Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Charakter passt, Stockholm kommt
Handball-Bundestrainer Christian Prokop lässt nach Sieg gegen Österreich Dampf ab
WIEN (SID/dpa) - Eine Medaille können die deutschen Handballer nicht mehr gewinnen bei der EM, das ist schon seit Samstag klar. Seit Montagabend ist aber auch klar: Diese Mannschaft lässt sich auch von den größten Rückschlägen nicht gehen. Gestützt auf einen bärenstarken Johannes Bitter im Tor und mit einer Top-Einstellung haben die deutschen Handballer das Schlüsselspiel in der Zwischenrunde gegen den Gastgeber in der Wiener Stadthalle mit 34:22 (16:13) gewonnen und können den Flug zum Platzierungsspiel am Samstag in Stockholm buchen. Das Hauptrundenfinale am Mittwoch gegen Tschechien (20.30 Uhr/ ZDF) hat darauf keinen Einfluss mehr.
„Das war heute Balsam für die Seele für uns“, sagte Timo Kastening, einmal mehr bester Werfer. „Mr. Steal Deal“war überall und profitierte von seinen schnellen Beinen und dem perfekten Zusammenspiel mit Jogi Bitter. Sechsmal versenkte Kastening den Ball im Tor der Österreicher, fünfmal traf der von ihm auf Rechtsaußen „entthronte“Tobias Reichmann vom Siebenmeterpunkt.
Derweil atmete Bundestrainer Christian Prokop, dessen Zukunft auch von einer guten Leistung gegen Österreich zu hängen schien, am ARD-Mikrofon tief durch. „Genießen konnte ich vielleicht die letzten zehn Minuten, das war mental schon eine große Herausforderung.“ARDExperte Dominik Klein forderte „öffentliche Rückendeckung vom Trainer“, Prokop selbst fand es „schon sehr bitter, dass wir gegen Kroatien mit einem Tor verlieren, und dann wird wegen dem Trainer so ein Fass aufgemacht. Diese Mannschaft entwickelt gerade ein sehr gutes Gefühl für sich.“
Auch ein missglückter Start konnte das hochmotivierte Team nicht aufhalten. Zunächst lief es zu ideenlos im Angriff und zu passiv in der Abwehr, viele technische Fehler brachten die Österreicher ins Spiel. Gegen die defensive Deckung der Gastgeber fiel dem deutschen Rückraum
nicht viel ein, hinten musste Andreas Wolff zu oft den Ball aus dem Tor holen.
Dann schlug nach 15 Minuten bei einem 7:9-Rückstand die Stunde von Johannes Bitter, und für die gesamte Mannschaft war es eine Art Weckruf. Der mit Sprechchören gefeierte Bitter parierte schon bis zur Halbzeit sechs von neun Würfen auf seinen Kasten, mit zentimetergenauen Anspielen in den Gegenstoß setzte er außerdem Kastening perfekt in Szene. Nicht mehr dabei war zu dem Zeitpunkt bereits Abwehrhüne Patrick Wiencek, der Kieler klagte über Knieprobleme und kam auch in der zweiten Hälfte nicht zurück ins Spiel.
Bitters grandiose Fangquote Seinen Part übernahm Johannes Golla, der im Kroatien-Spiel nicht dabei sein konnte. Der 22-Jährige organisierte gemeinsam mit dem vorgezogen spielenden Hendrik Pekeler die Deckung, Deutschland kam nun immer besser ins Spiel.
In der zweiten Halbzeit blieb die deutsche Mannschaft kompromisslos dran, es gab keine Schwächephase gegen einen verzweifelt kämpfenden Gastgeber, für den es noch um einen Platz in einem Olympia-Qualifikationsturnier geht. Fast mühelos gelangen die Spielzüge, und wenn es hinten doch einmal eng wurde, war wieder Johannes Bitter da. Nach jeder gelungenen Aktion ging er zur Bank und klatschte mit Wolff ab – die Chemie zwischen den beiden Keepern stimmt in jeder Situation.
In der 49. Minute warf Hendrik Pekeler den Ball zum 29:19 ins leere österreichische Tor, es war die erste Zehn-Tore-Führung für die deutsche Mannschaft. Die Quote von Bitter lag zu diesem Zeitpunkt bei grandiosen 50 Prozent. Das Spiel war gelaufen, Österreich kassierte seine höchste Niederlage im Turnierverlauf. Lässig mit den Händen in den Hosentaschen verfolgte Prokop die letzten Sekunden bis zur Schlusssirene, seine Mannschaft ließ nichts mehr anbrennen.