Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Mehr Angriffe auf Behördenvertreter
Deutlich mehr Gewalttaten gegen Behördenmitarbeiter – Wie sich die Ämter wappnen
STUTTGART (sz) - Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst werden immer häufiger Opfer von Übergriffen. Das beklagen kommunale Dachverbände in Baden-Württemberg und Bayern, auch Zahlen etwa aus dem Innenministerium in Stuttgart bestätigen den Trend. Der Beamtenbund fordert deswegen höhere Strafen bei solchen Vorfällen und ein bundesweites Register für jede Art von Angriffen. Erst in der vergangenen Woche hatte ein 58-Jähriger eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Rottweil niedergestochen und schwer verletzt.
STUTTGART - Ein Betrunkener, der bei einer Polizeikontrolle versucht, auf die Beamten einzuschlagen. Ein 14-Jähriger, der mit einer Gaspistole auf Polizisten zielt. Eine JobcenterMitarbeiterin, von einem Mann mit dem Messer attackiert, schwer verletzt. Das sind drei Fälle von Gewalt gegen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst – alle aus dem vergangenen Monat, alle in Bayern und BadenWürttemberg. Die Angst, von Bürgern bei der Arbeit angegriffen zu werden, beschäftigt viele Menschen, die im Staatsdienst arbeiten. Doch wie oft passieren solche Angriffe eigentlich? Was wird getan, um Mitarbeiter zu schützen?
Wie häufig werden Mitarbeiter im öffentlichen Dienst angegriffen?
In der vergangenen Woche griff in Rottweil ein 58-jähriger Deutscher eine Mitarbeiterin des örtlichen Jobcenters mit einem Messer an und verletzte sie schwer, die Frau musste notoperiert werden. Im Landkreis Tuttlingen gab es in der jüngeren Vergangenheit zwei größere Vorfälle: Im Herbst 2019 wurde nach Angaben des Landratsamts ein Mitarbeiter im Büro der Jugendhilfe attackiert und war daraufhin mehrere Tage krankgeschrieben. Im Mai 2018 attackierte ein abgelehnter Asylbewerber den Tuttlinger Sozialdezernenten Bernd Mager mit zwei mit Nägeln gespickten Holzlatten, Mager wurde dabei im Gesicht verletzt. In Biberach wurde im Mai 2019 ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde bei einer geplanten Abschiebung attackiert, ein herbeigerufener Polizist wurde verletzt. Dieter Stauber, 4. Bürgermeister von Friedrichshafen, berichtet von mehreren „Bedrohungssituationen“, welche die Mitarbeiterinnen in der Stadtverwaltung erlebt hätten. Bei den Landratsämtern Sigmaringen, Ravensburg und aus dem Ostalbkreis hat es nach deren Angabe in den vergangenen Jahren keine solchen Vorfälle gegeben. Allerdings heißt es auch aus diesen Behörden, man stelle eine erhöhte Aggressionsbereitschaft und häufigere Respektlosigkeit gegenüber den Mitarbeitern fest.
Werden häufiger Angriffe gegen G Mitarbeiter im öffentlichen Dienst festgestellt?
Die einhellige Antwort lautet: Ja. Zumindest, wenn man kommunale Behörden und kommunale Dachverbände im Südwesten und in Bayern und den Beamtenbund fragt. Der baden-württembergische Gemeindebund befragte schon im März 2017 seine Mitglieder – 60 Prozent berichteten damals von einer „Zunahme aggressiven Verhaltens“, und das sowohl in Ballungsräumen als auch in Gemeinden auf dem Land. Laut dem bayerischen Städtetag, der InteresArbeitsplätzen, senvertretung von Städten und größeren Gemeinden, haben solche Fälle „dramatisch zugenommen“. Zahlen aus dem Innenministerium in Stuttgart scheinen den Eindruck zu bestätigen: Im Jahr 2014 gab es demnach 453 Gewalttaten gegen Behördenmitarbeiter im Südwesten, danach stieg die Zahl Jahr für Jahr – bis auf 670 Fälle im Jahr 2018. Für das Jahr 2019 deutet sich demnach ein weiterer leichter Anstieg an. Für Bayern sind die aktuellsten verfügbaren Gesamtzahlen aus dem Jahr 2015 – damals nannte die Staatsregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Landtag die Zahl von 261 Gewaltdelikten, allerdings nur für Mitarbeiter von Landesbehörden. 2010 waren es demnach nur 81 gewesen.
Für Justizbehörden im Südwesten werden zudem seit 2017 dem Justizministerium alle „sicherheitsrelevanten Vorkommnisse“gemeldet, im Jahr 2019 waren es 534 Vorkommnisse. Darunter fallen seit 2019 auch Funde gefährlicher Gegenstände bei Einlasskontrollen, weswegen ein Vergleich zu den Vorjahren schwierig ist. Trotzdem: Der Trend weist laut Ministerium auf einen Anstieg hin.
Wie können Mitarbeiter vor Gewalt geschützt werden?
Die kommunalen Behörden in der Region verfolgen unterschiedliche Strategien. Mitarbeiter der Landratsämter Sigmaringen, Ravensburg und Tuttlingen haben etwa Alarmtaster oder Alarmknöpfe an ihren
bei der Stadt Friedrichshafen wird ein Alarmsystem derzeit erprobt. Das Landratsamt Biberach stellt Mitarbeitern im Außendienst – die etwa Privatautos stilllegen – GPS-Notrufgeräte zur Verfügung. Das Landratsamt Ravensburg testet solche Geräte. In Tuttlingen hat das Landratsamt die Mitarbeiter angewiesen, keine Scheren auf ihren Schreibtischen liegen zu lassen – oder schweres Büromaterial, das als Wurfgeschoss dienen könnte. In mehreren Landratsämtern werden Mitarbeiter außerdem im Umgang mit problematischen Bürgern geschult. Gegen Bürger, die unangenehm auffallen, sprechen Behörden auch Hausverbote aus – allein in Tuttlingen gelten aktuell 30 davon. Für Justizbehörden und Gerichte wurden laut dem Stuttgarter Justizministerium unter anderem flächendeckend Notrufsysteme eingeführt – und öffentliche Bereiche von Bürobereichen abgetrennt. Seit 2017 wurden außerdem 85 neue Justizwachtmeisterstellen geschaffen, im aktuellen Doppelhaushalt sind 25 weitere vorgesehen. In Bayern wurden seit der Ermordung eines Staatsanwalts im Gerichtssaal in Dachau im Jahr 2012 unter anderem landesweit Zugangskontrollen mit Metalldetektoren eingeführt und 140neue Planstellen für Justizwachtmeister geschaffen.
Müssen Parlamente und Regierungen mehr tun, um die Sicherheit zu erhöhen?
Dazu gehen die Ansichten auseisnander. Laut dem Landratsamt Ostalbkreis etwa ist die Rechtslage ausreichend, in Ravensburg sieht man jede kommunale Behörde gefordert, eine eigene Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Mehrere Behörden und Dachverbände weisen außerdem darauf hin, dass es vor allem darauf ankommt, Straftaten gegen Behördenmitarbeiter zuverlässig und dringlich zu verfolgen. Das Landratsamt Sigmaringen regt einen gesonderten Straftatbestand der Beleidigung und Bedrohung von Amtsträgern an.
Der Beamtenbund in BadenWürttemberg (BBW) hat mehrere konkrete Forderungen an die Bundesund Landespolitik. Der Dachverband der Beamtengewerkschaften setzt sich unter anderem für ein bundesweites elektronisches Register für jede Art von Übergriffen ein – und dafür, die Höchststrafe für Angriffe auf alle Beamten auf fünf Jahre zu erhöhen. Außerdem fordert der BBW von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen runden Tisch mit allen betroffenen Akteuren, um eine Gesamtstrategie zu erarbeiten. Es sei zudem „dringend notwendig“, bei Polizei und Justiz das Personal aufzustocken. „Es kann nicht länger sein, dass Baden-Württemberg im Bundesvergleich in diesen beiden Bereichen die wenigsten Beschäftigten pro 1000 Einwohner aufweist“, teilt der BBW der „Schwäbischen Zeitung“mit.