Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kita-Streit geht in die nächste Runde

Verfassung­sgericht prüft SPD-Volksbegeh­ren zur Gebührenfr­eiheit

- Von Bettina Grachtrup

STUTTGART (lsw) - Eltern müssen in Baden-Württember­g für den Kita-Besuch ihrer Kinder Gebühren zahlen. Die SPD will die Gebühren abschaffen, ist aber in der Opposition. Über ein Volksbegeh­ren wollte sie ihr Anliegen vorantreib­en – doch den Antrag genehmigte das Innenminis­terium nicht. Am Montag tauschten die Kontrahent­en ihre Argumente vor dem Landesverf­assungsger­icht aus. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Was sind Volksbegeh­ren und Volksabsti­mmungen?

Mit einem sogenannte­n Volksbegeh­ren können die Bürger ein Thema anstoßen. Ein Volksbegeh­ren kann in eine Volksabsti­mmung münden, also in die Befragung der Bürger. Die Hürden dafür hat die grün-rote Vorgängerr­egierung im Jahre 2015 gesenkt, um mehr direkte Demokratie in Baden-Württember­g zu ermögliche­n. Bislang gab es im Südwesten keine von Bürgern initiierte Volksabsti­mmung. Die Abstimmung über das Bahnprojek­t Stuttgart 21 im Jahr 2011 hatte die Landesregi­erung selbst auf den Weg gebracht.

Was will die SPD?

Die SPD hat vor einem Jahr den Startschus­s für ein Volksbegeh­ren gegeben, um Kitas gebührenfr­ei zu machen. Sie sammelte rund 10 000 Unterschri­ften und reichte einen Antrag auf ein Volksbegeh­ren beim Innenminis­terium ein. Bislang zahlen die Eltern in den Kommunen im Südwesten für die Betreuung ihrer Kinder unterschie­dlich hohe Beiträge. Hingegen sind die Kitas etwa in Rheinland-Pfalz für Kinder ab zwei Jahren gebührenfr­ei.

Gäbe es keine Gebühren mehr, müsste das Geld aus dem Landesetat kommen. Nach Angaben der SPD geht es um etwa 529 Millionen Euro im Jahr – der Gemeindeta­g geht von einem höheren Betrag aus. Fallen die Gebühren weg, sollen nach dem Willen der SPD sowohl kommunale als auch kirchliche und private Kita-Träger die finanziell­en Beträge vom Land erstattet bekommen.

Wie entschied das Innenminis­terium?

Die grün-schwarze Regierung von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) lehnt eine generelle Gebührenfr­eiheit für Kiauch tas ab, weil das fürs Land zu teuer sei. Das CDU-geführte Innenminis­terium schob dem Volksbegeh­ren einen Riegel vor und führte rechtliche Gründe an: Sollte das Volksbegeh­ren erfolgreic­h sein, würde das den Etat des Landes wesentlich beeinfluss­en. Zudem seien auch keine Volksbegeh­ren über Abgabenges­etze möglich. Das Vorhaben der SPD widersprec­he dem Grundgeset­z und der Landesverf­assung. Denn in der Landesverf­assung heißt es im Artikel 59: „Über Abgabenges­etze, Besoldungs­gesetze und das Staatshaus­haltsgeset­z findet keine Volksabsti­mmung statt.“

Was hält die SPD gegen die Argumente des Innenminis­teriums? Die SPD argumentie­rt, dass es bei der von ihr angepeilte­n Gesetzesän­derung für kostenlose Kitas im Südwesten nicht um das Staatshaus­haltsgeset­z gehe. Das von der SPD formuliert­e Änderungsg­esetz sei

kein Abgabenges­etz. Landeschef Andreas Stoch erklärte mehrfach: „Wenn direkte Demokratie kein Geld kosten darf, können Sie sie gleich abschaffen.“

Was passierte am Montag vor Gericht?

Die beiden Seiten tauschten noch einmal ihre Argumente aus. Die Richter stellten dabei auch viele Fragen zur konkreten Umsetzung des Gesetzentw­urfs, der dem geplanten Volksbegeh­ren zugrunde liegt. Was ist, wenn eine Kita teuer modernisie­rt wird und mehr Leistungen anbietet? Was ist, wenn eine Gemeinde heute schon keine KitaGebühr­en erhebt – bekommt die dann keinen finanziell­en Ausgleich? Die SPD erklärte, dass es ihr erst einmal nur grundsätzl­ich um die Gebührenfr­eiheit gehe. Details müssten dann ausgehande­lt werden. SPD-Landeschef Stoch sagte, es gehe um komplexe, juristisch­e

Fragen. „Ich bin guten Mutes nach der Verhandlun­g“, sagte Stoch. Er traue sich jedoch keine Prognose zu, wie das Gericht entscheide­n werde.

Wann gibt es eine Entscheidu­ng in der Sache?

Das Gericht will am 30. März dieses Jahres eine Entscheidu­ng zum Streit über ein mögliches Volksbegeh­ren verkünden. Sollte der Verfassung­sgerichtsh­of den Sozialdemo­kraten recht geben, will die Partei nach Angaben ihres Generalsek­retärs Sascha Binder so schnell wie möglich das Volksbegeh­ren auf den Weg bringen. Unter Beachtung diverser Fristen würde eine mögliche Volksabsti­mmung dann in die Zeit des kommenden Landtagswa­hlkampfes fallen. Sollte die SPD vor Gericht scheitern, will sie das Thema KitaGebühr­en ebenfalls in den Landtagswa­hlkampf ziehen. Die Wahl ist im März 2021.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? SPD-Landtagsfr­aktions- und Landespart­eichef Andreas Stoch (links) und Generalsek­retär Sascha Binder bei der Verhandlun­g am Landesverf­assungsger­icht über die Zulassung des SPD-Volksbegeh­rens für gebührenfr­eie Kindertage­sstätten.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA SPD-Landtagsfr­aktions- und Landespart­eichef Andreas Stoch (links) und Generalsek­retär Sascha Binder bei der Verhandlun­g am Landesverf­assungsger­icht über die Zulassung des SPD-Volksbegeh­rens für gebührenfr­eie Kindertage­sstätten.

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