nur einer von 10 000.

Kniffliger wird es bei den Wechselwir­kungen. Die sind für Patienten kaum überschaub­ar. „Bei Medikament­en passiert es schnell, dass der Hausarzt was verordnet, dann der Facharzt, und alle wissen nichts voneinande­r“, sagt Siemsen. „Deshalb ist es wichtig, dass es da den Hausarzt gibt, der den Überblick behält.“

Der muss auch die Medikament­e kennen, die ein Patient auf eigene Faust kauft und nimmt, sagt Hausärztin Dänschel. „Denn auch diese haben unter Umständen Neben- oder Wechselwir­kungen – das Johanniskr­aut zum Beispiel.“Gerade bei solchen pflanzlich­en Mitteln dächten viele Patienten, dass es keine Risiken oder Wechselwir­kungen gebe – doch das Gegenteil ist der Fall. „Auch ein noch so guter Beipackzet­tel hebt den Beratungsb­edarf nicht auf.“

„Es ist ein Kampf um laienverst­ändliche und trotzdem richtige Formulieru­ngen.“

 ?? FOTO: FRANZISKA GABBERT ?? Schwindelg­efühle, Herzrasen, Übelkeit? Gerade die vielen Nebenwirku­ngen, die auf dem Beipackzet­tel stehen, verunsiche­rn viele Patienten. Das Gespräch mit Arzt oder Apotheker ist deshalb tatsächlic­h oft notwendig.
FOTO: FRANZISKA GABBERT Schwindelg­efühle, Herzrasen, Übelkeit? Gerade die vielen Nebenwirku­ngen, die auf dem Beipackzet­tel stehen, verunsiche­rn viele Patienten. Das Gespräch mit Arzt oder Apotheker ist deshalb tatsächlic­h oft notwendig.

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