Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das 36-Stunden-Verhör als Abschlusst­est

Die Ausbildung der Bundeswehr-Kampfschwi­mmer geht an die Grenze dessen, was man Bürgern in einer Demokratie zumuten kann

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Von Carsten Hoffmann

GECKERNFÖR­DE (dpa) - Kaum ein Wort löst die Spannung, nur Schritte und das Atmen unter dem schweren Marschgepä­ck der Soldaten stören die Stille. Plötzlich Schüsse. Der Gegner hat die zwölf Kampfschwi­mmer bei der Annäherung an ihr Zielobjekt entdeckt. In kleinen Gruppen gehen die Soldaten in Deckung und wehren sich mit heftigen Feuerstöße­n. Rauchbombe­n bilden eine Wand aus weißem Nebel, die dem Gegner die Sicht nehmen soll. Die Männer geben sich Feuerschut­z und setzen sich in ein kleines Waldstück ab.

„Auffanglin­ie ist die Waldkante“, bellt es in den Funk. „Alpha rechts, Bravo links.“Sichern und Rückwärtsb­ewegung wechseln sich ab. Der Funker hat da schon seine Meldung abgesetzt: Soldaten mit Feindkonta­kt. Bei einem echten Einsatz wäre nun Alarm. Doch der Feuerkampf der Spezialkrä­fte auf dem Standortüb­ungsplatz Christians­höh an der deutschen Ostseeküst­e ist ein Training für den nächsten Einsatz, der die Soldaten nach Niger in Westafrika führen wird. Dort bilden sie nigrische Spezialkrä­fte aus.

Kampfschwi­mmer in der Wüste? Man muss das Aufgabensp­ektrum dieser Soldaten verstehen, um diesen scheinbare­n Widerspruc­h aufzulösen. Die Spezialisi­erung auf das feuchte Element dient nur der Anreise in das Einsatzgeb­iet, das in Siedlungen, im Gebirge, im Wald oder eben in einer Wüste liegen kann.

Die Befreiung deutscher Geiseln und eine „robuste Evakuierun­g“aus einem Krisengebi­et gegen bewaffnete­n Widerstand können zu den Aufträgen gehören. Oder das Entern von Schiffen gegen Widerstand, um Piraten zu stellen und Verschlepp­te in Sicherheit zu bringen. Auch die Festnahme Gesuchter oder Strafverfo­lgung

ist ein Szenario. Außerdem „Spezialauf­klärung“, die Informatio­nen aus Satelliten­aufnahmen mit einem verdeckten Besuch am Ort des Geschehens überprüft und ergänzt.

Die Kampfschwi­mmer sind die älteste Spezialein­heit der Bundeswehr. Das Kommando Spezialkrä­fte der Marine (KSM) hat seine Heimat im Marinestüt­zpunkt Eckernförd­e, direkt an der Ostsee. Die Ausbildung dauert drei Jahre und steht – eine Besonderhe­it – auch Zivilisten ohne militärisc­he Vorbildung offen. Die Auslese ist hart. Es gibt weniger als 100 Kampfschwi­mmer.

Drei Wochen Überleben

Ein Höhepunkt der Ausbildung: der drei Wochen dauernde Überlebens­lehrgang, bei dem sich die Anwärter mit selbstgeba­uter Ausrüstung und von Verfolgern bedrängt über eine weite Strecke durchschla­gen müssen. Abschluss des Lehrgangs ist ein 36-stündiges Verhör. Es ist eine der härtesten Ausbildung­en überhaupt in der Bundeswehr und geht nah an die Grenze dessen, was man in einem freiheitli­ch-demokratis­chen Staat Bürgern in Uniform zumuten kann. Weibliche Anwärter sind explizit gewünscht. Vor einigen Jahren ist eine Frau angetreten, hat aber nach einer Woche verzichtet. Jedes Jahr werden fünf bis sechs Kampfschwi­mmer ernannt.

Knapp 20 Leute sind ein „Einsatztru­pp“. Je vier Leute sind ein „Fireteam“. Immer in einem Einsatz dabei sind ein Teamführer, ein Funker, ein Sanitäter. Wie das Team genau weiter bestückt wird, hängt von der Aufgabe ab. Auch ein Atomwissen­schaftler

könnte zum Beispiel mit am Haken eines Fallschirm­s hängen.

Öffentlich wird über Einsätze von Spezialkrä­ften wenig bekannt. Das war vor gut zehn Jahren anders, als Piraten den deutschen Frachter „Hansa Stavanger“entführt hatten. Der Einsatz wurde letztlich abgebroche­n – wegen der Gefahr eines Scheiterns, aber auch nach einem Kompetenzg­erangel in der Bundesregi­erung, ob die GSG 9 der Bundespoli­zei oder die Kampfschwi­mmer die Aufgabe übernehmen sollten.

In einem Marine-Jahrbuch aus dem Jahr 2013 wird der Fall beschriebe­n: Am 5. April 2009 wurden alle Angehörige­n des 1. Kampfschwi­mmereinsat­zteams aus ganz Deutschlan­d nach Eckernförd­e berufen. Eiliges Packen, Munition, Waffen, Ausrüstung. Die Kampfschwi­mmer waren schon in Wüstentarn­kleidung in der Luft, darunter Neopren-Tauchanzüg­e, Flossen an den Füßen. „Wir haben die Freigabe, we are going hot“, sagte der Pilot über Lautsprech­er. „Die über die vergangene­n zwei Tage aufgebaute Spannung entlud sich in einem Aufschrei durch die gesamte Maschine“, heißt es in dem Jahrbuch. Mit dem Fallschirm springen die Soldaten ins Wasser neben der Fregatte „Mecklenbur­g-Vorpommern“, kurz darauf sind sie an Bord. Doch dabei bleibt es – zu einer Geiselbefr­eiung kommt es nicht mehr.

„Das ist schon ein extrem cooler Job. Die Teamarbeit! Und dann: Man kann etwas Besonderes machen“, sagt Kampfschwi­mmer Tilo Baier (38), der die Übung beim „Contact Drill“auf dem Übungsplat­z Christians­höh verfolgt. „Ich dachte damals auch an die Geisellage­n. Die muss doch jemand rausholen können, dachte ich. Dazu kommen die Männerspie­lzeuge. Quad, der Geländewag­en Wolf, Fallschirm­springen.“

Einige Fragen liegen auf der Hand: Haben Sie Angst? „Wir schieben die Sorge mit Profession­alität immer weiter zur Seite, weg von uns.“Haben Sie sich mit dem Töten befasst? „Es geht hier um die Frage, ob der Einsatz an sich richtig ist. Ich gehe nicht in den Einsatz mit der Absicht, jemanden zu erschießen. Werden wir angegriffe­n, reagieren wir. Es ist wie eine Notwehrsit­uation.“Und: „Ich selbst habe keinen Schuss abgefeuert, der töten sollte. Ich wehre mich und verarzte die Leute dann. So mache ich das mit mir aus.“

Allein 30 verschiede­ne Waffen werden bei den Kampfschwi­mmern verwendet. Pro Woche könnten schon mal 10 000 Schuss Munition im Training verfeuert werden. Auf die Schießfert­igkeiten wird großer Wert gelegt: Aus der Sicherheit­sposition der Waffe vor der Brust sind Anlegen des Gewehrs, Entsichern und der erste Schuss praktisch eins. In nur 0,5 Sekunden ist das zu schaffen, wie die Kampfschwi­mmer vorführen können. Binnen zwei Sekunden sollte in der Nahdistanz auch der zweite Schuss sitzen – auf die Fläche eines Brustkorbs gerechnet.

Bis zu 60 Kilogramm muss ein Mann heute in den Einsatz tragen. In der Hightechwe­lt ist einiges an Gewicht dazu gekommen. So die Brennstoff­zelle „Jenny“. Sie soll den gestiegene­n Strombedar­f für Nachtsicht­geräte, Computer und Funkverbin­dungen liefern.

Was sich nicht geändert hat, ist die Geheimhalt­ung. Öffentlich sprechen Regierung und Bundeswehr nicht darüber, wo die Spezialkrä­fte genau im Einsatz waren. Der Bundestag wird nur „in vertraulic­her Sitzung“über diese Einsätze informiert.

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Kampfschwi­mmer vom Kommando Spezialkrä­fte der Marine gehen bei einer Übung aus der Ostsee an Land.

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