Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Schneller als jeder Taschenrechner“
Auch wenn sie nicht immer so aussehen, sind Darts-Sportler echte Profis – und begeistern
RAVENSBURG - Überfüllte Hallen, kleine Pfeile und jede Menge Party: Die Darts-WM zieht derzeit wieder die Zuschauer vor die Bildschirme. Das Kneipenimage ist längst passé, auch immer mehr bisherige Skeptiker verfallen den Präzisionswerfern. Felix Alex hat mit Darts-Profi und Sport1-Experte Martin Schindler, der die WM in London knapp in der Qualifikation verpasste, über Kopfrechnung, Frauen-Siege und einen deutschen Weltmeister gesprochen.
Herr Schindler, es ist Dezember, andere Sportarten pausieren, die Darts-WM bekommt die Aufmerksamkeit, ein besseres Datum für den Höhepunkt der Saison gibt es kaum oder?
Für viele Menschen gehört die WM schon fest zur Winter- und Weihnachtszeit. Auch ich höre von Leuten, bei denen ich weiß, dass sie ansonsten mit Darts nicht so viel am Hut haben, dass die Dezember- und Neujahrszeit für sie Darts-WM-Zeit ist – das ist mittlerweile Kult und wird jedes Jahr mehr. Das ist ganz cool, vermittelt aber auch ein falsches Bild, weil die WM zwar wichtig ist, aber es auch viele weitere Turniere rund ums Jahr gibt.
Die Fangemeinde wächst stetig. Und das ohne einen absoluten Topspieler aus Deutschland. Wie ist so etwas zu erklären?
Das ist ja bei dem Sport nicht unbedingt wichtig, dass es einen Deutschen gibt, der da oben mitspielt. Es sind die anderen Faktoren, die Darts ausmachen: diese schnellen Entscheidungen alle paar Minuten, die große Party, die man immer im Fernsehen sieht, die im Hintergrund stattfindet. Sollte es aber dazu kommen, dass Max Hopp, ich oder jemand anderes ganz oben in den Top fünf der Welt dabei ist, wird das noch einmal einen anderen Effekt haben.
Irgendwie kommt gefühlt jedes Jahr ein neues deutsches Darts-Talent um die Ecke, wie jetzt gerade Nico Kurz, der beinahe ins WMAchtelfinale eingezohen wäre. Hat es der Sport bei den Aktiven raus aus der Nische geschafft?
Es hat sich viel getan durch den DDV (Deutschter Dart Verband, d. Red.) und die PDC Europe (Professional Darts Corporation, d. Red.), die sehr viel Marketing betreibt und Profiturniere vor den Haustüren der deutschen Fans ausrichtet. Zudem bilden sich immer mehr Vereine, die Ligen spielen oder als Fans zu Turnieren fahren. Das macht es den jungen Menschen einfacher und bei ihnen ist die Lernkurve am höchsten und dann kann es ganz schnell gehen.
Wie war es denn damals bei Ihnen? Wir hatten im Keller eine einfache elektronische Dartsscheibe und ich habe dann schon mit zehn Jahren die ersten Dartsübertragungen auf Sport1 im Fernsehen gesehen. Mit ein bisschen Training – meist zur Weltmeisterschaftszeit – bin ich dann so gut geworden, dass mein Vater 2012 gesagt hat, wir suchen uns jetzt einen
Dartsverein. 2,5 Jahre später bin ich dann zum ersten Mal bei der PDC Europe in Düsseldorf auf der Bühne gestanden und habe gegen Raymond van Barneveld gespielt.
Womit wir bei der aktuellen WM wären, die Legende van Barneveld hat nach seiner Auftaktniederlage die Karriere beendet. Allgemein scheint das Feld jedes Jahr enger zusammenzurücken.
Das ist auch nicht nur ein Eindruck. Der einzige Vorteil dieser Top-Guns ist, dass sie diese Erfahrungen aus vielen Weltmeisterschaften zuvor mitbringen. Sie können mit dem Druck wahrscheinlich besser umgehen als jemand, der erst zwei- oder dreimal dabei war. Mit dem Ausscheiden von Rob Cross (Ex-Weltmeister d. Red.) oder Michael Smith (letztjähriger Halbfinalteilnehmer) sieht man aber, dass es eben nicht nur noch 20 Spieler in der Welt gibt, die hervorragend Darts spielen können, sondern schon 60 bis 80.
Und dann gibt es da aber doch einen Darts-Dominator. Wie ist Michael van Gerwen denn privat? Vor allem ist er ein sehr fairer Verlierer, der die Schuld nie bei anderen, sondern immer bei sich selbst sucht. Diese Fähigkeiten haben nicht viele. Er ist ein Kämpfer, er ist absolut überzeugt von sich und hat privat immer Scherze auf Lager. Ich habe sehr viel Respekt vor ihm und – was man auch immer als Zuschauer sieht –er ist auch teilweise sehr einschüchternd mit seiner Körpersprache. Was den Titel angeht, ist MvG definitiv Favorit und wird das auch bleiben.
Max Hopp, der seit Jahren als deutsche Nummer 1 gilt, ist in der dritten Runde gescheitert. Hat er sich wieder zu viel Druck auferlegt?
Er hat bereits gesagt, dass er einmal Weltmeister werden möchte und war auch dieses Jahr sehr offensiv. Dieser Druck lastet dann auf ihm, und das man auch gemerkt und gespürt.
Allgemein sieht es am Board nicht immer entspannt aus. Auch wenn es noch nicht gerade viele Modellathleten gibt, wie sieht das Alltagstraining eines Profis denn aus? Effektiv am Dartsboard steht jeder unterschiedlich. Ich zum Beispiel gar nicht so viel, vielleicht so zwei Stunden täglich. Aber es gibt genug Übungen drumherum. Training mit Widerständen, Gummibändern an den Armen oder generell Fitnesstraining. Man muss auf so vielen Ebenen fit sein, um bei der WM auf der Bühne seine Leistung zu bringen.
Für den Zuschauer sind vor allem die Rechenleistungen oft beeindruckend. Die verbleibenden Punkte, die unzähligen Wege, um auf null zu kommen. Sind Sie alle Mathe-Genies?
Das ist eine Sache des Auswendiglernens. Es gibt Tabellen, die man auswendig lernt. Wenn man dann ein paar Jahre am Board steht und sich mit anderen erfahrenen Spielern austauscht, dann lernt man neue Wege oder wie man sich ein Finish stellt. Dann ist es ein reiner Automatismus. Man weiß einfach, dass 75 die Triple-17 für die Doppel-12 ist oder auch Single-17, Single-18, Doppel-20. Das ist auf Knopfdruck abrufbar, wir sind da schneller als jeder Taschenrechner.
Darts hat vieles, was es in anderen Sportarten nie geben wird. Mit Fallon Sherrock hat zum Beispiel die erste Frau ein WM-Spiel gegen einen Mann gewonnen. Geschlechtertrennung herrscht ja fast in jedem anderen Sport auf dieser Erde, aber nicht beim Darts. Egal ob große oder kleine Charaktere, schlanke Menschen oder ein richtiger Koloss: Jeder kann diesen Sport spielen – egal wie jung oder alt er ist –das macht es so attraktiv. Zudem hat man als Fan und Kommentator immer was zu tun. Die 180er (Maximale Punkte mit drei Pfeilen), das schnelle Hin und Her, die Entscheidungen, ein Spiel kann innerhalb einer Minute kippen, dazu die feiernde Masse im Hintergrund – das alles macht diesen Sport aus.
In England ist Darts bereits der beliebteste Sport nach Fußball. Kann das in Deutschland ebenso sein? Ich bin mit der Entwicklung vollkommen zufrieden und es ist auch sehr schön, wenn man weiß, man hat selbst etwas dafür getan, dass junge Spieler an den Sport herangeführt werden. Ich glaube, in zehn Jahren wird das nochmal ganz anders aussehen. Dann wird es normal sein, wenn es heißt: Ich war schon als Kind mit meinem Vater beim Darts.