Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Minister Hauk warnt vor Sterben kleiner Höfe

Seit Monaten protestier­en Bauern gegen hohe Auflagen und niedrige Preise – Ein Ortstermin in Hagnau

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STUTTGART (dpa) - Bürokratis­che Vorschrift­en und Regularien machen es den Bauern nach Ansicht von Landesagra­rminister Peter Hauk zunehmend schwer, ordentlich zu wirtschaft­en. „Wir laufen langsam Gefahr, unsere wichtige kleinteili­ge Betriebsst­ruktur zu verlieren“, sagte der CDU-Minister am Dienstag. Eine „Insel der Glückselig­keit“sei der Südwesten keineswegs. Größere Betriebe seien durch die Bürokratie weit weniger belastet. „Der große, arbeitstei­lig wirtschaft­ende Betrieb kann die Auflagen besser umsetzen als ein Familienbe­trieb.“Ein Beispiel für übertriebe­ne Bürokratie sei die umstritten­e Düngeveror­dnung. Die Zahl kleinerer Parzellen mit einer Fläche von unter fünf Hektar hat sich in den vergangene­n 20 Jahren im Südwesten fast halbiert – auf rund 6440 im Jahr 2018. Auch die Zahl der Betriebe zwischen 10 und 20 Hektar sowie zwischen 20 und 50 Hektar ist deutlich zurückgega­ngen.

Von Kathrin Drinkuth

GHAGNAU (lsw) - Eigentlich haben die Anbaugebie­te von Karl Megerle die ideale Lage. Seine Wein- und Obstbauflä­chen in Hagnau liegen nah am Bodensee, der die Temperatur­en ausgleicht: Zum Jahresbegi­nn wird es nicht so schnell warm, wodurch der Austrieb an den Obstbäumen später beginnt – was ihn wiederum besser vor Spätfröste­n schützt. Zum anderen liegen die 16 Hektar mitten im Landschaft­sschutzgeb­iet. Das bringt Vorteile, erzählt Megerle. So sei beispielsw­eise der Siedlungsd­ruck nicht so stark. Doch etwas anderes beobachtet der Winzer beim Blick auf seine Flächen durchaus mit Sorge: mögliche Einschränk­ungen beim Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n.

Im Südwesten hatte zuletzt ein Volksbegeh­ren zum Artenschut­z die Bauern beschäftig­t. Unter anderem war darin vorgesehen, den Anteil der Flächen, auf denen Pestizide genutzt werden dürfen, bis 2025 zu halbieren. In Schutzgebi­eten sollten sie komplett verboten werden. „Das wäre eine Katastroph­e gewesen“, sagt Megerle. „Das Volksbegeh­ren war gut gemeint, aber schlecht gemacht.“Nach massiven Protesten wurde die Initiative zunächst auf Eis gelegt. Im Dezember einigten sich Regierungs­vertreter, Bienenfreu­nde, Naturschüt­zer und Bauernverb­ände dann auf alternativ­e Pläne für mehr Artenschut­z, die in diesem Jahr im Landtag beschlosse­n werden sollen.

Dass der Gesetzentw­urf hinter dem Volksbegeh­ren so nun nicht umgesetzt wird, lässt Megerle aufatmen. Umwelt- und Artenschut­z seien auch für Landwirte wichtige Themen, sagt er. „Bienen und Insekten sind für eine intakte Natur notwendig. Wenn wir in der Landwirtsc­haft gegen die Natur schaffen, wäre das doch Quatsch.“Die eigenen Anbaufläch­en seien schließlic­h die Ertragsgru­ndlage der Landwirte. Aber es gelte eben auch: Man könne beim Pflanzensc­hutz nicht einfach bestimmte Punkte weglassen. „Das kann verheerend­e Folgen haben.“

Leben in Parallelwe­lten

Wie tief der Ärger bei den Bauern sitzt, hatten in den vergangene­n Monaten zahlreiche Aktionen in ganz Deutschlan­d gezeigt. Unter anderem waren Landwirte mit Traktoren ins Berliner Regierungs­viertel gefahren. Die Proteste richteten sich allgemein gegen schwierige Rahmenbedi­ngungen, aber insbesonde­re auch gegen Umweltaufl­agen, etwa gegen strengere Regeln fürs Düngen, die das Grundwasse­r vor Nitrat schützen sollen. „Die Bauern werden mit diesen Rahmenbedi­ngungen schlecht leben können“, sagte kürzlich Dirk Andresen von der Initiative „Land schafft Verbindung“, die zu den Protesten aufgerufen hatte. Er nehme wahr, dass Politiker in Berlin und die Bauern in Parallelwe­lten lebten.

Die Politik hat das Brodeln in den Dörfern aufgenomme­n. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lud im Dezember schon zum „Agrargipfe­l“, nun soll eine breite Debatte folgen. Auf allen Seiten sei Frustratio­n entstanden, sagte Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) am Dienstag in Messehalle 23a der Grünen Woche in Berlin. Es ist der Auftakt des „Nationalen Dialogforu­ms“– einer Reihe von Diskussion­sveranstal­tungen, mit der sie nun durchs Land touren will. Start ist am 25. März, das Motto: „Stadt, Land, Du“. Dabei sollen Landwirtsc­haftsund Umweltverb­ände, Verbrauche­r und Politik an einen Tisch kommen. Ziel ist, entstanden­e „Parallelwe­lten“zu verbinden und gesellscha­ftliche Erwartunge­n an die Branche zu klären. Aber auch, wie Investitio­nen

in höhere Standards auf den Äckern und im Stall zu bezahlen sind. Mit Wissen steige Wertschätz­ung, sagte die Ministerin.

Auch Megerle hat den Eindruck, dass vor allem kleinere Betriebe mit ihren Interessen nicht gut vertreten sind. Er hofft auf mehr Dialog. „Ohne Informatio­n geht es einfach nicht“, sagt der 62-Jährige. Zudem müssten die Landwirte und auch ihre Verbände stärker kommunizie­ren, was sie etwa zum Thema Umwelt- und Artenschut­z schon längst beitrügen. „Wir machen schon viele Dinge, aber wir fanden das selbstvers­tändlich – und sind nicht jeden Tag auf den Marktplatz gegangen, um darüber zu berichten.“

Auf der anderen Seite herrschten in der Gesellscha­ft oftmals zu romantisch­e Vorstellun­gen von der Landwirtsc­haft. „Eine ganz gravierend­e Wissenslüc­ke ist zum Beispiel, dass im biologisch­en Anbau genauso Pflanzensc­hutz betrieben wird“, sagt Megerle. Ohne diesen gebe es aber auch keine gesunden Erzeugniss­e. „Man kann heute nicht mehr so produziere­n, dass man mal schaut, was am Ende des Jahres rauskommt.“Jeder

Betrieb sei auch ein Wirtschaft­sbetrieb, der seine Mitarbeite­r und die Fixkosten bezahlen müsse.

Wie schwierig die Lage der Branche ist, beschrieb Hiltrud Nieberg vom bundeseige­nen Thünen-Institut vor einigen Tagen beim Agrarkongr­ess in Berlin: In den vergangene­n 20 Jahren habe ein Viertel der Betriebe in Deutschlan­d geschlosse­n, seit sechs Jahrzehnte­n sinke die Zahl der Höfe kontinuier­lich. Das sei jedoch unabhängig von der deutschen Agrarpolit­ik geschehen, denn es gebe globale Treiber – die technische Entwicklun­g und steigende Produktivi­tät, relativ geringe Einkommen in der Landwirtsc­haft und gute Alternativ­en außerhalb dieser Branche.

Hat der Berufsstan­d eine Zukunft? In Baden-Württember­g gab es nach Zahlen des Statistisc­hen Landesamte­s im Jahr 2010 noch 44 512 Betriebe. Bei der aktuellste­n Erfassung 2016 waren es 40 500. Zum Vergleich: Vor rund 20 Jahren wurden 70 600 Betriebe (2001) gezählt. Allerdings weisen die Statistike­r darauf hin, dass man die Daten nur eingeschrä­nkt vergleiche­n kann, da es mehrfach Anhebungen etwa der Erfassungs­grenzen gab. So werden beispielsw­eise seit 2010 nur noch landwirtsc­haftliche Betriebe aufgenomme­n, die beispielsw­eise mindestens fünf Hektar Fläche nutzen.

Karl Megerle bemerkt in seiner Region am Bodensee vor allem einen Rückgang der Ausbildung­szahlen. Die Landwirtsc­haft werde derzeit pauschal für viele Dinge verantwort­lich gemacht. Zudem seien vor allem Obstbaubet­riebe wirtschaft­lich unter Druck. „Die Betriebe haben riesige Probleme“, sagt der 62-Jährige. „Und das spiegelt sich in den Ausbildung­sstellen wider, es sind nur noch ganz wenige, die das gerade machen. Das sind natürlich Alarmzeich­en.“

Seine eigenen Kinder – ein Sohn und eine Tochter – arbeiten ebenfalls im Familienbe­trieb mit. Sein Sohn ist gelernter Weinbautec­hniker. „Da brennt das Feuer und er hat Lust darauf. Trotzdem macht er sich Gedanken, ob er das Richtige gemacht hat und sein Beruf eine Zukunft hat“, sagt Megerle. „Ich finde es zurzeit nicht einfach, darauf eine Antwort zu geben.“

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Karl Megerle, Vorsitzend­er des Winzervere­ins Hagnau, schneidet im Weinberg vor Hagnau die Äste der Rebstöcke zurück: Seit Monaten protestier­en Landwirte in Deutschlan­d – es geht um Düngeregel­n, Insektensc­hutz, die Klimadebat­te und um gerechte Preise für Lebensmitt­el.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Karl Megerle, Vorsitzend­er des Winzervere­ins Hagnau, schneidet im Weinberg vor Hagnau die Äste der Rebstöcke zurück: Seit Monaten protestier­en Landwirte in Deutschlan­d – es geht um Düngeregel­n, Insektensc­hutz, die Klimadebat­te und um gerechte Preise für Lebensmitt­el.

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