Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Vesperkirche ist ein Renner
Schon am ersten Tag strömen die Gäste – 300 Essen ausgegeben
Von Helmut Voith
GKRESSBRONN - Es ist Halbzeit und damit Schichtwechsel am ersten Tag der Vesperkirche in Kressbronn. In dicken Trauben stehen die Menschen vor dem Eingang in die zur Vesperkirche umfunktionierte Unterkirche, am Abend wird sie zum Filmsaal.
Am Eingang steht das „Empfangskomitee“, Andreas Blank von der Neuapostolischen Kirche freut sich über den überraschend guten Besuch. „Mit so einem Ansturm, noch dazu am ersten Tag, haben wir nicht gerechnet“, sagt Christine Köberle, die das Unternehmen Vesperküche leitet. Einhundert Essen hätten sie vor zwei Jahren am ersten Tag hier ausgegeben, dann seien es ständig mehr geworden, diesmal rechnen sie gleich mit 300 Portionen. Am Eingang kaufen sich die Neuankömmlinge einen Bon. Ganz Vorsichtige werfen erst einen Blick in den Saal, ehe sie ihr Essen holen. Der Saal ist voll, im Nebenzimmer gibt es noch einige wenige Plätze. Ruhiger ist es da, gemütlich, doch lieber sind die Gäste bei den vielen im Saal. Auch eine siebte Klasse der Parkschule ist gekommen, statt in die eigene Mensa zu gehen – sie müssen nachher darüber berichte. Kein Zweifel, es summt und schwirrt im Saal, die Stimmung ist sehr gut. Bürgermeister Achim Krafft aus Langenargen, der nach dem Schichtwechsel überlegt, für welches Gericht er sich entscheiden soll – Putengeschnetzeltes mit Serviettenkloß und Salat oder Krautnudeln -, lässt sich nicht lang bitten und übernimmt fürs Foto noch einmal den Schöpflöffel.
An jedem Tag ist einer der Bürgermeister der drei beteiligten Seegemeinden hier im Dienst. Schön, die Bürgermeister einmal hautnah als Menschen zu erleben, man muss sie ja nicht gerade mit eigenen Problemen behelligen, wenn sie selbst beim Essen sind. Obwohl – dass man miteinander ins Gespräch kommt, gehört ja dazu, ist ein wichtiger Aspekt der Vesperkirche.
Männer und Frauen aus dem Rathaus, aus Betrieben und Geschäften setzen sich hin, wo gerade Platz ist. Die Senioren freuen sich, mit jemand anderem ins Gespräch zu kommen – ist doch schöner als allein daheim oder immer mit den Gleichen im Seniorenheim. Einmal etwas anderes, das macht Spaß. „Wie hoißed Sie?“, schnappt man auf, eine andere freut sich: „Abends isch au was, heut kommt en Film.“Es ist auch schöner, gemeinsam einen Film anzuschauen als allein vor dem Fernseher zu sitzen.
Diakon Walser überblickt den Raum, ist zufrieden, dass alles läuft, dass es hier zur echten Begegnung von Alt und Jung kommt. Er wünscht sich, dass der Besuch auch an den nächsten Tagen so bleibt. Und natürlich dann, wenn die Landesmutter mitwirkt. Die seit ihrer Jugend christlich engagierte Gerlinde Kretschmann freut sich besonders über solche Aktionen, von denen es im Ländle mehr gibt, aber fast nur in größeren Städten.
Nach dem Essen und dem geistlichen Impuls wird der Shuttlebus wieder fahren, und am Abend sieht man sich vielleicht wieder beim Film, beim Kabarett oder beim ökumenischen Bibelgespräch. Das Angebot ist reichhaltig und reizvoll und wird gerne angenommen. Irgendwie erinnert es an das frühe Christentum, als es noch keinen großen Verwaltungsapparat gab, als die praktische Nächstenliebe im Mittelpunkt stand, wie beim Eröffnungsgottesdienst am Sonntag zu hören.