Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Völter begrüßt Fonds-Idee
Stuttgarts Börsenchef fordert Umbau der Altersvorsorge
RAVENSBURG (ben) - Der Chef der Börse Stuttgart, Michael Völter, begrüßt den Vorschlag eines Deutschlandfonds, um das Rentensystem zu stabilisieren. „Ich finde die Idee vom Grundsatz her gut“, sagte Völter der „Schwäbischen Zeitung“. Der Börsenexperte verweist auf das schwedische Modell, bei dem jeder Bürger einen bestimmten Anteil seines Rentenversicherungsbeitrages in einen Fonds einzahlt. „Wir müssen weg von der reinen Versorgungsmentalität
und hin zu mehr Selbstverantwortung.“Der Umbau des Umlageverfahrens brauche zwar Zeit, „langfristig könnte ein solcher Fonds aber höhere Renditen erwirtschaften als die Rentenversicherung.“
Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte den Vorschlag aufgebracht, das ifo-Institut ihn im Frühjahr modifiziert übernommen. Im Kern geht es darum, die Aktienmärkte für eine bessere Altersvorsorge zu nutzen.
RAVENSBURG - Als Rentenexperte sieht sich Michael Völter nicht, und eigentlich wollte der Chef der Börse Stuttgart bei seinem Besuch bei der „Schwäbischen Zeitung“auch über die neue Strategie seines Hauses im Hinblick auf das Phänomen Kryptowährungen sprechen – und darüber, dass sein als Verein organisiertes Unternehmen vom Handelsvolumen die zehntgrößte Börse im europäischen Raum ist. Als Benjamin Wagener und Andreas Knoch Völter allerdings auf die Altersvorsorgeangewohnheiten der Deutschen ansprechen, bricht es aus dem Börsenexperten heraus – und Völter hält ein Plädoyer für verstärkte Aktienkultur und mehr Eigenverantwortung.
In der Weltwirtschaft mehren sich die negativen Konjunkturvorzeichen, die Aktienmärkte halten sich dagegen erstaunlich gut. Wie passt das zusammen?
Bisher hat es die Erwartung gegeben, dass die Zinsen mittelfristig wieder steigen könnten. Mittlerweile gehen die Marktteilnehmer davon aus, dass die Zinsen weiter niedrig bleiben. Damit bleibt die Bereitschaft hoch, statt in Zins-Produkte ohne nennenswerte Rendite in Sachwerte zu investieren – also in Aktien, aber auch in Immobilien oder Gold.
Ändert dieser Druck auch die Einstellung der Privatanleger zu Aktien?
Im Vergleich zu früher kommt mehr privates Vermögen an den Börsen an. Aber wenn man es absolut sieht, sind wir immer noch ein Volk, das zu wenig am Aktienmarkt aktiv ist. Die Aktie ist als Vermögenswert ein wichtiges Anlagegut und ermöglicht eine Teilhabe am Produktivvermögen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt.
Eine Was-wäre-wenn-Frage: Gesetzt den Fall, dass die Zinsen steigen, wäre ein Chrash die Folge? Wenn die Zinsen nur leicht steigen, würde das wohl keine Flucht aus den Sachwerten auslösen. Statt der Geldpolitik würden dann wieder verstärkt Wirtschafts- und Unternehmensdaten die Marktentwicklung bestimmen. Bei einem starken Zinsanstieg gäbe es möglicherweise das Problem, dass einige Staaten sich nicht mehr finanzieren könnten, weil sie die Zinsbelastungen nicht stemmen könnten.
Könnten die noch immer nicht gelösten Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China einen Kursrutsch auslösen?
Die Entwicklung der Strafzölle und Gegenmaßnahmen, die vor zwei Jahren begonnen hat, halte ich für fatal für die gesamte Weltwirtschaft. Die Aktienmärkte schauen nach vorne, Risiken werden in die Kurse eingepreist. Aber auch die jüngsten Kursanstiege gehen auf den Handelskonflikt zurück, weil US-Präsident Donald Trump die Hoffnung auf eine Einigung befeuert hat.
Was bedeutet das für den Privatanleger?
Man sollte nicht bei den kleinsten Rücksetzern aus dem Markt rausgehen und dann an der Seitenlinie warten, bis die Aktienkurse wieder steigen. Besser ist, einfach investiert zu bleiben und Ruhe zu bewahren. Dabei hilft ein gut durchmischtes Depot, bei dem man nicht alle Eier in einen Korb legt, wie man so schön sagt. Zudem empfiehlt es sich, kontinuierlich und zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu kaufen. Dann lassen sich mittel- und langfristig mit Aktien nahezu immer Gewinne erzielen.
Warum kommen solche Argumente im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland nicht bei den Menschen an, die trotz allem in der Regel auf klassische Sparanlagen setzen?
Das liegt an einer jahrzehntelang gelebten Kultur. Wir müssen aber von der Couch runter und dürfen uns nicht mehr hinter den drei Ausreden verstecken: Ich habe zu wenig, ich verstehe zu wenig, und ich scheue das Risiko. Wer heute aufs Sparbuch setzt, gibt pro Jahr um die zwei Prozent seines Geldes ab – durch Inflation und künftig möglicherweise auch durch Strafzinsen. Natürlich ist das Risiko an den Aktienmärkten ausgeprägter. Aber dort haben Anleger zumindest die Chance, eine ordentliche Rendite zu erzielen.
Aber Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will nun dem Kleinsparer helfen und Strafzinsen verbieten. Wie soll das funktionieren? Ich bin gespannt – vielleicht denkt er an eine steuerliche Abzugsfähigkeit. Aber es ist ja so, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Zinspolitik der Wirtschaft helfen will. Da halte ich es für kontraproduktiv, wenn andere politische Institutionen beginnen, gegen die EZB zu arbeiten.
In anderen Ländern herrscht eine andere Aktienkultur. Warum?
In Deutschland wird in der Regel der Sparer bevorzugt, in Schweden beispielsweise gibt es eine steuerliche Bevorzugung für Aktieninvestments. Ich finde das schwedische Modell hervorragend. Dort muss jeder Bürger einen Teil seiner Altersvorsorge in Aktien anlegen. Dabei wird er auch gefragt, wie er diesen Teil anlegen möchte. So muss er sich automatisch mit dem Thema Kapitalmärkte auseinandersetzen.
Auch in Deutschland gibt es nun die Idee, die Altersvorsorge auf eine kapitalgedeckte Basis zu stellen. Ein sogenannter Deutschlandfonds ist da im Gespräch. Was halten Sie davon?
Ich finde diese Idee vom Grundsatz her gut, ich könnte mir so ein Modell für uns vorstellen. Wir müssen weg von einer reinen Versorgungsmentalität und hin zu mehr Selbstverantwortung in der Altersvorsorge.
Wie könnte das praktisch funktionieren?
Wenn wir uns an Schweden orientieren, müsste jeder einen bestimmten Prozentsatz seines Rentenversicherungsbeitrags in den Fonds einzahlen. Bei einem Teil dieser Anlage würde man gefragt, wie man ihn anlegen will, was wiederum die Eigenverantwortung stärkt.
In welche Anlageklassen sollte der Deutschlandfonds investieren? Ich bin kein Rentenexperte, sondern Börsenchef. Deshalb komme ich mit einer alten Börsenregel: Breit gestreut in unterschiedliche Anlageklassen. In dem Fonds sollten deutsche Aktien genauso zu finden sein wie europäische und internationale Aktien, aber auch Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und als Beimischung Rohstoffe.
Aber jeder Beitrag, der in den Deutschlandfonds investiert wird, vermindert doch den Anteil, der in das Umlageverfahren fließt – wie kann man den Systemumbau bewerkstelligen?
So ein Umbau würde wohl Jahre und Jahrzehnte dauern. In dieser Zeit müsste der Staat möglicherweise seine Zuschüsse in die Rentenversicherung erhöhen. Langfristig könnte ein Deutschlandfonds aber höhere Erträge erwirtschaften als die Rentenversicherung, was zu einer Entlastung des Staates führen würde.
Wird die Politik auf solche Argumente hören?
Derzeit ist vieles darauf ausgerichtet, den Bürger vor Unbill zu schützen. Es geht oft um Verbraucherschutz, Selbstverantwortung ist nicht en vogue. Ich bin nicht sicher, ob die Politik bereit ist, über ihren Schatten zu springen und mutige Schritte umzusetzen. Aber sie sollte es: Wir verschenken Geld, wir verschenken Volksvermögen.
Blickt man auf die neuesten Rentenpakete, geht die Entwicklung aber in die andere Richtung, oder? Ich sehe, dass der Beitrag des Staates zur Rentenversicherung von Jahr zu Jahr steigt und mit weiteren Rentenzugeständnissen wächst. Ich würde mir wünschen, dass – egal in welchem Verfahren – immer größere Teile der Rentenvorsorge am Kapitalmarkt angelegt werden, um dort höhere Renditen zu erwirtschaften.
Sollten bei Altersvorsorgeprodukten Versicherungsanbieter eine Rolle spielen, die ja immer einen Teil der Sparraten für sich als Gebühren abzweigen, oder sollte sich jeder Sparer eigenständig mit Aktiensparplänen absichern?
Im Hinblick auf die Altersvorsorge hat ein Versicherungsmantel schon einen gewissen Sinn, denn bei ihm ist die Hürde, die Vorsorge aufzulösen, wesentlich größer. Wenn man in zehn Jahren ein neues Auto braucht und das Geld in einem Sparplan liegt, dann kann man schon versucht sein, die Altersvorsorge anzutasten. Versicherungen löst man in der Regel nur in Notlagen auf. Das ist ein Selbstschutzmechanismus für jeden Einzelnen. Vom Grundsatz her lassen sich über Aktiensparpläne natürlich größere Vermögen ansparen.
Bevor sich Verbraucher solche Fragen stellen, ob eine Lebensversicherung oder ein Aktiensparplan für sie besser ist, stehen sie oft aber vor einem anderen Problem. Sie wissen einfach nicht, wie man überhaupt Aktien kauft.
Das stimmt. Eine Frage, die ich sehr häufig gestellt bekomme, ist, ob man direkt an der Börse handeln kann. Selbst die Grundlogik, dass man bei einer Bank oder einem Online-Broker ein Depot eröffnen muss, über das man dann Wertpapiere kauft, kennen also viele nicht. Diese Fakten müssen alle Finanzinstitutionen immer wieder vermitteln.
Verbraucher kritisieren immer wieder, dass die Berater bei Banken und Versicherungen nicht wirklich weiterhelfen.
Nach den Beratungsrichtlinien muss ein Berater tun, was der Kunde ihm sagt – etwa bei der Auswahl des Börsenplatzes. Dafür muss aber auch der Kunde ein gewisses Grundwissen mitbringen. Zudem dürfen Berater häufig nicht mehr zu Einzelaktien beraten, nur noch zu standardisierten Produkten. Die Dokumentationspflichten sind sehr hoch, bei Verstößen drohen Strafen – da muss man fragen, wie viel Interesse an Wertpapieren ein Berater noch haben kann. Der Staat hat hohe Hürden zum Schutz der Verbraucher aufgestellt, die teilweise aber auch verhindern, dass Experten ihr Wissen weitergeben können.
Damit sind wir wieder bei der Eigenverantwortung.
In der Tat. Viele Menschen informieren sich sehr intensiv, wenn sie ein Auto kaufen, aber nicht mit Blick auf ihre Geldanlage. Dabei ist man erheblich besser dran, wenn man auch einmal selbst ein Informationsblatt liest und sich ein Bild von einer Kapitalanlage macht, um dann vorinformiert zum Berater zu gehen und gezielt nachzufragen.