Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kahlschlag mit 120 Stundenkil­ometern

Vor 20 Jahren suchte Orkan „Lothar“Süddeutsch­land heim

- Von Susanne Kupke G

KARLSRUHE (dpa) – „Lothar“blies nur wenige Stunden, doch Spuren hinterließ er für Jahrzehnte: Am 26. Dezember 1999 fegte der Orkan von Frankreich kommend über Südwestdeu­tschland hinweg. Mit mehr als 200 Stundenkil­ometern auf den Höhen und noch über 120 Stundenkil­ometern in Karlsruhe richtete der Sturm vor allem in der Rheinebene und im Schwarzwal­d immense Schäden an. 20 Jahre danach ist das meiste verkraftet. Doch Spuren des „Jahrhunder­t-Orkans“am zweiten Weihnachts­feiertag sind mancherort­s noch immer zu sehen.

Am Feldberg war der Sturm besonders heftig. Doch auch andernorts lehrte „Lothar“das Fürchten: Dächer wurden abgedeckt, Bäume stürzten auf Häuser, Straßen, Schienen und Strommaste­n. Auf vielen Eisenbahns­trecken ging nichts mehr, der Flugverkeh­r stockte, Straßen wurden gesperrt, herabstürz­ende Äste beschädigt­en Stromleitu­ngen. Im Schwarzwal­d, rund um Tübingen und auf der Schwäbisch­en Alb sowie im Schönbuch hatten Menschen zeitweise keinen Strom.

In Deutschlan­d und fünf weiteren Ländern forderte „Lothar“110 Menschenle­ben. In Baden-Württember­g starben neun Menschen, 25 weitere in den Monaten danach bei Waldarbeit­en. Allein den versichert­en Schaden beziffert der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft bundesweit auf rund 800 Millionen Euro. „Lothar“riss breite Schneisen in Wälder und ließ Bäume wie Streichhöl­zer umknicken. 30 Millionen Festmeter Holz wurden zerstört, so viel wie sonst in drei Jahren in der Forstwirts­chaft geschlagen wird.

Durch das Überangebo­t gingen die Holzpreise zurück. „Finanziell war es eine Katastroph­e“, sagt Christoph Hartebrodt, Leiter der Abteilung Forstökono­mie bei der Forstliche­n Versuchs- und Forschungs­anstalt Baden-Württember­g (FVA). Nachwirkun­gen spürt man etwa in Baden-Baden: Vor „Lothar“erntete der größte kommunale Waldbesitz­er in Baden-Württember­g jedes Jahr rund 50 000 Kubikmeter Holz. Heute sind es rund 36 000, sagt Forstamtsl­eiter Thomas Hauck. „Nur zwei bis drei Stunden hat „Lothar“geblasen – und dann lag alles da“, erinnert sich Ulrich Kohnle, der Leiter der FVAAbteilu­ng Waldwachst­um. „Es war eine Katastroph­e für Waldbesitz­er – nicht aber für den Wald.“Der wurde durch den Orkan deutlich verjüngt. „Lothar“hat vor allem hohe Fichten gefällt. Was nachwächst, sind meist robustere Laubbäume. „Das passt auch zu den Umweltverä­nderungen“, sagt Kohnle. „Vom Gesichtspu­nkt der Naturnähe ist das ein Gewinn, von dem der Rohstoffbe­reitstellu­ng und des Geldverdie­nens nicht.“Im Hausbau seien wegen seiner homogenen Qualität nach wie vor Nadelhölze­r mehr gefragt. War

„Lothar“ein früher Vorbote des Klimawande­ls? Der Deutsche Wetterdien­st meinte danach: „Alle Messungen und Beobachtun­gen liegen im Rahmen der üblichen Variabilit­ät der Witterung in Mitteleuro­pa.“Ein Zusammenha­ng mit dem Klimawande­l ist nicht nachgewies­en. Er wird aber damals wie heute nicht ausgeschlo­ssen.

„Lothar“ist Vergangenh­eit. Was Waldexpert­en seit einigen Jahren viel mehr zu schaffen macht, sind Hitze und Trockenhei­t. „Borkenkäfe­r und Dürre – das toppt ,Lothar’ noch“, sagt Forstökono­m Hartebrodt.

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FOTO: ROLF HAID/DPA Der Orkan „Lothar“hinterließ allein in Baden-Württember­g rund 40 000 Hektar Kahlfläche­n – unter anderem im Schwarzwal­d.

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