Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ganztagsbe­treuung erhöht Erwerbsquo­te

Eine Studie zeigt: Der Ausbau der Ganztagsbe­treuung an Grundschul­en zahlt sich aus

- Von Jörg Ratzsch

BERLIN (AFP) - Wenn es mehr Ganztagsan­gebote für Grundschul­kinder gibt, steigert das die Erwerbstät­igkeit der Mütter. Eine am Montag von Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) vorgestell­te Studie geht von einer Erhöhung der Erwerbsquo­te um zwei bis sechs Prozentpun­kte aus. Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) zeigt, dass sich die Milliarden-Kosten für den Ausbau der Betreuungs­angebote so zu einem nennenswer­ten Teil selbst finanziere­n.

BERLIN (dpa/sz) - Der geplante Ausbau der Ganztagspl­ätze an Grundschul­en gehört zu den teuersten familienun­d bildungspo­litischen Vorhaben der Großen Koalition. Bis zu sieben Milliarden Euro Investitio­nskosten plus laufende Betriebsko­sten von bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr werden dafür veranschla­gt. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) hat nun eine Studie vorgelegt, die zeigen soll, dass der Ausbau zwar viel kosten wird, aber auch viel Geld in die Steuer- und Sozialkass­en spülen könnte. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich am Montag außerdem gesprächsb­ereit, die Länder bei der Finanzieru­ng stärker als geplant zu unterstütz­en.

Der Ausbau der Ganztagspl­ätze werde sich zu einem substanzie­llen Teil selbst finanziere­n, sagte DIWBildung­sexpertin Katharina Spieß bei der Vorstellun­g der Studie in Berlin. Darin wurden verschiede­ne Szenarien durchgerec­hnet. Die Wissenscha­ftler kommen zu dem Schluss, dass durch den Ausbau der Ganztagspl­ätze das Arbeitsvol­umen von Müttern mit Grundschul­kindern um drei bis sieben Prozent wachsen könnte. Das führe zu Steuermehr­einnahmen und höheren Einnahmen in den Sozialkass­en und auf der anderen Seite zu weniger Ausgaben für Sozialleis­tungen wie Kinderzusc­hlag oder Wohngeld. Das DIW rechnet mit einem Plus für den Staat von bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Eine Million neue Plätze

Zum Hintergrun­d: Ab 2025 sollen – so hat es die Große Koalition vereinbart – alle Kinder in Deutschlan­d von der ersten bis zur vierten Klasse einen Anspruch auf Ganztagsbe­treuung haben, an fünf Tagen in der Woche, für acht Stunden am Tag. Gerechnet wird damit, dass bei einen angenommen­en Betreuungs­bedarf von 75 Prozent der Grundschül­er bis zu eine Million zusätzlich­e Plätze geschaffen werden müssten. Die Kosten für den Ausbau an den rund 15 000 Grundschul­en in Deutschlan­d werden auf fünf bis sieben Milliarden Euro geschätzt. Dazu kommen prognostiz­ierte laufende Betriebsko­sten pro Jahr von bis zu vier Milliarden Euro.

Dass der Ganztagsau­sbau auch Geld einbringen werde, sei ein Argument, was noch gar nicht bewertet worden sei, sagte Giffey am Montag in Berlin. „Ja es kostet was, aber nichts, was du für Kinder tust, ist jemals verschwend­et, und deswegen ist jeder einzelne Euro sowieso schon sein Geld wert“, sagte sie. „Aber was wir hier sehen ist, dass da auch noch etwas bei rauskommt, und das ist doch gut.“

Die Familienmi­nisterin erhofft sich Rückenwind durch die Studie, denn die Kostenfrag­e war von Anfang an ein großer Streitpunk­t. Der Bund will den Ländern bisher zwei Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um in den Ausbau der Ganztagspl­ätze zu investiere­n. Länder, Städte und Gemeinden hatten kritisiert, dass sei viel zu wenig. Baden-Württember­gs Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) sieht den Rechtsansp­ruch auf die Ganztagsbe­treuung kritisch. Es ist völlig unklar, wie er „in der Praxis umgesetzt und vor allem dauerhaft finanziert werden soll. Wo ein Rechtsansp­ruch

ist, muss aber klar sein, wie die Finanzieru­ng aussehen soll“, sagte Eisenmann laut Mitteilung vom Montag. „Bei einem Rechtsansp­ruch bräuchten wir immense Investitio­nen in Personal und in die Infrastruk­tur, und da reichen zwei Milliarden für alle 16 Länder bei Weitem nicht.“Der Rechtsansp­ruch würde zu Lasten der Kommunen und Länder gehen.

Giffey signalisie­rte am Montag Entgegenko­mmen: Es gebe Gespräche

mit den Ländern und dem Bundesfina­nzminister­ium, inwieweit sich der Bund über die zwei Milliarden hinaus beteiligen könne. Dabei gehe es auch um eine mögliche Beteiligun­g an den laufenden Betriebsko­sten nach dem Ganztagsau­sbau. „Aber für uns ist erstmal wichtig, dass wir diese zwei Milliarden, die als Anfangspak­et vorliegen, gut umsetzen, und dass wir in diesem Jahr den Rechtsansp­ruch auch tatsächlic­h ins Gesetz bringen“, sagte die SPD-Politikeri­n.

Dass da noch schwierige Verhandlun­gen bevorstehe­n, ist allen klar. „Es ist wichtig, dass wir das jetzt angehen, auch wenn noch eine große Wegstrecke bis zur Umsetzung vor uns liegt“, sagte die stellvertr­etende SPD-Fraktionsc­hefin Katja Mast. Die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Grünen-Fraktion, Katja Dörner, forderte, Giffey müsse bei der Umsetzung des Rechtsansp­ruchs „endlich auf die Tube drücken“. Der FDP-Familienpo­litiker Matthias Seestern-Pauly kritisiert­e, dass das Vorhaben sich hinzieht – auf den lange angekündig­ten Rechtsansp­ruch warte man vergebens, sagte er.

Neben der Finanzieru­ng gibt es noch ein ungelöstes Problem, das mit dem Ganztagsau­sbau einhergeht: Der Mangel an Fachkräfte­n im Erzieherbe­reich wird sich dadurch voraussich­tlich deutlich verschärfe­n. Für die neuen Ganztagspl­ätze werden voraussich­tlich mehr als 33 000 zusätzlich­e Erzieher an den Grundschul­en gebraucht, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg vor einer Woche gezeigt hatte.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Ab 2025 haben Eltern einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung ihrer Grundschul­kinder.

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