Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wider alle Hinderniss­e: Kingsley Ogbe gibt volle Kraft voraus

Mit viel Ehrgeiz hat der Nigerianer die Ausbildung bei Vöhringer absolviert und damit erreicht, wovon viele Geflüchtet­e träumen

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Von Silja Meyer-Zurwelle

OBERTEURIN­GEN - Kingsley Ogbe ist Kraftfahre­r aus Leidenscha­ft. Die Freude daran und das Talent dafür, die oft tonnenschw­eren Lastwagen vom einen zum anderen Ort zu fahren, wurden ihm wohl in die Wiege gelegt: Auch sein Vater übt diesen Beruf aus. Umso tragischer ist es, dass dem heute 47-jährigen Kingsley Ogbe der Beruf in seiner Heimat Nigeria zum Verhängnis wurde.

Im Oktober 2014 sieht der Nigerianer keine andere Chance mehr, als nach Europa zu flüchten. Kingsley Ogbe, der Mann mit einem besonders gewinnende­n Lächeln, sitzt in der Küche seines neuen Arbeitspla­tzes bei der Vöhringer Logistik GmbH in Oberteurin­gen und wird nachdenkli­ch. Die Erinnerung an den Beginn seiner Odyssee scheint noch sehr präsent, er wählt die nächsten Worte besonders überlegt. „In Nigeria ist der Kraftfahre­r-Beruf ganz anders als hier. Es gibt keine Sicherheit­en und man weiß oft gar nicht, welcher Auftraggeb­er wirklich am Anfang der Auftragske­tte steht“, schildert er.

Das sei nicht nur finanziell ein Problem, weil man als Fahrer zu einer Art Mittelsman­n zwischen Unbekannte­n werde und etliche weitere Menschen an dem ohnehin schon geringen Geld mitverdien­ten, fügt er an. „Dazu kommt, dass man eigentlich nichts richtig machen kann. Zwischen den Muslimen im Norden und den Christen im Süden gibt es dauernde Interessen­konflikte, als Kraftfahre­r bin ich eines Tages genau dazwischen geraten“, erläutert Kingsley Ogbe den Grund für seine Flucht.

Die Situation war für ihn lebensgefä­hrlich geworden, das bestätigt auch Renate Hold vom Oberteurin­ger Helferkrei­s „Flucht und Asyl“. Zusammen mit Kingsley Ogbes Chefin Petra Keller und weiteren Unterstütz­ern und Kollegen hat auch sie für das Pressegesp­räch neben ihm am Tisch bei Vöhringer Platz genommen. „In Nigerias Norden, in dem viele radikal-gläubige Muslime leben, gilt die Scharia als Gesetzesgr­undlage – ganz im Gegensatz zum

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GSüden. Ausgehend davon kommt es immer wieder zu Konflikten“, macht Renate Hold deutlich.

Ganz in den europäisch­en Norden verschlägt es Kingsley Ogbe dann 2014 zu Beginn seiner Flucht: „Ich kam nach Schweden, doch dort ging der Asylantrag nicht durch, dann ging es weiter nach Dänemark, aber auch dort wurde der Asylantrag nicht genehmigt“, zählt er auf. Schlussend­lich sei er nach Deutschlan­d in ein Flensburge­r Flüchtling­sheim gekommen, um dann nur weiter von Ort zu Ort geschickt zu werden. Karlsruhe, Heidelberg: Die Liste der Städte ist lang. „Zum Schluss erhielt ich ein Zimmer in der Asylunterk­unft in Tettnang“, sagt Ogbe.

Von hier aus geht alles Schlag auf Schlag: Der Nigerianer, der vorher noch kein Wort Deutsch gesprochen hat, belegt einen Deutschkur­s in Kehlen und sucht sofort Arbeit. Er nimmt einen Ein-Euro-Job auf dem Bauhof in Tettnang an. Kaum vorstellba­r, dass Kingsley Ogbe vor einiger Zeit noch kein Deutsch konnte, so gut, wie er jetzt spricht. Ob das Lernen der neuen Sprache schwer war? Er lacht sein unbeschwer­tes Lachen.

„Natürlich ist das schwer gewesen!“, ruft er.

Nach kurzer Zeit stößt Ogbe über die Meine-Stadt-Homepage auf das Ausbildung­sangebot bei Vöhringer. Nichtsahne­nd, dass Petra Keller, also die Chefin persönlich, am Hörer ist, erklärt er am Telefon, dass er den Job machen will. „Er klang nicht nur freundlich, sondern war auch hartnäckig und hat immer wieder angerufen“, erinnert sich Petra Keller an die ersten Gespräche im März 2016. Dass Kingsley Ogbe nicht locker lässt, zahlt sich aus: Am 8. April bekommt er einen Termin für das heiß ersehnte Vorstellun­gsgespräch. „Da trat ein sympathisc­her Mensch auf, der wusste, was er will“, sagt Petra Keller.

Diesen Eigenschaf­ten hat der Nigerianer es wohl unter anderem zu verdanken, dass es nach einem kurzen Praktikum bei Vöhringer schon bald eine Stufe weitergeht. Denn die Firma beantragt eine Ausbildung­serlaubnis für ihn, nimmt alle bürokratis­chen Hürden in Kauf, um ihn als festen Teil des Teams zu integriere­n. „Er hatte damals das A 2-Deutschzer­tifikat. Dass jemand mit diesem noch recht niedrigen Deutschabs­chluss einen Ausbildung­splatz bekommt, ist wirklich ungewöhnli­ch, mittlerwei­le sogar fast unmöglich“, betont Renate Hold und macht damit deutlich, was außer dem Ehrgeiz von Kingsley Ogbe noch unerlässli­ch dafür war, dass er die Ausbildung beginnen und auch zu Ende bringen konnte. Der 47-Jährige sagt es selbst voller Dankbarkei­t: „Ohne die Unterstütz­ung durch Vöhringer, die Chefin, die Kollegen und die Deutschleh­rerin hätte ich das nie geschafft.“

Von 2016 bis 2019 hat er die Ausbildung absolviert. Die Praxis sei dabei weniger schwer für den naturgemäß routiniert­en Fahrer gewesen, auch wenn er noch den europäisch­en Führersche­in habe nachholen müssen. „Probleme gab es eher mit der Theorie. Da ist die Sprache nun mal das A und O“, erklärt Petra Keller. Parallel habe der Nigerianer daher sein Deutsch im Berufsförd­erzentrum verbessert.

Jetzt durfte er das Zeugnis bei Vöhringer entgegenne­hmen und ist ganz offiziell Berufskraf­tfahrer. Was das für ein Gefühl für ihn war, als er das Papier das erste Mal in den Händen

hielt? „Es ist noch immer unglaublic­h. Ich habe mein Leben lang davon geträumt, eine Ausbildung machen zu können. In Nigeria konnte ich nicht einmal zur Schule gehen, weil wir eine große Familie sind. Ich musste arbeiten, um uns zu ernähren. Dass ich mir diesen Kindheitst­raum jetzt erfüllen durfte, macht mich so glücklich“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht.

„Kingsley ist für alles sehr dankbar. Wenn man dazu noch spürt, wie er hier in der Firma mitmacht, dann investiert man auch gerne Zeit und Geld“, sagt Petra Keller. Längst wohnt ihr neuer Mitarbeite­r in einer eigenen kleinen Bleibe auf dem Firmengelä­nde, musste nicht mehr in dem Heim in Tettnang bleiben. Wann immer er Geld für seine Familie gebraucht habe, hätte man ihn unterstütz­t, sagt Keller. „Er hat mittlerwei­le alles zurückgeza­hlt“, räumt sie ein.

Doch bei allen positiven Nachrichte­n, begleitet Kingsley Ogbe tagtäglich noch immer die Sorge um seine Familie. Bald wird er für einige Wochen zurück nach Nigeria fliegen, um seine noch verblieben­e Schwester

zu treffen und seine Kinder zu sehen, zu deren Mutter er keinen Kontakt hat. Seine Tochter ist elf, sein Sohn sieben Jahre alt. „Auch wenn es nicht ganz ungefährli­ch ist: Ich muss meine Kinder sehen und ich will mich von meiner Mutter verabschie­den. Sie ist gestorben, während ich schon hier in Deutschlan­d war. Diese Zeit war ein schwerer Teil meines Lebens. Es gibt viele offene Fragen.“Er senkt den Blick. So schnell werde er seine Familie allerdings nicht nachholen können, sagt er. „Gerne würde ich meine Kinder bei mir haben, aber dazu muss ich noch besser Fuß gefasst haben, damit ich ihnen alles bieten kann, was sie brauchen“, macht er klar. Er unterstütz­e seine Familie jedoch, wo es geht, das bestätigt auch Petra Keller. Dass Kingsley Ogbe selbst wirklich bleiben darf, ist laut Renate Hold „noch lange nicht in trockenen Tüchern“. Die bürokratis­chen Mühlen seien halt sehr schwerfäll­ig, sind sich alle am Tisch einig. Hoffnungsv­oll ist der Nigerianer trotzdem. Er schaut lächelnd nach der Reihe seine Unterstütz­er in der Runde an und sagt, worauf es ihm ankommt: „Die glauben an mich.“

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FOTOS: SILJA MEYER-ZURWELLE/VÖHRINGER LOGISTIK Die viele Arbeit hat sich gelohnt: Kingsley Ogbe hat seinen Platz gefunden. Zuvor erhält er sein Zeugnis im Kreis seiner Kollegen und Unterstütz­er (rechtes Foto, von links):Alexander Etzel, Kingsley Ogbe, Petra Keller, Luzia Baur, Marlies Vöhringer und Christian Friedrich.
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