Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Nichts für Kinder
Die Oper „The Snow Queen“inszeniert Andreas Kriegenburg in München als düstere Seelenreise
GMÜNCHEN - Lag es an falschen Erwartungen, die der Titel des Stücks geweckt hat? Nach der Premiere von Hans Abrahamsens „Schneekönigin“an der Bayerischen Staatsoper gab es jedenfalls nicht nur rauschenden Beifall für die Mitwirkenden, sondern auch einige laute Buhs, als das Regieteam und der Komponist auf die Bühne kamen. So manche Eltern der relativ zahlreich im Publikum vertretenen Kinder haben sich diese vorweihnachtliche Produktion einer Vertonung von Hans Christian Andersens bekanntem Märchen wohl anders vorgestellt.
Regisseur Andreas Kriegenburg hat die Handlung der dreiaktigen Oper in das gruselige Ambiente einer psychiatrischen Anstalt verlegt. Die verwickelte Geschichte wird als düstere Seelenreise erzählt. Anders als bei Helmut Lachenmanns Andersen-Adaption „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“geht es bei Abrahamsen nicht um gesellschaftliche, sondern um persönliche „Kälte“. Das vor zweieinhalb Monaten in Kopenhagen aus der Taufe gehobene Stück kam jetzt am Münchner Nationaltheater erstmals in englischsprachiger Fassung auf die Bühne.
Der von Henrik Engelbrecht und dem Komponisten selbst stammende Text schildert den schwierigen Weg des Geschwisterpaars Kay und Gerda durch die Fährnisse ihrer Adoleszenz. Gleichzeitig wird thematisiert, welche Probleme die depressive Erkrankung eines Partners in einer Paarbeziehung verursachen kann. Kay kapselt sich immer mehr von der Außenwelt ab. Die Schneekönigin lässt sein Herz gefrieren. Die liebende Gerda bemüht sich, seinen psychischen Panzer aufzubrechen, doch auf Dauer macht sich Erschöpfung bei ihr breit.
Auch als Künstlerdrama ist Abrahamsens Oper zu lesen. Kay wird Opfer der Schneekönigin, weil er von der Schönheit perfekt geformter, aber unbelebter Eiskristalle stärker fasziniert ist als von der Anmut natürlich gewachsener Rosen. Der Preis für solche Perfektion ist seine soziale Isolation. Wie schon bei den lose gefügten Episoden von Andersens Märchen ist Gut und Böse keineswegs eindeutig verteilt auf die Figuren des Stücks. Die Titelgestalt, deren Partie von einem Bass gesungen wird, ist keine fiese Hexe, sondern repräsentiert eine gefährliche, aber notwendige Kraft für Kays Entwicklung.
Auch die anderen Protagonisten haben ambivalente Rollen in dieser schillernd erzählten Geschichte. Bei
Kriegenburg ist Kay allerdings einem weit über eine Depression hinausgehenden Wahnsinn verfallen.
Auf Harald B. Thors Bühne öffnen sich Türen in eine Horrorszenerie. Krankenschwestern und Weißkittel (Kostüme: Andrea Schraad) stehen bedrohlich zwischen Anstaltsbetten und Infusionsständern. Ständig rieselt Schnee, alles ist mehlig gepudert. Im grellen, hellgrün-sterilen Licht (Michael Bauer) liegt auf einem OP-Tisch eine zum Sezieren aufgebahrte Tote.
Der verwirrte Kay, doppelt besetzt von einem Mezzosopran (großartig: Rachael Wilson) und einem Schauspieler (Thomas Gräßle), steht im Schlafanzug apathisch herum. Surreal geistern die fantastisch eingekleideten Tiere des Märchens über die Szene. Wächter mit schwarzen Metzgerschürzen und Schneebrillen bewachen den Palast der Schneekönigin. Nur durch deren Reihen und gegen eigene Ängste führt Gerdas Weg zu Kay und dessen Heilung. Die berühmte Sopranistin Barbara Hannigan geht ihn vokal und darstellerisch mit phänomenaler Ausstrahlung.
Exzellent singen auch Katarina Dalayman (Großmutter), der Bass Peter Rose (Schneekönigin, Rentier), die brillante Koloratursopranistin Caroline Wettergreen und Tenor Dean Power als skurriles Prinzenpaar, Kevin Conners und Owen Willetts (Krähen). Cornelius Meister, Chefdirigent der Stuttgarter Oper, führt den von Stellario Fagone vorbereiteten Chor und das Orchester mit bewundernswerter Sicherheit durch die minimalistisch ausgewalzten Klangflächen der schwierigen, auf Dauer etwas einförmig und statisch tönenden Partitur.
Die Vorstellung am 28. Dezember wird ab 19.30 Uhr in voller Länge auf
und steht dort vom 30. Dezember bis zum 29. Januar auch als Videoon-Demand zur Verfügung.