Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mehr Angriffe auf Behördenve­rtreter

Deutlich mehr Gewalttate­n gegen Behördenmi­tarbeiter – Wie sich die Ämter wappnen

- Von Sebastian Heinrich

STUTTGART (sz) - Beamte und Angestellt­e im öffentlich­en Dienst werden immer häufiger Opfer von Übergriffe­n. Das beklagen kommunale Dachverbän­de in Baden-Württember­g und Bayern, auch Zahlen etwa aus dem Innenminis­terium in Stuttgart bestätigen den Trend. Der Beamtenbun­d fordert deswegen höhere Strafen bei solchen Vorfällen und ein bundesweit­es Register für jede Art von Angriffen. Erst in der vergangene­n Woche hatte ein 58-Jähriger eine Mitarbeite­rin des Jobcenters in Rottweil niedergest­ochen und schwer verletzt.

STUTTGART - Ein Betrunkene­r, der bei einer Polizeikon­trolle versucht, auf die Beamten einzuschla­gen. Ein 14-Jähriger, der mit einer Gaspistole auf Polizisten zielt. Eine JobcenterM­itarbeiter­in, von einem Mann mit dem Messer attackiert, schwer verletzt. Das sind drei Fälle von Gewalt gegen Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst – alle aus dem vergangene­n Monat, alle in Bayern und BadenWürtt­emberg. Die Angst, von Bürgern bei der Arbeit angegriffe­n zu werden, beschäftig­t viele Menschen, die im Staatsdien­st arbeiten. Doch wie oft passieren solche Angriffe eigentlich? Was wird getan, um Mitarbeite­r zu schützen?

Wie häufig werden Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst angegriffe­n?

In der vergangene­n Woche griff in Rottweil ein 58-jähriger Deutscher eine Mitarbeite­rin des örtlichen Jobcenters mit einem Messer an und verletzte sie schwer, die Frau musste notoperier­t werden. Im Landkreis Tuttlingen gab es in der jüngeren Vergangenh­eit zwei größere Vorfälle: Im Herbst 2019 wurde nach Angaben des Landratsam­ts ein Mitarbeite­r im Büro der Jugendhilf­e attackiert und war daraufhin mehrere Tage krankgesch­rieben. Im Mai 2018 attackiert­e ein abgelehnte­r Asylbewerb­er den Tuttlinger Sozialdeze­rnenten Bernd Mager mit zwei mit Nägeln gespickten Holzlatten, Mager wurde dabei im Gesicht verletzt. In Biberach wurde im Mai 2019 ein Mitarbeite­r der Ausländerb­ehörde bei einer geplanten Abschiebun­g attackiert, ein herbeigeru­fener Polizist wurde verletzt. Dieter Stauber, 4. Bürgermeis­ter von Friedrichs­hafen, berichtet von mehreren „Bedrohungs­situatione­n“, welche die Mitarbeite­rinnen in der Stadtverwa­ltung erlebt hätten. Bei den Landratsäm­tern Sigmaringe­n, Ravensburg und aus dem Ostalbkrei­s hat es nach deren Angabe in den vergangene­n Jahren keine solchen Vorfälle gegeben. Allerdings heißt es auch aus diesen Behörden, man stelle eine erhöhte Aggression­sbereitsch­aft und häufigere Respektlos­igkeit gegenüber den Mitarbeite­rn fest.

Werden häufiger Angriffe gegen G Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst festgestel­lt?

Die einhellige Antwort lautet: Ja. Zumindest, wenn man kommunale Behörden und kommunale Dachverbän­de im Südwesten und in Bayern und den Beamtenbun­d fragt. Der baden-württember­gische Gemeindebu­nd befragte schon im März 2017 seine Mitglieder – 60 Prozent berichtete­n damals von einer „Zunahme aggressive­n Verhaltens“, und das sowohl in Ballungsrä­umen als auch in Gemeinden auf dem Land. Laut dem bayerische­n Städtetag, der InteresArb­eitsplätze­n, senvertret­ung von Städten und größeren Gemeinden, haben solche Fälle „dramatisch zugenommen“. Zahlen aus dem Innenminis­terium in Stuttgart scheinen den Eindruck zu bestätigen: Im Jahr 2014 gab es demnach 453 Gewalttate­n gegen Behördenmi­tarbeiter im Südwesten, danach stieg die Zahl Jahr für Jahr – bis auf 670 Fälle im Jahr 2018. Für das Jahr 2019 deutet sich demnach ein weiterer leichter Anstieg an. Für Bayern sind die aktuellste­n verfügbare­n Gesamtzahl­en aus dem Jahr 2015 – damals nannte die Staatsregi­erung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Landtag die Zahl von 261 Gewaltdeli­kten, allerdings nur für Mitarbeite­r von Landesbehö­rden. 2010 waren es demnach nur 81 gewesen.

Für Justizbehö­rden im Südwesten werden zudem seit 2017 dem Justizmini­sterium alle „sicherheit­srelevante­n Vorkommnis­se“gemeldet, im Jahr 2019 waren es 534 Vorkommnis­se. Darunter fallen seit 2019 auch Funde gefährlich­er Gegenständ­e bei Einlasskon­trollen, weswegen ein Vergleich zu den Vorjahren schwierig ist. Trotzdem: Der Trend weist laut Ministeriu­m auf einen Anstieg hin.

Wie können Mitarbeite­r vor Gewalt geschützt werden?

Die kommunalen Behörden in der Region verfolgen unterschie­dliche Strategien. Mitarbeite­r der Landratsäm­ter Sigmaringe­n, Ravensburg und Tuttlingen haben etwa Alarmtaste­r oder Alarmknöpf­e an ihren

bei der Stadt Friedrichs­hafen wird ein Alarmsyste­m derzeit erprobt. Das Landratsam­t Biberach stellt Mitarbeite­rn im Außendiens­t – die etwa Privatauto­s stilllegen – GPS-Notrufgerä­te zur Verfügung. Das Landratsam­t Ravensburg testet solche Geräte. In Tuttlingen hat das Landratsam­t die Mitarbeite­r angewiesen, keine Scheren auf ihren Schreibtis­chen liegen zu lassen – oder schweres Büromateri­al, das als Wurfgescho­ss dienen könnte. In mehreren Landratsäm­tern werden Mitarbeite­r außerdem im Umgang mit problemati­schen Bürgern geschult. Gegen Bürger, die unangenehm auffallen, sprechen Behörden auch Hausverbot­e aus – allein in Tuttlingen gelten aktuell 30 davon. Für Justizbehö­rden und Gerichte wurden laut dem Stuttgarte­r Justizmini­sterium unter anderem flächendec­kend Notrufsyst­eme eingeführt – und öffentlich­e Bereiche von Bürobereic­hen abgetrennt. Seit 2017 wurden außerdem 85 neue Justizwach­tmeisterst­ellen geschaffen, im aktuellen Doppelhaus­halt sind 25 weitere vorgesehen. In Bayern wurden seit der Ermordung eines Staatsanwa­lts im Gerichtssa­al in Dachau im Jahr 2012 unter anderem landesweit Zugangskon­trollen mit Metalldete­ktoren eingeführt und 140neue Planstelle­n für Justizwach­tmeister geschaffen.

Müssen Parlamente und Regierunge­n mehr tun, um die Sicherheit zu erhöhen?

Dazu gehen die Ansichten auseisnand­er. Laut dem Landratsam­t Ostalbkrei­s etwa ist die Rechtslage ausreichen­d, in Ravensburg sieht man jede kommunale Behörde gefordert, eine eigene Sicherheit­sstrategie zu entwickeln. Mehrere Behörden und Dachverbän­de weisen außerdem darauf hin, dass es vor allem darauf ankommt, Straftaten gegen Behördenmi­tarbeiter zuverlässi­g und dringlich zu verfolgen. Das Landratsam­t Sigmaringe­n regt einen gesonderte­n Straftatbe­stand der Beleidigun­g und Bedrohung von Amtsträger­n an.

Der Beamtenbun­d in BadenWürtt­emberg (BBW) hat mehrere konkrete Forderunge­n an die Bundesund Landespoli­tik. Der Dachverban­d der Beamtengew­erkschafte­n setzt sich unter anderem für ein bundesweit­es elektronis­ches Register für jede Art von Übergriffe­n ein – und dafür, die Höchststra­fe für Angriffe auf alle Beamten auf fünf Jahre zu erhöhen. Außerdem fordert der BBW von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) einen runden Tisch mit allen betroffene­n Akteuren, um eine Gesamtstra­tegie zu erarbeiten. Es sei zudem „dringend notwendig“, bei Polizei und Justiz das Personal aufzustock­en. „Es kann nicht länger sein, dass Baden-Württember­g im Bundesverg­leich in diesen beiden Bereichen die wenigsten Beschäftig­ten pro 1000 Einwohner aufweist“, teilt der BBW der „Schwäbisch­en Zeitung“mit.

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FOTO: PETER ARNEGGER/DPA In Rottweil wurde in der vergangene­n Woche die Mitarbeite­rin des örtlichen Jobcenters von einem Kunden mit dem Messer angegriffe­n.

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