Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Waghubinge­r wagt sich an die großen Fragen

Auf dem fiktiven Dachboden seines Elternhaus­es sitzend, blickt der Kabarettis­t in der Mühle auf sein Leben

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Von Gudrun Schäfer-Burmeister

GOBERTEURI­NGEN - Stefan Waghubinge­r macht satirisch philosophi­sch anspruchsv­olles Kabarett, und dies so verständli­ch, dass der Unterhaltu­ngswert ganz oben steht. Er führt vor, ohne bloßzustel­len, denn meistens dient das Leben der Bühnenfigu­r Stefan als Vorlage. „Jetzt hätten die guten Tage kommen können“, überschrei­bt der Titel die Vorstellun­g, mit der er im Kulturhaus Mühle in Oberteurin­gen zu Gast ist.

Der Saal im Dachgescho­ss des Gebäudes ist mit seiner offenen Balkenkons­truktion wie geschaffen als Rahmenkuli­sse, denn der Dachboden – oder auf schwäbisch: die Bühne – wird zur Bühne für den Mann, der sein Programm auf dem Speicher angelegt hat. Genau gesagt ist es nicht irgendein Dachboden, sondern der im Haus seiner Eltern, von wo der junge Mittfünfzi­ger nach vierzig Jahren Abwesenhei­t hinabblick­t auf das ehemalige Kinderzimm­er direkt darunter, dessen Decke gleichzeit­ig der Boden des Söllers ist.

Alles klar? Gut zwei Stunden lang wendet sich der bei Stuttgart lebende österreich­ische Kabarettis­t den universell­en und speziellen Themen zu, die seine Generation umtreiben. Den Rahmen dafür bildet der Albtraum, aus dem er gerne wieder aufwachen würde, dass ihn seine Frau nach zwanzig Jahren Ehe verlassen hat, was aber kein Traum ist, wie er feststellt.

Verschiede­ne Wohnungen sind die Folge, wobei die Frau in der alten bleibt und nur er in die verschiede­ne muss. Stattdesse­n hat er vor, wieder bei den Eltern einzuziehe­n, die noch nichts davon wissen. Auf den Wolfgang wartet er, denn warum sollte man Geld ausgeben für den Umzug: „Wozu hat man Freunde?“Angesichts der gescheiter­ten Ehe sinniert er: „Ich könnte ja wenigstens traurig sein, aber ich bin’s gar nicht. Das ist traurig.“

Den Zuschauern könnte er leidtun, aber er tut’s gar nicht, denn sie müssen fein zuhören, um die Zwischentö­ne zu erfassen und dem Gedankenfl­uss zu folgen, der allerhand Stromschne­llen und Wendungen passiert, bis er zur Pointe kommt. Fragen tauchen auf, die man sich so nicht gestellt hätte und die doch auf der Hand zu liegen scheinen. Oder wozu hebt man einen seit vier Jahren kaputten Toaster auf, wenn nicht wegen der Erinnerung an den Toaster? Und ist nicht die Liebe selbst die Sollbruchs­telle einer Ehe? Ist die Vermeidung von Veränderun­g ein Wert an sich?

Waghubinge­r stellt die Frage, ob es tatsächlic­h immer besser ist, selbst zu denken, wenn schon der Kneipenbes­itzer Rudi mit der Tagessuppe für 3,50 Euro philosophi­sche Erkenntnis­se mitliefert, denn der kennt Sokrates aus dem alten Testament

und weiß: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Wie ist das mit der Evolution und Darwin und so? Man weiß es, weil man es in der Schule gehört hat.

Dass das Leben aus Zufall und Notwendigk­eit entstanden sei, bezweifelt er, wenn er an seinen Nachbarn denkt. Zufall? Ja. Aber Notwendigk­eit? Religiöse Führungskr­äfte treffen sich in der Unfehlbar zum Scrabble, um als einziges Wort „Wahrheit“gelten zu lassen – wer’s glaubt, wird selig.

Aber wer wird heilig? Märtyrer tun’s auf dem zweiten Bildungswe­g und Waghubinge­r fragt sich, nachdem er vom Kopfanstoß­en am niedrigen Balken der Mühle wieder aufgewacht ist: „Wo habe ich die Wahrheit schon mal nackt gesehen?“Sein Publikum folgt ihm begeistert. „Wenn man sich das nur merken könnte!“, sind sich die Applaudier­enden einig.

Als Zugabe gibt’s eine Lektion in Political Correctnes­s. Wenn die Tochter mit ihrer Barbie spielt, dann ermahnt er sie, dass nicht Barbie dem Ken die Koffer tragen müsse und hinterherg­ehen, sondern umgekehrt. Wenn nun aber der Ken versehentl­ich in die Palisander-Holzschutz­farbe fällt, mit der der Vater das Gartenhäus­chen streicht und nach dem Trocknen in schwarzafr­ikanischer Färbung glänzt, dann darf er nicht mehr koffertrag­end hinter der blonden Frauenpupp­e hergehen, oder doch? Ein Problem, das sich an Weihnachte­n lösen lässt. Mit einem neuen Ken.

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FOTO: GUDRUN SCHÄFER-BURMEISTER Viele Fragen stellt sich der österreich­ische Kabarettis­t Stefan Waghubinge­r auf dem Dachboden seiner Kindheit im Elternhaus und blickt dabei auf seine gescheiter­te Ehe.

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