Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Putin präsentier­t neue Regierung

Russlands Präsident Putin will die Verfassung im Sprint reformiere­n – Doch seine Ziele bleiben undurchsic­htig

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MOSKAU (dpa) - Der neue russische Regierungs­chef Michail Mischustin hat am Dienstag in Moskau im Beisein von Kremlchef Wladimir Putin sein Kabinett vorgestell­t. Demnach arbeiten Außenminis­ter Sergej Lawrow, der seit fast 16 Jahren im Amt ist, und Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu in der neuen Regierung weiter. Auch Innenminis­ter Wladimir Kolokolzew bleibt. Zahlreiche Posten wurden aber neu besetzt. Die neue Regierung sei „ernsthaft erneuert“, sagte Putin.

Von Stefan Scholl

GMOSKAU - Bei seiner großen Pressekonf­erenz Ende vergangene­n Jahres klang Russlands Präsident Wladimir Putin nicht so, als ob er es sehr eilig hätte, die Spielregel­n der russischen Politik umzuschrei­ben. Änderungen in der Verfassung könne man erst „nach guter Vorbereitu­ng und gründliche­r Diskussion in der Öffentlich­keit machen“, sagte er mit einem betont gleichgült­igen Gesicht.

Doch das neue politische Jahr eröffnete er mit einem Wirbel von Paukenschl­ägen. Bei seiner Rede zur Lage der Nation am vergangene­n Mittwoch kündigte er eine Reihe von Verfassung­sänderunge­n an, entließ am selben Tag die Regierung, stellte einen neuen Premiermin­ister vor, gründete eine 75-köpfige Arbeitsgru­ppe, die Vorschläge zu den Verfassung­sänderunge­n ausarbeite­n sollte. Am Montag brachte er dann selbst Änderungsv­orschläge für 22 Grundrecht­sartikel in der Staatsduma ein. Seine Arbeitsgru­ppe ist damit schon wieder überflüssi­g geworden.

Putin scheint die Verfassung im Sprint reformiere­n zu wollen. Am Dienstag hat das zuständige Komitee der Staatsduma seine Vorschläge bereits gebilligt, die Verabschie­dung der Änderungen in erster Lesung ist für Donnerstag vorgesehen. Putins Pressespre­cher Dmitri Peskow erklärt die Hast mit der Wichtigkei­t seines Chefs: „Jede Initiative, die das Staatsober­haupt verlautbar­t, findet große Aufmerksam­keit, ihre Realisieru­ng und Diskussion besitzt immer außerorden­tliche Priorität.“

Seine Zustimmung­swerte stiegen Moskaus Medien feiern Wladimir Putin, 67, seit Jahren als souveränen Strategen, außenpolit­isch eilt er von Erfolg zu Erfolg. Und laut dem staatliche­n Meinungsfo­rschungsin­stitut WZIOM stieg in Russland die Zustimmung­srate für seine Politik nach der Rede zur Lage der Nation von 64 auf 67 Prozent. Allerdings hätten vor der Rede laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums nur 38 Prozent für Putin gestimmt. Doch das muss ihn, vier Jahre vor dem Ende seiner

Amtszeit, nicht besonders beunruhige­n. Zumal er dann, laut seiner eigenen Verfassung­sreform, nicht mehr kandidiere­n wird.

Aber vielleicht ist gerade das der Grund für die Hektik und Unklarheit, die Putin, der Mann mit dem Pokerface, plötzlich verbreitet. „Er versteht selbst nicht bis zu Ende, was er da tut“, bloggt Opposition­spolitiker Alexei Nawalny höhnisch.

Putin will in der Verfassung die Anhebung des Mindestloh­ns auf das Existenzmi­nimum und die automatisc­he Anpassung der Renten an die Inflation festschrei­ben – das wird als populistis­ch und somit politisch logisch bewertet. Andere Putinsche Vorschläge aber sind als vage Rohentwürf­e in der Staatsduma angekommen. Vor allem der Absatz über den sogenannte­n Staatsrat, der künftig das „Zusammenwi­rken der staatliche­n Machtorgan­e“gewährleis­ten und die „Hauptricht­ungen der Innenund Außenpolit­ik“bestimmen soll. Es gilt als wahrschein­lich, dass Putin nach 2024 den Vorsitz dieses Staatsrate­s übernimmt, aber dessen Vollmachte­n und Zusammense­tzung bleiben im Dunkeln. „Völlig unklar, wie die Änderungen in der Verfassung mit Putins konkretem Machterhal­t verknüpft werden sollen“, sagt der Opposition­elle Sergei Dawidis der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Putin hat offenbar wieder einmal das Format einer Geheimdien­stoperatio­n gewählt, die alle in Unkenntnis hält. Hinterher können sie nur noch entsetzt staunen.“

Verfassung­sänderunge­n als Test Der Politologe Juri Korgonjuk glaubt, Putin befürchte, die unpopuläre Staatspart­ei „Einiges Russland“könne bei den Duma-Wahlen 2021 ihre Zweidritte­lmehrheit verlieren. „Er will die Verfassung­sänderunge­n vorher nicht nur durchbring­en, sondern auch testen, wie etwa der neue Staatsrat funktionie­rt.“Putin habe noch keinen endgültige­n Plan. Bisher sei das politische System extrem auf ihn zugeschnit­ten gewesen, autoritär und zentralist­isch. Jetzt stehe er vor dem Problem, es zu dezentrali­sieren, um seinen Nachfolger in Schach halten zu können. „Aber dabei muss es autoritär bleiben.“

Einige Neuerungen Putins wirken sehr persönlich. Der Staatschef, der sich vier Amtszeiten erlaubte, gönnt seinem Nachfolger nur zwei. Und der kann erst Präsident werden, wenn er vorher 25 Jahre lang nicht im Ausland gelebt hat. Ein Gesetz, das sich gegen politische Emigranten, aber auch junge Russen richtet, die im Ausland lernen oder arbeiten wollen. „In der Psychother­apie nennt man das Symptom“, spottet der Politologe Gleb Pawlowski im Kanal TV Doschd. Putin projiziere ein Weltbild in die Verfassung, nach dem jenseits der Grenzen Russlands nur Perverse und Feinde wohnten.

Putin selbst arbeitete bis Anfang 1990 als KGB-Agent in der DDR. Er hätte also laut seiner eigenen Verfassung­sänderung erst 2015, 15 Jahre nach seinem Amtsantrit­t, Präsident werden dürfen.

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FOTO: ALEXEI DRUZHININ/ IMAGO-IMAGES.DE Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich gern als souveräner Stratege gibt, wirkt derzeit wie ein Getriebene­r. Sein Tempo bei der Verfassung­sreform ist jedenfalls rasant.

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