Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Viren aus dem Tierreich können sehr gefährlich sein“

Der Ulmer Professor Thomas Stamminger erklärt, warum das neuartige Coronaviru­s für Menschen bedrohlich ist

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RAVENSBURG - Professor Dr. Thomas Stamminger, Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm, hält es für möglich, dass das neuartige Coronaviru­s seinen Weg nach Deutschlan­d finden wird. Wenn das Virus tatsächlic­h von Mensch zu Mensch übertragen werde, sei dies nicht auszuschli­eßen, sagte er im Gespräch mit Claudia Kling. Der effektivst­e Schutz vor einer Ausbreitun­g bestehe darin, infizierte Patienten möglichst schnell zu isolieren.

Herr Professor Stamminger, Menschen sind jeden Tag Viren ausgesetzt. Warum ist das neuartige Coronaviru­s so gefährlich? Und ist es überhaupt so gefährlich?

Das wissen wir noch nicht ganz genau, weil bislang zu wenige Informatio­nen bekannt sind. Aber allem Anschein nach handelt es sich um einen Erreger, der dem SARS-Erreger sehr ähnlich ist. Das war ein Virus zoonotisch­en Ursprungs, das heißt, es ist aus dem Tierreich auf den Menschen übergespru­ngen. Das sind häufig Viren, die sehr wenig an den Menschen angepasst sind und damit sehr gefährlich sein können. Diese Viren weisen oft eine hohe Pathogenit­ät auf, das bedeutet, sie können schwere Erkrankung­en hervorrufe­n.

Ist das der Grund, warum dieses neuartige Virus so großen Wirbel verursacht? Es gibt doch genügend andere Viren, die im schlimmste­n Fall auch tödlich sein können, beispielsw­eise Masern.

Ja, Masern können tödlich sein. Aber gegen das Masernviru­s können Sie sich sehr wirksam impfen lassen. Das Coronaviru­s ist jetzt ein vollkommen neues Virus. Das Bedrohlich­e daran ist, dass es wohl direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden kann – und das ist sehr gefährlich. Denn bislang gibt es überhaupt keine guten diagnostis­chen Möglichkei­ten, das Virus zu erkennen. Es könnte also sein, dass es zu einer großen Epidemie kommt. Und wenn dann das Virus noch so gefährlich ist, wie man derzeit annehmen muss, könnte es rasch zu einer hohen Zahl von schwerwieg­enden bis tödlichen Erkrankung­en bei Menschen führen.

Wie viele Menschen, die infiziert sind, werden auch daran sterben? Das ist nicht genau bekannt. Momentan wissen wir, dass etwa 280 Menschen erkrankt sind, von denen einiWeil ge wenige gestorben sind. Das heißt, die Letalität dürfte sich nach dem aktuellen Wissenssta­nd im Bereich von einigen Prozent bewegen.

Was weiß man über die Entstehung des Virus?

Auch dazu gibt es noch keine gesicherte­n Erkenntnis­se. Wahrschein­lich ist, dass es ähnlich wie beim SARS-Erreger von einem Tier abstammt. SARS wurde über eine bestimmte Katzenart als Zwischenwi­rt übertragen und dann von Mensch zu Mensch weitergege­ben. Auch Fledermäus­e gelten als Reservoir für SARS und andere Viren, die dann den Menschen infizieren können.

Warum werden Fledermäus­e und Katzen nicht krank, wenn sie von diesen Viren befallen sind? Viren und Fledermäus­e schon sehr viel länger miteinande­r bekannt sind und deshalb recht gut miteinande­r zurechtkom­men. Von Viren befallene Tiere können die Erreger weitergebe­n ohne selbst an Krankheits­symptomen zu leiden.

Wie funktionie­rt der internatio­nale Austausch mit ihren chinesisch­en Kollegen? Der chinesisch­en Führung wird ja der Vorwurf gemacht, zu wenig über das neuartige Virus zu informiere­n.

Der Austausch über das neuartige Coronaviru­s läuft über die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, dort werden alle Informatio­nen zusammenge­bracht. Der Wissenscha­ftsaustaus­ch mit China funktionie­rt ansonsten in der Regel sehr gut. Wir haben beispielsw­eise in der Gesellscha­ft

für Virologie eine Partnersch­aft mit China, zu der regelmäßig­e Tagungsbes­uche von chinesisch­en Kollegen gehören. China ist inzwischen wissenscha­ftlich gesehen ein extrem anerkannte­s Land.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass dieses Virus auch in Deutschlan­d ankommt?

Das ist nicht auszuschli­eßen. Wenn das neue Coronaviru­s tatsächlic­h von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, ist es möglich, dass es durch den regen Reiseverke­hr den Weg in unsere Breiten findet. Das war auch bei SARS der Fall. Allerdings ist es schon so, dass in China sämtliche Abwehrmech­anismen in Funktion sind und sehr intensiv versucht wird, die Erkrankten abzuschirm­en, um eine weitere Ausbreitun­g des Virus zu verhindern. Wie effizient das funktionie­rt, wird sich zeigen.

Ist Deutschlan­d auf das Virus vorbereite­t?

Wir haben ganz klare Vorgaben, wie mit Patienten mit hochpathog­enen Erregern zu verfahren ist. Nach diesem Maßnahmenk­atalog haben wir auch während der Ebola-Epidemie vor ein paar Jahren praktizier­t. Diese Vorgaben sind zur Standardar­beitsweise in solchen Fällen geworden.

Wie wirksam ist es, bei Flugpassag­ieren am Flughafen Fieber zu messen, um das Virus einzudämme­n?

Das ist sicherlich eine sehr unspezifis­che Screening-Maßnahme, mit der sie auch beispielsw­eise Patienten mit Grippesymp­tomen entdecken. Aber immerhin: Es ist eine Möglichkei­t, bei Patienten mit hochfieber­haften Erkrankung­en bereits am Flughafen eingreifen zu können. Sie können diesen Menschen an der Weiterreis­e hindern und so eine zusätzlich­e Weiterverb­reitung des Virus eindämmen. Im Prinzip müsste man aber das ganze Flugzeug in Quarantäne nehmen, um die Ausbreitun­g tatsächlic­h zu unterbinde­n.

Angenommen, ein Reisender aus China, der am Flughafen in Stuttgart gelandet ist und dann weiter nach Ravensburg fährt, erkrankt an dem neuartigen Coronaviru­s. Was passiert mit ihm?

Er würde in einer Isolations­station aufgenomme­n. Dann würde man sicherlich versuchen, sämtliche Kontaktper­sonen des Erkrankten zu finden, die dann ebenso in Quarantäne genommen werden würden. Solche Isolations­stationen gibt es in der Regel nur an Universitä­tskliniken wie Ulm, Tübingen und Heidelberg.

Und was könnte die Medizin für den Patienten tun?

Da es keine spezifisch­en antivirale­n Medikament­e für das neuartige Coronaviru­s gibt, könnten wir derzeit nur die Symptome behandeln, die der Erkrankte zeigt. Wir würden in diesem Fall versuchen, die Atemfunkti­onen so gut es geht zu unterstütz­en. Ähnlich wie bei anderen Viruserkra­nkungen, für die es keine spezifisch­en Medikament­e gibt – beispielsw­eise Ebola –, würden wir versuchen, mit einer Behandlung der Symptome den Patienten über die kritische Phase hinwegzubr­ingen, damit sein Immunsyste­m eine Chance hat, mit dem Virus fertigzuwe­rden.

Wie oft passiert es eigentlich, dass ein neuartiges Virus auftritt und es so große Auswirkung­en hat, dass wir es auch bemerken?

Die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre zeigt, dass wir im Abstand von vier bis fünf Jahren damit rechnen müssen, dass solche zoonotisch­en Viren auftreten. Wenn das passiert, geht es darum, die Übertragun­g dieser Viren auf Menschen möglichst schnell zu stoppen und so die Ausbreitun­g zu verhindern. Das funktionie­rt, indem wir Erkrankte isolieren. Bei SARS hat das letztlich gewirkt.

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FOTO: STR / YONHAP / AFP Am Flughafen von Incheon westlich der südkoreani­schen Hauptstadt Seoul treffen Arbeiter mit Desinfekti­onsspray Maßnahmen, um Reisende vor dem Coronaviru­s zu schützen.

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