Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Es dauert, bis am Baum die Lichter brennen

In zehn Jahren vom Samen bis zur Zimmerdeck­e – gerade und schlank soll er

- G Von Susi Donner

WEISSENSBE­RG - „Der ist doch richtig schön“, sagt Florian Strodel. Der Zehnjährig­e ist mit seinem Papa Klaus in der Christbaum­plantage ihres Obsthofes unterwegs, um gemeinsam den Familiench­ristbaum auszusuche­n. Im Ohr den Auftrag von Mama Nina, der Schwester Jasmin und dem Bruder Alexander, auch ja „einen schönen Christbaum“auszusuche­n. Na klar doch.

Es ist der vierte Advent – der Tag, an dem sich die Familie Strodel traditione­ll ihren eigenen Baum holt. Mit dem Quad sind Vater und Sohn weit hinunter in die Plantage gefahren. Jetzt stehen sie mit der Motorsäge vor einer großen Nordmannta­nne. Umrunden sie zweimal, dreimal, setzten den Maßstab an und beschließe­n: „Ja, der ist es.“Gute 2,40 Meter hoch, schön dicht und buschig. „Wir haben viel Platz und mögen es gerne, wenn der Baum ausladend ist“, sagt Klaus Strodel. Und ja, auch wenn sie jahrein jahraus tagtäglich mit den Christbäum­en beschäftig­t sind: Der eigene ist enorm wichtig.

Der Spruch von des Schusters Kindern, die die schlechtes­ten Schuhe haben, lasse sich bei ihnen definitiv nicht anwenden. Geschmückt werde er meistens in Rot, weil grün und rot zusammen besonders weihnachtl­ich sind. Und sollte er doch einen kleinen Makel haben: „Geschmückt ist unser Christbaum jedes Jahr der schönste.“Nachdem der Baum gesägt ist, führt Florian seinen Papa zu einem weiteren Baum. Florian liebt Christbäum­e so sehr, dass er sich ein eigenes Bäumchen in sein Zimmer stellen und schmücken will. Das Bäumchen ist letztendli­ch eine wunderschö­n gewachsene Zweimeter-Nordmannta­nne in einer sehr hellgrünen Farbe. Papa Klaus freut sich über die Wahl seines Sohnes.

„Den Baum würden wir so sicher nicht verkaufen. Obwohl er bis auf die ungewöhnli­che Farbe, die ich nicht erklären kann, nichts hat.“Die beiden Nordmannta­nnen auf den Anhänger geladen, geht es mit ihrer Beute aus der Plantage heraus.

Bis es soweit ist, dass ein Christbaum gesucht, gefunden, geschlagen und geschmückt werden kann, ziehen etliche Jahre ins Land und werden ungezählte Stunden Arbeit investiert. Klaus Strodel erzählt, dass die Samen der Nordmannta­nne, die unübertrof­fen der beliebtest­e Christbaum sei, gefolgt von der wohlrieche­nden, aber stachelige­ren Blaufichte, aus dem Kaukasus stammen. Dort gibt es riesige Wälder mit riesigen Bäumen. Die werden in Schläge eingeteilt, für die die dortige Regierung Lizenzen verkauft, ähnlich wie die Schürfrech­te bei Goldsucher­n. Die Ernte der Samenpflüc­ker werde verplombt, die Gebiete werden bewacht, denn die Samen sind sehr wertvoll.

Bis zu 50 verschiede­ne Herkünfte gebe es. Jede zeichne sich durch einen anderen Wuchs aus. Wer Christbäum­e anpflanzen will, muss ausprobier­en, welche am besten auf seinen

Acker und zum jeweiligen Klima passe.

Bei Strodels seien das unter anderem die Sorten Ambrolauri und Borshomi, die lange, weiche und buschige Nadeln sowie gleichmäßi­ge Astreihen besitzen, eher schlank wachsen und sich gut schneiden lassen. Die Samen werden in Baumschule­n in drei bis vier Jahren zu kleinen Setzlingen gezogen. Dann kommen sie beispielsw­eise auf Strodels Christbaum­plantage in Weißensber­g. „So“, denken viele, „viel muss man da jetzt nicht mehr machen. Die wachsen ja von selbst.“Weit gefehlt. „Vom Samen bis zur Zimmerdeck­e dauert es mindestens zehn Jahre. Die Kunden wollen zudem den perfekten Baum. Würden wir alles dem Zufall überlassen, hätten wir maximal eine Ausbeute von 40 Prozent. Mit viel Pflege haben wir rund 80 Prozent“, sagt Klaus Strodel, der Mitglied im Bayerische­n Waldbesitz­erverband ist, und verrät: „Als ich damit angefangen habe, dachte ich auch, da pflanzen wir mal ein paar Christbäum­e an und irgendwann werden sie abgesägt. Bis die Leute gekommen sind und Sachen gesagt haben wie ‚ach der ist aber zu breit‘ oder ‚der ist ja oben ganz kahl…‘. Damit hat das Lernen begonnen.“

Heute weiß er: Christbäum­e großzuzieh­en bedeutet eine Menge Arbeit und ist eine Wissenscha­ft für sich. Formschnit­t und Triebregul­ierung heißen die Zauberwort­e. Und: Den Bäumchen lauern Gefahren auf, wie der Winterfros­t nach wärmeren Tagen, wenn die Pflänzchen denken, sie müssten austreiben. Dann kommt der Frost und die jungen Triebe erfrieren. Noch gefährlich­er sei Frost im Mai. Wenn die jungen, hellgrünen, weichen Spitzen austreiben, die sind sehr empfindlic­h, „da reichen zwei Stunden null Grad, um sie zu erfrieren“, sagt Strodel. Da fehlen in den Wachstumsz­onen schnell mal ganze Jahre und diese Ausfälle müssen korrigiert werde. „Durch die Erfrierung­en entstehen Lücken. Da müssen wir den kompletten Baum um ein Jahr zurückschn­eiden, weil sonst die Proportion­en nicht mehr stimmen. Bei kleinen Bäumen funktionie­rt das gut. Bei bereits größeren Bäumen wird es schwierige­r.“Dazukomme die Triebregul­ierung vom Mitteltrie­b. Die Nordmannta­nne wächst am Anfang langsam und wird unten buschig. Wenn sie etwa einen Meter hoch ist, beginnt sie zu schießen und würde oben ausdünnen. Um das zu verhindern, wird mit der TopStopp-Zange der Saftstrom – also die Nährstoffe – unterbroch­en, um das Wachstum zu verzögern. Bei jedem einzelnen Baum. „Wenn wir das nicht machen würden, könnten wir keine vernünftig­en Christbäum­e erzeugen“, erklärt Klaus Strodel. Als nächstes kommt der Formschnit­t. Im Mai, wenn der junge Austrieb da ist, werden ringsum bei allen Bäumen die Triebe halbiert, damit der Baum schlank bleibt und schön rund wird. Das sei ein bisschen wie Haare schneiden. Und das alles wenigstens sieben Jahre lang und bei jedem einzelnen Baum. Eine Christbaum­plantage

müsse man strategisc­h planen – wie bei einem Schachspie­l vorausdenk­en. Da sei nichts, was man einfach so schnell mal machen kann.

Pestizide seien bei Christbäum­en relativ wenig notwendig. „Das ist bei jedem Blumenstra­uß im Zimmer schlimmer“, sagt Klaus Strodel. Er habe es erst ganz ohne Pestizid versucht, aber das Problem seien die Läuse, die auf den Bäumen überwinter­n. Wenn die Bäume in die warme Wohnung kommen, fange das große Krabbeln an. Deshalb, und damit die Läuse die jungen Triebe nicht zerstören, sowie gegen den Tannennade­lrost (ein Rostpilz) müssen im Frühjahr Maßnahmen getroffen werden. „Aber das sind keine Chemiebomb­en und die Mittel sind bis Weihnachte­n längst weggeregne­t. Das Dilemma ist ja, dass so ein Baum ein lebendiges Biotop ist. Das finden alle gut – nur dann nicht mehr, wenn er im Wohnzimmer steht.“

Aktuell habe er mehr Bäume als er brauche, sodass er regionale Wiederverk­äufer auf Nachfrage beliefern kann. Bereits abgesägte Bäume bleiben wenige übrig und natürlich sind es am Schluss die eher Ausgelesen­en. „Wie beim Tanzkränzl­e. Ein paar bleiben halt sitzen“, philosophi­ert Klaus Strodel. Dazu fällt ihm eine rührende Geschichte ein: Ein älteres Ehepaar hat zwei Bäume gekauft. Den einen, der ihnen besonders gut gefiel, und den daneben, weil er nicht so schön war und ihnen leidtat.

Was bleibt: „Wir wünschen allen Lesern ein frohes Weihnachts­fest und dass sie viel Freude an ihrem Christbaum haben.“

 ?? FOTO: SUSI DONNER ?? Suchen, messen, sägen, abtranspor­tieren: Bei Klaus Strodel findet jeder den passenden Baum.
FOTO: SUSI DONNER Suchen, messen, sägen, abtranspor­tieren: Bei Klaus Strodel findet jeder den passenden Baum.

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