Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zeichen setzen im Jubiläumsjahr
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland sollen überall gefeiert werden
Von Sabine Lennartz
GBERLIN - Angesichts des „explodierenden Antisemitismus“in Deutschland solle das Jubiläumsjahr ganz besonders gefeiert werden, sagt Abraham Lehrer, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Köln. In der Domstadt erließ Kaiser Konstantin im Jahr 321 ein Dekret, das die Berufung von Juden in den Stadtrat erlaubte, Köln hatte die größte jüdische Gemeinde nördlich der Alpen. 1700 Jahre später soll im nächsten Jahr ein Fest jüdischen Lebens überall in Deutschland gefeiert werden.
Mit dem Anschlag von Halle, als im Herbst 2019 ein Rechtsextremer vor der Synagoge zwei Menschen erschoss, rückte Antisemitismus erneut verstärkt ins Bewusstsein. „Für uns sind ,Shitstorms‘ nichts Ungewöhnliches“, sagt Abraham Lehrer, dessen Eltern im KZ waren. Trotzdem ist es für ihn wichtig, dass Juden sich nicht nur über den Holocaust definieren, sondern dass die alte und wechselreiche Geschichte der Juden in Deutschland sichtbar gemacht wird.
Rüttgers will Aufstand
Jürgen Rüttgers, der frühere CDUBundesminister und spätere NRWMinisterpräsident, ist Vorsitzender des Vereinskuratoriums von „2021 – Jüdisches Leben in Deutschland“. Der Verein will bundesweite Projekte gegen den Antisemitismus mit Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen fördern. Rüttgers macht in der Bundespressekonferenz zunächst eine sehr persönliche Anmerkung. Er habe sich nicht vorstellen können, „dass wir 75 Jahre nach der Befreiung von der Nazidiktatur wieder Antisemiten in deutschen Parlamenten haben“. Sein Ziel: „Wir wollen zusammen einen Aufstand gegen Antisemitismus organisieren, aber wir wollen auch zusammen feiern.“
Es sei höchste Zeit. Rüttgers beklagt, dass nur wenige wissen, was Juden sind und was jüdisches Leben ist. Er fordert, dass alle Schulklassen darüber sprechen, dass sie Konzentrationslager besuchen sollten, denn die Erinnerungskultur müsse weiterleben, auch wenn die Überlebenden nicht mehr da sind.
Großbritannien stelle zum Beispiel Geld zur Verfügung, damit Schulklassen nach Auschwitz fahren können. Außerdem will Rüttgers den Fahndungsdruck auf Rechtsradikale erhöhen, so wie in den 1970er-Jahren auf die RAF. „Wir müssen 2021 auch über das reden, was uns verbindet“, so Rüttgers. Und er fügte hinzu: „Wir müssen dafür sorgen, dass jeder jüdische Mitbürger ohne Angst leben kann.“
Antisemitismus hat sich verändert Abraham Lehrer meint, dass der Antisemitismus in Deutschland nicht zugenommen habe, schon 1989 habe eine Umfrage ergeben, dass rund 20 Prozent der Deutschen latent antisemitisch seien. Aber es gebe eine qualitative Veränderung, die Menschen trauten sich mehr als früher, antisemitisch aufzutreten. Jürgen Rüttgers ruft deshalb dazu auf, den Anfängen zu wehren. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, ruft Firmen und Gemeinden, Schulen, Kirchen und Kulturschaffende dazu auf, das Festjahr zu unterstützen. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Zentralrat der Juden seien schon dabei, das Festjahr zu unterstützen.
Ganz einfach Deutschland
„Juden sind ganz einfach auch Deutschland“, sagt Klein. Eine neue gesellschaftliche Solidarität mit den Juden sei nötig, nicht nur auf der politischen Ebene. Denn wer eine Kultur gut kenne, sei weniger anfällig für Vorurteile oder Hass. Klein kann sich zum Beispiel ein weltweit größtes Laubhüttenfest im Herbst in Deutschland vorstellen, ein „Sukkot XXL“. Zudem soll ein jüdischer Reiseführer durch Deutschland erscheinen, überall sollen kulturelle Projekte gefördert werden. Das aktuelle jüdische Leben müsse präsentiert werden, so Lehrer. „All das Schöne, all der Reichtum“solle mitaufgenommen werden. Und die Stadt Halle sei auch dabei.