Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der VfB senkt den Daumen
Eine Frage der Entwicklung: Stuttgart entlässt Trainer Tim Walter, die Nachfolge ist offen
STUTTGART - Blutleere Auftritte, frostiges Klima, maue sportliche Bilanz: Der Zweitliga-Dritte VfB Stuttgart hat nach 175 Tagen alles auf Null gestellt und kurz vor Heiligabend Trainer Tim Walter vor die Tür gesetzt. In der Führung des fünfmaligen Meisters waren die Zweifel zu groß geworden, dass sich der sportlich und finanziell so wichtige Wiederaufstieg mit dem 44-Jährigen realisieren lässt. „Es war unser Wunsch und unser klares Ziel, mit Tim Walter unsere kurzund mittelfristigen Ziele zu erreichen: die Rückkehr in die Bundesliga und die Weiterentwicklung unserer Mannschaft“, sagte Vorstandschef Thomas Hitzlsperger am Montagabend. Es sei aber „zunehmend deutlich“geworden, „dass unterschiedliche Ansichten über die Entwicklung des Kaders zur Realisierung unserer sportlichen Ziele bestehen“.
Vorausgegangen war zwei Tage nach dem 2:2 zum Jahresabschluss bei Hannover 96 eine lange Aussprache, für die Sportdirektor Sven Mislintat „eine knallharte Analyse“angekündigt hatte, „es kommt alles auf den Tisch“. Als alles auf den Tisch gekommen war, war Walter weg – Hitzlsperger und Mislintat senkten den Daumen über den 44-Jährigen. Bereits in den Wochen zuvor hatte es angeblich Unstimmigkeiten in der Dreierspitze über den weiteren Kurs gegeben.
Mislintat: „Das Diktat des Ergebnisses“
„Bei der Verpflichtung von Tim Walter haben wir uns für ein Trainerprofil entschieden, welches unseres Erachtens zu unserer klaren Vorstellung vom zukünftigen Spielstil – einen aktiven, offensiven, aggressiven und mutigen Fußball zu spielen – passte“, sagte Mislintat: „Leistungsfußball unterliegt aber auch dem Diktat des Ergebnisses, der Entwicklung und des sportlichen Trends.“
Nach 18 Spielen steht der VfB zwar auf Relegationsplatz drei mit durchaus noch realistischen Chancen, direkt aufzusteigen. Dies aber auch zum großen Teil deswegen, weil sich die Konkurrenten wie der punktgleich auf Rang zwei liegende Hamburger SV reihenweise eigene grobe Schnitzer leistete. Fünf Niederlagen, nur 31
Punkte aus 18 Partien, zuletzt nur elf Punkte in zehn Spielen – das war zu wenig für einen luxuriösen, mit (Ex-) Nationalspielern gespickten Kader. Und selbst Verfolger und Nachbar Heidenheim, nächster Gast am Wasen, hat ein besseres Torverhältnis.
In Stuttgart funktionierte Walters experimenteller Offensivstil, bei dem die Außenverteidiger im Angriff nach innen rücken und vorne quasi andauernd rochiert wird, beileibe nicht so gut wie zuvor in seinem Jahr bei Holstein Kiel, wo Walter und seine Mannschaft allerdings auch weit weniger Druck hatten. Und auch Walter, zuvor Bayern-Nachwuchscoach, funktionierte nicht so gut. Seine dominante Art wurde mitunter als überheblich wahrgenommen, Ex-Nationalspieler Holger Badstuber machte öffentlich seinem Unmut Luft, auch das Theater um den wechselwilligen Santiago Ascacibar war ein Ärgernis. Und: Walter fand nie zu einer Stammelf, hatte allerdings auch das Problem, gleich 19 Neuzugänge integrieren zu müssen und ihnen einen Fußballstil zu lehren, den es so auf der Welt nicht oft geben dürfte.
Daniel Didavi dankt Walter für den Spaß am Spiel
Statt den Traditionsclub in die Zukunft und in gewünschte Höhen zu führen, ist Walter nun schon wieder weg, er hielt sich nicht einmal so lange wie seine Vorgänger Tayfun Korkut (250 Tage) und Markus Weinzierl (193) in Liga eins. Sportchef Thomas Hitzlsperger, der ihn geholt hatte, steht nun umso mehr unter Druck.
„Bezüglich eines Nachfolgers haben wir noch keine Entscheidung getroffen“, sagte der 37-Jährige. Zwei mögliche Kandidaten aber hatte der „kicker“bereits vor acht Tagen gehandelt: den im November bei Erstligist Mainz entlassenen Sandro Schwarz (41). Und Markus Anfang (45), der im April beim 1. FC Köln trotz Aufstiegskurs gehen musste. Anfang war Walters direkter Vorgänger in Kiel – und könnte jetzt dessen direkter Nachfolger in Stuttgart werden.
Immerhin: Einige Spieler erklärten sich solidarisch mit Walter. „Danke, dass du mir den Spaß am Spiel zurückgegeben hast“, schrieb Daniel Didavi unter ein gemeinsames Bild auf Instagram. Den Spaß womöglich schon – aber eben nicht die Ergebnisse.