Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Goldene Zeiten für Fingernagelstudios
Die Innenstädte wandeln sich, da macht Friedrichshafen keine Ausnahme, und wie auch andernorts hat das wesentlich mit dem Internethandel zu tun. Jeder Gewerbetreibende, der mit dem Onlineshopping konkurrieren muss, hat es schwerer als noch vor zehn Jahren. Buchhandlungen, Textilgeschäfte, Drogerien, schlichtweg der ganze Einzelhandel steht vor Problemen.
Gewisse Gewerbe aus der Dienstleistungsbranche kommen mit den Veränderungen dagegen bestens klar. Sie machen sich sogar erst jetzt richtig breit. Sonnenstudios, Fingernagelstudios, Tattoostudios und Fitnessstudios schießen aus dem Boden. Für alles, was auf die Endsilbe „-studio“endet, scheinen goldene Zeiten angebrochen zu sein.
Das kann man merkwürdig finden. Dieser „Studio“-Boom betrifft Dienstleistungen, die vor 20 Jahren noch nicht ins Auge stachen. Sonnenstudios und Fitnessstudios gibt es zwar schon lange, aber sie besetzten eine Nische. Fingernagelstudios sind eine neue Erscheinung: Die Luft in diesen Räumen riecht wohl wie das, was Klebstoffschnüffler inhalieren. Trotzdem sind die Behandlungsstühle so voll als gäbe es nichts Schöneres, als solche Dämpfe einzuatmen.
Wie erklärt sich das? Nun, alle diese verschiedenen „Studios“haben eines gemeinsam: Sie bearbeiten die Körper ihrer Kunden. Dass die Studios einen solchen Boom erleben, könnte also mit einem veränderten Verhältnis der Menschen zum eigenen Körper zusammenhängen.
Die Automatisierung hat uns die schwere Arbeit abgenommen, die Nahrungsmittelindustrie das Kochen, das Auto die körperliche Bewegung und jetzt das Internetshopping die Notwendigkeit der alltäglichen Wege in die Geschäfte. Kurzum: Wir müssen uns nicht mehr verausgaben, was aber auch heißt: Der Körper wird schachmatt gesetzt. Wir tun nichts mehr, wir gestalten nichts mehr, wir konsumieren das Vorgefertigte. Je weniger wir selbst tun, desto mehr wird der Körper zur Leerstelle. Und in der Folge findet möglicherweise eine Art Umpolung statt. Der früher aktive Körper wird passiv. Bislang arbeitete er, jetzt wird er bearbeitet. Er gestaltet nicht mehr, sondern wird seinerseits gestaltet. Diese Umkehrung gab es schon immer, allerdings nur für kleine Bevölkerungsschichten, wie im Absolutismus. Dem Adel, der die körperliche Arbeit auf seine Bediensteten abwälzte, konnte der Körper zum Designobjekt werden – man denke an gepuderte Gesichter und turmhohe Perücken.
Der gesteigerte Körperkult lässt sich auf knappe Formeln bringen: Der funktionslose Körper arbeitet nicht mehr, stattdessen macht er nun viel Arbeit. Er tut nichts, aber er posiert viel. Es ist deshalb kein Wunder, wenn man beim Anblick von Körpern, die mit viel Aufwand „aufgeschönt“wurden, auch von einem schalen Gefühl beschlichen wird. Dasselbe Gefühl kann sich einstellen, wenn man durch die Innenstadt spaziert, vorbei an den
Körperdesign-Studios, die dieses Geschäft der Schönheit betreiben. Dass sie sich rechnen, bedeutet noch nicht, dass sie das Gesicht der Einkaufsstadt Friedrichshafen auf positive Weise verändern.
Die Kulturtipps der Woche: Götz Alsmann und die SWR Big Band reisen am Donnerstag, 23. Januar, 20 Uhr, im GZH durch die Welt des deutschen Jazzschlagers. Das Royal Scottish National Orchestra führt mit der Violinistin Nicola Benedetti am Freitag, 24. Januar, 20 Uhr, im GZH Werke von Ralph Vaughan Williams, Sibelius und Elgar auf. Der Pianist Jürgen Jakob gibt mit vielen Musikern aus der Region wieder eine „Lange Nacht der Kammermusik“, am Samstag, 25. Januar, 19 Uhr, im GZH. Den Schwerpunkt bilden Werke der Russischen Romantik. Der Eintritt ist frei, Spenden gehen an den Ambulanten Kinderhospizdienst Amalie. Beethovens Neunte Symphonie wird am Sonntag, 26. Januar, um 19 Uhr im GZH von der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz und dem Vokalensemble Camerata Serena aufgeführt.