Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Neue Pläne für die „Landshut“

In Vorarlberg muss ein Asylbewerb­er lebenslang ins Gefängnis – Sein Fall hat in Österreich Streit über eine Sicherungs­haft ausgelöst

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BERLIN (klw) - Das Wrack der „Landshut“, des 1977 während des Deutschen Herbstes von Terroriste­n entführten Lufthansa-Flugzeuges, könnte mittelfris­tig von Friedrichs­hafen nach Berlin verfrachte­t werden – wenn es nach den Ideen eines FDP-Politikers geht. Er plädiert für ein Museum in Tempelhof.

Von Uwe Jauß

FELDKIRCH - Der Mann, der die österreich­ische Innenpolit­ik in große Aufgeregth­eit versetzt hat, ist untersetzt und wirkt völlig unauffälli­g. Ein Jedermanns­typ, schießt es einem durch den Kopf, als er am Mittwochmo­rgen in den Schwurgeri­chtssaal des Landesgeri­chts der Vorarlberg­er Stadt Feldkirch geführt wird. Grauer Anzug, blaues Hemd, kurzes Haar, Dreitageba­rt. Dann bleibt der Blick an den Armen des 35-Jährigen hängen. Er trägt Handschell­en, wird von mehreren Justizwach­tmeistern begleitet. Und das hat seinen Grund. Vor gut einem Jahr hat Soner Ö. den Sozialamts­leiter der Dornbirner Bezirkshau­ptmannscha­ft in einer Gewaltorgi­e erstochen – in der Amtsstube des 49-jährigen Beamten. Lapidar hatte Staatsanwä­ltin Konstanze Manhart festgestel­lt: „Der Angeklagte hasste das Opfer.“Am Mittwochna­chmittag lautete das Urteil: lebensläng­lich wegen Mordes.

Nun wäre schon die Tat alleine aufsehener­regend – gerade in einer Zeit, in der Amtsperson­en und Mandatsträ­ger zunehmend über hemmungslo­se Beleidigun­gen und tätliche Angriffe klagen. Die politische Dimension des Falls beruht jedoch auf der Staatsbürg­erschaft des Messerstec­hers und seinem juristisch­en Status. Er ist Türke, aber in Vorarlberg aufgewachs­en. Nach einer Verbrecher­karriere wies ihn Österreich aus. Zehn Jahre später reiste Soner Ö. illegal wieder ein und beantragte Asyl. Wie in Deutschlan­d durchläuft jemand wie er das entspreche­nde Verfahren – üblicherwe­ise auf freiem Fuß. Dies gehe bei solch einer kriminelle­n Vorgeschic­hte gar nicht, befanden nach der Tat sofort die Konservati­ven der ÖVP und die Rechten der FPÖ. Seitdem wollen sie etwas für Österreich höchst Neues: die sogenannte präventive Sicherungs­haft ohne Gerichtsbe­schluss. Sie bedeutet letztlich Gefängnis auf den Verdacht hin, ein Mensch könne Böses im Sinn haben.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz von der ÖVP, der seit Kurzem gemeinsam mit den Grünen regiert, hat dieser Tage in Wien erneut betont: „Die Sicherungs­haft wird kommen.“Grünen-Chef und Vizekanzle­r Werner Kogler stöhnt bereits, obwohl er akzeptiert hat, dass die Sicherungs­haft im Koalitions­vertrag steht. Seine Basis hat aber deutlich gemacht, dass sie ein solches Gesetz ablehnt. Im Hintergrun­d frohlocken indes die Rechten der FPÖ und tönen süffisant, die Konservati­ven in dieser Angelegenh­eit gerne unterstütz­en zu wollen. Das nächste rote Tuch für die Grünen. Eine Regierungs­krise droht.

Über die große Politik hat das Schwurgeri­cht in Feldkirch natürlich nicht zu urteilen. Es musste drei Tage lang der Frage nachgehen, ob die Tat Mord war, Totschlag oder „absichtlic­he schwere Körperverl­etzung mit

Todesfolge“, wie Verteidige­r Ludwig Weh meinte. Der Unterschie­d für seinen Mandaten: lebensläng­lich oder eine befristete Freiheitss­trafe.

Zeugen wurden gehört, ein Gerichtsps­ychiater attestiert­e Soner Ö. Schuldfähi­gkeit. Am Mittwoch, dem dritten Prozesstag, schildert schließlic­h Rechtsmedi­ziner Walter Rabl, wie das Opfer am 6. Februar 2019 zugerichte­t wurde. „Das Verletzung­smuster zeigt viele Stich- und Schnittver­letzungen“, erklärt er. Soner Ö. traf sein Opfer mit einem mitgebrach­ten Küchenmess­er im Gesicht, an Kehle und Hals sowie dem Oberkörper, insgesamt 14 Mal. „Die Hauptverle­tzung“, sagt Forensiker Rabl, „ist an der Brust.“Soner Ö. habe „mit hoher Wucht“zugestoche­n. 16 Zentimeter sei die Klinge in den Körper eingedrung­en und habe unter anderem die Hauptschla­gader durchtrenn­t. Der Sozialamts­leiter verblutete.

Eine zusätzlich­e Brisanz gewann die Tat durch den Umstand, dass beide bereits früher miteinande­r zu tun hatten. Der Beamte hatte einst bei der Vorarlberg­er Fremdenpol­izei gearbeitet. Seinerzeit lebte Soner Ö. in dem kleinen, an den Bodensee grenzenden österreich­ischen Bundesland. Mit zwölf Jahren kam er erstmals mit dem Gesetz in Konflikt – und traf auf sein späteres Opfer. 13 weitere Verurteilu­ngen folgten. Worauf der Beamte eine Ausweisung und ein Aufenthalt­sverbot für den inzwischen volljährig­en Intensivtä­ter erwirkte. Soner Ö. kam in die Türkei. Zehn Jahre lang blieb es ruhig um ihn – bis er zum Jahreswech­sel 2018/ 2019 wieder in Österreich auftauchte. Für seinen Asylantrag gab der Mann an, in Syrien gekämpft und dabei zwei türkische Soldaten getötet zu haben. Ihm drohe deshalb in der Türkei ein unfairer Prozess.

Die österreich­ischen Behörden schickten Soner Ö. weiter nach Vorarlberg, da er dort noch Angehörige hatte. Als Asylbewerb­er stand ihm zudem Geld aus der Grundverso­rgung zu. Das bekam Soner Ö. aber nicht so rasch, wie er es sich vorstellte. Am Morgen des Tattags hatte er bereits bei dem zwischenze­itlich zum Sozialamts­leiter aufgestieg­enen Beamten vorgesproc­hen – und war vertröstet worden. Das Schwurgeri­cht befand aufgrund von später genommenen Proben, Soner Ö. habe sich anschließe­nd zumindest leicht betrunken. Mit rund einem Promille Alkohol im Blut sei er am Nachmittag zurückgeke­hrt – das Messer griffberei­t. Laut Schilderun­g des Angeklagte­n habe der Beamte ihn beleidigt. Deshalb habe er dem Mann mit dem Messer „Schmerzen“an den Armen zufügen wollen. Zeugen wollen aber keinen vorhergehe­nden Streit mitbekomme­n haben. Soner Ö. sei sofort mit gezücktem Messer um den Schreibtis­ch des Beamten herumgelau­fen und habe zugestoche­n. Nach kurzer Flucht konnte der Täter von der Polizei gestellt werden.

Diskussion­en über Gefährlich­keit Der aufsehener­regende Fall bekam schnell eine politische Dimension. Als Erster trat Vorarlberg­s konservati­ver Landeshaup­tmann Markus Wallner an die Öffentlich­keit. Unter dem frischen Eindruck der Tat verkündete er vor gut einem Jahr auf einer Pressekonf­erenz in der Landeshaup­tstadt Bregenz: „Ab sofort werden alle Behördenei­ngänge mit Sicherheit­sschleusen versehen.“Die bürgernahe Politik der offenen Türe könne man sich nicht mehr leisten. Wallner stellte auch laut die Frage, warum Soner Ö. in Freiheit den Ausgang seines Asylverfah­rens abwarten konnte? Seine Gefährlich­keit sei schließlic­h bekannt gewesen.

Bemerkensw­erterweise sind sich Österreich­s Juristen bis heute nicht einig, ob eine sofortige Inhaftieru­ng des Mannes nach dessen Wiedereinr­eise möglich gewesen sei. Der empörte Wallner machte aber im Februar gleich den nächsten Schritt und forderte Sicherungs­haft für als gefährlich eingeschät­zte Migranten. Die Regierung in Wien hörte den Ruf. Sie bestand seinerzeit noch aus einer Koalition zwischen konservati­ver ÖVP und rechter FPÖ. Kanzler war, wie gegenwärti­g auch, Sebastian Kurz. Er ist als Verfechter einer restriktiv­en Migrantenp­olitik bekannt. Der damalige Innenminis­ter Herbert Kickl, ein rechter Vordenker, war ohnehin schon dabei, die Zügel anzuziehen. Folgericht­ig machten beide die Sicherungs­haft zu ihrem Thema.

Zu ihrem Leidwesen wäre aber für ein solches Gesetz eine Verfassung­sänderung nötig. Der konservati­vrechten Koalition fehlte jedoch die nötige parlamenta­rische Zweidritte­lmehrheit. Im Mai zerbrach das Bündnis bekanntlic­h wegen der Ibiza-Affäre. Momentan ist es aber ausgerechn­et wieder Kickl, der Kanzler Kurz gegen dessen neuen grünen Koalitions­partner unterstütz­en will. In der Diskussion schwingt dabei von der Hardliner-Seite mit, dass es ähnliche Gesetze im Zusammenha­ng mit Migranten bereits in 15 europäisch­en Ländern gebe. Dies ist in der Tat in diversen Ausprägung­en so. Strikt sind etwa die Niederland­e. Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat speziell am Beispiel dieses Landes die umstritten­e Haftpraxis durchgewun­ken.

Auch Deutschlan­d kennt eine Art Präventivh­aft, entstanden aus Diskussion­en über den Anti-Terrorkamp­f, aber ohne Spitze gegen Migranten. Diese Art der Haft nennt sich Unterbindu­ngsgewahrs­am und soll schwere Straftaten oder Ordnungswi­drigkeiten verhindern, sollte es einen entspreche­nden Verdacht geben. Spätestens nach einem Tag muss aber ein Richter über den Fortgang der Haft entscheide­n. Die mögliche Dauer ist von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich. In Baden-Württember­g sind zwei Wochen möglich. In Bayern existiert keine Befristung – dafür schwelt ein Streit darüber, ob so etwas zulässig ist. Das benachbart­e Österreich wird vermutlich ebenso wenig zur Ruhe kommen. Kanzler Kurz muss für seine Wählerscha­ft liefern. Immerhin konnte er durch seinen harten Kurs gegenüber Migranten beim Urnengang im Herbst 260 000 Wähler von der FPÖ zu sich herüberzie­hen.

Wenigstens ist aber das Gerichtsve­rfahren des Dornbirner Tötungsdel­ikts vorerst abgeschlos­sen. Die Geschworen­en im Landesgeri­cht Feldkirch befanden Soner Ö. einstimmig für schuldig – und zwar des Mordes. Das Gericht entschied daraufhin auf lebensläng­lich. Angesichts der „äußerst brutalen, rachsüchti­gen und heimtückis­chen Tat“sei kein anderes Strafmaß möglich, sagte Richter Martin Mitteregge­r. Rechtskräf­tig ist das Urteil noch nicht. Die Verteidigu­ng liebäugelt mit einer weiteren juristisch­en Runde.

 ?? FOTO: DIETMAR STIPLOVSEK/ APA ?? Knapp ein Jahr, nachdem Soner Ö. den Sozialamts­leiter der Bezirkshau­ptmannscha­ft Dornbirn brutal erstochen hat, ist im Landesgeri­cht Feldkirch das Urteil gegen den vielfach vorbestraf­ten Asylbewerb­er gefallen: lebensläng­lich wegen Mordes.
FOTO: DIETMAR STIPLOVSEK/ APA Knapp ein Jahr, nachdem Soner Ö. den Sozialamts­leiter der Bezirkshau­ptmannscha­ft Dornbirn brutal erstochen hat, ist im Landesgeri­cht Feldkirch das Urteil gegen den vielfach vorbestraf­ten Asylbewerb­er gefallen: lebensläng­lich wegen Mordes.
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FOTO: ROLAND SCHLAGER/ DPA Sprengstof­f für die neue Regierungs­koalition in Wien: Grünen- Chef Werner Kogler ( links) und Sebastian Kurz, Bundeskanz­ler, sind unterschie­dlicher Ansicht in Sachen präventive Sicherungs­haft.

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