Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Handelsketten gehen auf Bauern zu
Handelsketten unterzeichnen Abkommen auf der Grünen Woche
BERLIN (wom) - Die Handelsketten Aldi Nord und Süd, Lidl, Rewe, Kaufland, dm und Tegut haben auf der Grünen Woche eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass sie die Lieferketten bei ihren Eigenprodukten vom Feld bis in die Filialen transparenter gestalten wollen. Der Wettbewerb soll weniger zulasten der Bauern im Süden gehen. Am Samstag waren Tausende Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt!“für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft durch Berlin gezogen.
BERLIN - Die Vertreterin von Aldi Süd auf einem Podium der Grünen Woche schaut verunsichert drein. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) redet dem Discounter öffentlich ins Gewissen. „Das ist aktives Preisdumping“, schimpft der Minister. Anlass seines Ärgers war eine Preisaktion Aldis. Das Kilogramm Bananen wurde in den Märkten für 79 Cent angeboten. Zuvor hatte Konkurrent Lidl versprochen, die Preismarke von einem Euro zu halten, zog dann aber nach. Dieser Wettbewerb geht Müller zufolge zu Lasten der Erzeuger der Früchte. „14 Cent kostet ein Kilo Bananen im Einkauf“, berichtet Müller, davon könnten die Erzeuger nicht leben.
Der Wettbewerb soll künftig weniger zu Lasten der Bauern im Süden gehen. Das versprechen die Handelsketten Aldi Nord und Süd, Lidl, Rewe, Kaufland, dm und Tegut. Sie haben auf der Grünen Woche eine Selbstverpflichtung unterschrieben. Sie wollen die Lieferketten vom Feld bis in ihre Filialen transparenter gestalten, jedenfalls bei ihren Eigenprodukten. Das sind bei Aldi immerhin 1500. „Wir wollen gerade im Kakao existenzsichernde Einkommen erreichen“, sagt der Nachhaltigkeitsmanager der Rewe-Gruppe, Dirk Heim.
Was das in der Praxis bedeutet, erklärt der Minister. Vom Verkauf einer normalen Tafel Schokolade zum Preis von einem Euro landen bei der Kakao-Plantage lediglich drei Cent. Bei der fair gehandelte Rewe-Hausmarke sind es sieben Cent. Ziel sei eine Verdoppelung, erläutert Heim.
Bei freiwilligen Vereinbarungen will es der Entwicklungsminister nicht mehr belassen. Das habe zu keinem Ergebnis geführt. „Wir werden ein Gesetz auf den Weg bringen müssen“, sagt er. Mit diesem Lieferkettengesetz soll Transparenz über die sozialen Bedingungen der Lebensmittelindustrie entstehen.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen den Trend dieser Grünen Woche. Draußen im Zentrum demonstrieren die Bauern mit Traktoren gegen zu hohe Umweltauflagen.
Drinnen bemüht sich die Industrie um ein neues Image. Da werden Traktoren mit Elektroantrieb angepriesen, Danone stellt seine Forschung an umweltschonenden Verpackungen vor oder McDonalds wirbt mit einer Fleischstrategie. Die Burger-Kette verwendet nur freilaufende Hühner und Rindfleisch vor allem aus regionaler Produktion. Der
Lebensmittelriese Nestlé wiederum wittert im Bewusstseinswandel der Verbraucher ein neues Wachstumsfeld. Vor einem Jahr hat der Konzern an gleicher Stelle den „incredible Burger“aus rein pflanzlichen Zutaten vorgestellt. „Wir haben davon über zehn Millionen verkauft“, sagt Nestlé-Sprecher Alexander Antonoff jetzt. In diesem Jahr wartet die
Veggie-Sparte des Unternehmens nun mit einer Grillwurst aus Soja, Rote Beete, Karotten, Paprika und Pflanzenöl auf, die ab April in den Handel kommen soll. Beim ersten Biss ist der Unterschied zur ordinären Rostbratwurst nicht spürbar. Das Urteil der Messegäste über den Geschmack fällt zur Premiere halbehalbe aus. Das Kalkül Nestlés scheint aufzugehen. Der Umsatz mit vegetarischen Teilfertiggerichten ist 2019 um ein Drittel auf nun 222 Millionen Euro gewachsen. „Das sind Traumquoten“, freut sich der für das Veggie-Geschäft verantwortliche Manager Miguel Serrano. Vor allem Fleischersatzprodukte sorgen für das Wachstum. „45 Prozent der Leute ziehen in Betracht, weniger Fleisch zu essen“, sagt er. Diese so genannten „Flexitarier“sind die Zielgruppe. Das Motto steht über dem Stand des Unternehmens. „Beim Klima geht’s um die Wurst“, heißt es dort.