Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Untersteller fordert bewusste Böllerei
Sind Feuerwerke heute noch zeitgemäß, oder gehören sie verboten? – Recherchen in der Schusslinie eines brandheißen Themas
STUTTGART/TETTNANG (sz) Kurz vor Silvester hat Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zum bewussten Umgang mit Böllern und Raketen aufgerufen. Silvesterfeuerwerkskörper dürfen nur am 31. Dezember und am 1. Januar gezündet werden. In manchen Städten bestehen noch weitere Einschränkungen. Ob die Knallerei in Zeiten von Klimawandel und Feinstaubbelastung noch zeitgemäß ist, wird derzeit genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, ob es per Gesetzesänderung einfacher werden sollte, Feuerwerk zu verbieten.
TETTNANG - Es gibt da diesen etwas müden Witz, der so alt ist wie der Slogan „Brot statt Böller!“selbst. Er geht so: Brot statt Böller sei keine Alternative. Denn Brot knalle kein bisschen, wenn man es anzünde. Damals, als die Initiative „Brot statt Böller!“aufkam, ging es im Kern darum, das Geld für Feuerwerk besser gegen den Hunger auf der Welt zu spenden, statt es buchstäblich in Rauch aufgehen zu lassen. Die Diskussion im ausgehenden Jahr 2019 sind andere: Sie haben zu tun mit Klimaschutz, mit Feinstaub und der Frage, ob es in Zukunft per Gesetzesänderung deutlich einfacher werden wird, Feuerwerksverbotszonen auszuweisen. Und damit in erster Linie die Möglichkeiten von Privatleuten weiter einzuschränken, Freudenfeuer zu zünden.
Insofern kann Geriet Kassner eigentlich ganz entspannt sein. Denn der ausgebildete und lizensierte Pyrotechniker aus Tettnang steht mit seinem Beruf nicht in der vordersten Schusslinie dieser Diskussionen. „Meine Arbeit regelt das Sprengstoffgesetz“, sagt Kassner als Chef der „Pyro-Crew“und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Im Ofen prasselt ein helles Feuer, während ein frostiger Wind um das Haus im Tettnanger Hinterland weht. Das Gesetz regelt Kassners Arbeit insofern, als der 47-Jährige für seine professionellen Feuerwerke gar keine Genehmigung braucht. „Ich muss ein Feuerwerk lediglich behördlich anmelden.“Ihm das dann zu verbieten, ist rein gesetzlich nicht möglich, aber: „Natürlich hat man als Pyrotechniker kein Interesse, sich mit den Behörden anzulegen.“Man folge in so einem Fall dem Wunsch der Kommune – auch wenn er es per Gesetz gar nicht müsste.
Die Regelungen im Sprengstoffgesetz sind nicht ganz eindeutig formuliert. Es heißt, das „Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinderund Altenheimen sowie besonders brandempfindlichen Gebäuden“ist untersagt. Eine Definition für unmittelbare Nähe enthält das Gesetz allerdings nicht. Und daher gibt es genug Interpretationsspielraum für Diskussionen. Mehr Klarheit will Bundesinnenminister Horst Seehofer durch die Überarbeitung der Novelle schaffen. Allerdings frühestens Ende 2021, wie er kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“sagte. Damit soll es Städten dann einfacher möglich sein, für bestimmte Bereiche Feuerwerk- und Böllerverbote rechtssicher auszusprechen.
Bis es so weit ist, können sich Kommunen nur auf konkrete Sicherheitsrisiken berufen, um Bürger oder besondere Gebäude von historischem Wert durch eine Verbotszone zu schützen. Auf dieser Grundlage bestehen in den Altstädten etwa von Ravensburg, Konstanz, Bad Waldsee oder Lindau bereits Feuerwerksverbote. Doch diese Regelungen genügt einer wachsenden Zahl von Menschen bei Weitem nicht mehr – vielen ist die Knallerei generell ein Dorn im Auge.
Das gilt besonders für die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Bekannt und gefürchtet als erbarmungslose Klägerin für die Einhaltung von Emissionsgesetzen in Innenstädten – Stichwort Dieselfahrverbote – bildet die Organisation auch die Speerspitze im Kampf gegen Pyrotechnik und hat in 98 mit Feinstaub belasteten deutschen Städten beantragt, jegliches Feuerwerk zu stoppen. Die Stimme der DUH ist Jürgen Resch, der im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“betont: „Wir sind keine Spaßbremsen!“Die DUH wende sich mitnichten gegen ein rauschendes und leuchtendes Silvester. „Sondern gegen eines mit hoher Feinstaubbelastung, großen Gesundheitsrisiken und jeder Menge Müll.“Gegen eine musikalische Licht- und Lasershow, durch die alle schädlichen Aspekte des Feuerwerkens kein Thema seien, habe er rein gar nichts einzuwenden.
Davon hält der Traditionalist Dirk Abolins nicht viel. Der Mann ist neben seiner Tätigkeit beim Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk (BVPK) leidenschaftlicher Feuerwerker. Aus seiner Sicht hat Feuerwerk keine Relevanz in der Klimadiskussion. Beim Feinstaub räumt er zwar ein, dass dieser beim Feuerwerk durchaus entstehe. Allerdings „ist die Belastung so schnell vorbei, dass diese Kurzzeitexposition keinerlei Auswirkungen für die Gesundheit hat“, betont Abolins. Entsprechend gering sei der positive Effekt, wenn Feuerwerk abgeschafft würde. Aber allein die Diskussion darum habe heute schon deutliche Auswirkungen. Dirk Abolins: „Importeure klagen über schrumpfende Umsätze bei Feuerwerksartikeln.“Sie bewegten sich im Bereich von fünf bis zehn Prozent. Das seien bei 120 bis 130 Millionen Euro Gesamtumsatz zu Silvester durchaus relevante Einbußen.
Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund betont im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass für die meisten Haus- und Wildtiere Silvester kein Grund zum Feiern, sondern ein „Albtraum“sei. „Tiere können das plötzliche Geschehen nicht einordnen und wegen ihres sensiblen Gehörs leiden sie besonders. Der ohrenbetäubende Lärm, der Brandgeruch und die Lichtblitze am Himmel versetzen Haus- und Wildtiere in Angst und Schrecken.“Dennoch pocht die Tierschutzorganisation nicht auf einem Totalverbot. Viel wäre aus ihrer Sicht schon erreicht, wenn wenigstens die gesetzlich erlaubten Feuerwerkszeiten eingehalten würden. „Die Silvesterknallerei geht ja nicht erst am Silvesterabend los, sondern vereinzelt bereits mit dem Verkaufsstart der Feuerwerkskörper am 29. Dezember und über die Jahreswende hinaus“, klagt Hester Pommerening. Profifeuerwerker Geriet Kassner hatte auch mal einen Hund. Der allerdings sei die Ruhe selbst geblieben und nicht ausgeflippt, wenn Herrchen in unmittelbarer Nähe Riesenspektakel abgefackelt habe. Aber auch Kassner findet, dass sich alle Feierwütigen an die Gesetze halten sollten. „Ich habe Verständnis dafür, dass es Schutzzonen geben muss und ich befürworte das auch.“Allerdings glaubt er nicht daran, dass Verbote in größerem Stil irgendwas bewirken könnten. „Denn es ist ja heute schon so, dass die Behörden gar nicht die Leute haben, um für die Einhaltung der Vorschriften zu sorgen.“Damit seien eine Verschärfung des Sprengstoffgesetzes und mehr Verbote durch die Kommunen aus Kassners Sicht Papiertiger. In der Tat ist es schwer vorstellbar, gut angeheiterte Menschenmassen um Mitternacht des 31.12. überwachen zu wollen. Zumal auch die potenziellen Überwacher den Silvesterabend lieber mit Feiern statt mit Ermahnen verbringen.
Dafür spricht auch folgende Zahl aus dem Polizeipräsidium Konstanz, das für weite Teile Oberschwabens zuständig ist und Städte wie Ravensburg, Sigmaringen und Friedrichshafen umfasst. Sie lautet: acht. So viele Anzeigen hat die Polizei im Jahr 2018 wegen Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Feuerwerk bearbeitet. Obwohl kurz nach Weihnachten ständig und zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo rumgeknallt wird. Dabei ist nach Angaben des Polizeisprechers nicht klar unterscheidbar, ob es sich bei den acht Verfahren ausschließlich um Vorkommnisse im Umfeld von Silvester handelt. Echte Straftaten als Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz hat das Polizeipräsidium Konstanz zwölf gezählt. Darunter fällt etwa der Besitz und das Abfeuern nicht zugelassener Böller aus dem Ausland. „Oder jemand mischt selbst Schwarzpulver zusammen“, wie der Polizeisprecher erklärt.
Wenn es um Silvester geht, ist Jürgen Resch als Chef der Deutschen Umwelthilfe jedwede von Schwarzpulver angefeuerte Sentimentalität fremd. „Durch das Feuerwerk zu Silvester entsteht in zwei Stunden so viel Feinstaub wie sonst in zwei Monaten durch den Verkehr.“Darüber hinaus würden winzige Kunststoffteilchen freigesetzt, die sogar lungengängig seien. Dioxine, Furane und andere Chemikalien, deren Wirkung niemand so genau kenne. „Wissen Sie, woher die schöne grüne Farbe beim Feuerwerk kommt? Bariumnitrat! Und das Rot? Strontiumnitrat!“, sagt Resch und verweist auf die tagelang anhaltenden Belastungen, unter denen Menschen mit Atemwegserkrankungen zu leiden hätten. „Allein in Berlin gibt es 50 000 Kinder mit Asthma.“Menschen, deren Lungen durch das Feuerwerk an ihre Grenzen kämen. „Ich predige keinen Verzicht, sondern ich werbe dafür mit 60 Prozent der Bevölkerung, die uns unterstützen, mit dem Unsinn aufzuhören.“Wenn Städte wie Überlingen, Landshut, Graz und Sydney erfolgreich auf Sound- und Lichtshows setzen könnten, dann sei das überall möglich.
Geriet Kassner aus Tettnang glaubt an den Fortbestand der Feuerwerktradition und er sieht zumindest für seinen kleinen Betrieb bislang keine Anzeichen, dass sich die Menschen von der brennenden und krachenden Leidenschaft verabschieden könnten. „Der Umsatz ist stabil, ich bin zufrieden.“Er genießt es, gerade Großfeuerwerke nach einer bestimmten Dramaturgie zusammenzustellen. „Gerne mit Musik.“Es gebe sogar eigens für
Feuerwerke komponierte Stücke. Zwar kauft Kassner alle einzelnen Effekte für seine Feuerwerke von zertifizierten Herstellern zu und mischt Chemikalien nicht selber. Dennoch sind Sonderwünsche kein Problem. „Wenn Sie es besonders gern rosarot möchten, dann können wir das berücksichtigen.“
In Nordrhein-Westfalen hat eine Reihe von Einzelhändlern vor Kurzem angekündigt, keine Feuerwerksartikel mehr in ihren Geschäft anbieten zu wollen. Aus Gründen des Tier- und Umweltschutzes. Und bei uns? Der Rewe-Konzern schreibt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Märkte der REWE Group (Rewe, Penny, Toom) bieten Silvesterartikel an wenigen Tagen im Jahr an. Darüber hinaus stellen wir es unseren selbstständigen REWE-Kaufleuten selbstverständlich frei, ob sie in ihren Supermärkten Silvesterfeuerwerk verkaufen möchten oder nicht.“Wer auf einen Verkauf verzichtet, darüber lägen der Konzernzentrale keine Daten vor.
Johannes Esslinger, der in der Bodenseeregion eine Reihe von Edeka-Märkten betreibt, schüttelt bei der Feuerwerksdiskussion nur den Kopf: „Kein Feuerwerk mehr anzubieten, empfinde ich als Augenwischerei.“Der Handel habe bedeutendere Stellschrauben, um wirklich etwas für den Umweltschutz zu unternehmen. Und zwar nicht nur zu Silvester. „Viel wichtiger ist doch, dass wir kurze Lieferwege haben mit Produkten aus unserer Region und zum Beispiel Plastik aktiv vermeiden.“In einem seiner Märkte biete er deshalb unverpackte Ware auf einigen Regalmetern an, die Kunden in mitgebrachte Behälter füllen könnten. „Aber Feuerwerk nicht mehr verkaufen? Quatsch!“, sagt Esslinger.
Aus Sicht von Jürgen Resch von der DUH wird das neue Jahr 2020 jenes sein, in dem die Weichen der Zukunft für Feuerwerke, wie wir sie bisher kannten, gestellt werden. Er hoffe endlich auf den „Sprung in die Neuzeit“. „Die Freiheit des Einzelnen muss vielleicht doch stärker eingeschränkt werden, wenn es andere berührt“, glaubt Resch. Es an Silvester so richtig krachen zu lassen, sei jedenfalls keine Frage von Schwarzpulver.
„Durch das Feuerwerk zu Silvester entsteht in zwei Stunden so viel Feinstaub wie sonst in zwei Monaten durch den Verkehr.“
Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe