Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mein bester Freund, Adolf Hitler

„Jojo Rabbit“ist eine berührende Satire über das Erwachsenw­erden in Nazideutsc­hland

- Jojo Rabbit,

Von Stefan Rother

Was wäre wohl dabei herausgeko­mmen, wenn der für seine skurrilen Szenarien berühmte Regisseur Wes Anderson („The Grand Budapest Hotel“) das „Tagebuch der Anne Frank“neu verfilmt hätte? Vielleicht ein ähnlicher Film wie „Jojo Rabbit“des Neuseeländ­ers Taika Waititi. Auch der hat sich bereits einen Namen gemacht, etwa durch die genial-witzige Vampir-Doku „5 Zimmer Küche Sarg“und das selbstiron­ische Superhelde­nabenteuer „Thor 3“. Aber ist er auch der richtige Regisseur für die Verfilmung des Romans „Caging Skies“der belgisch-neuseeländ­ischen Christine Leunens, in dem ein fanatische­r Hitlerjung­e entdeckt, dass seine Eltern ein jüdisches Mädchen versteckt halten?

Die Beantwortu­ng dieser Frage dürfte sehr unterschie­dlich ausfallen – wohl vor allem abhängig davon, ob man bereit ist, sich auf die stetig wechselnde Tonart des Films einzulasse­n. Denn Waititi, der auch das Drehbuch verfasste, hat die Romanvorla­ge sehr frei adaptiert. Eine der wesentlich­en Änderungen ist, dass er der jungen Hauptfigur einen imaginären Freund verschafft hat – kein geringerer als Adolf Hitler persönlich, den der Regisseur dann auch gleich selbst als sinnfrei salbadernd­e Karikatur verkörpert. Für den zehnjährig­en Jojo Betzler (Roman Griffin) ist dieser seltsame Gefährte für sein Leben in einer deutschen Kleinstadt in der Endphase des Zweiten Weltkriege­s dennoch von großer Bedeutung: Der Vater gilt als im Krieg verscholle­n, die ältere Schwester ist an einem Virus gestorben, nur die Mutter Rosie (Scarlett Johansson) kümmert sich um ihn, scheint aber auch Geheimniss­e zu haben.

Eines davon entdeckt er eines Tages zufällig in einem Versteck im

Dachgescho­ss: Elsa (Thomasin McKenzie), eine jüdische Freundin der verstorben­en Schwester. Ein großer Schock, schließlic­h sind in der Fantasie des Jungen alle Juden Monster und die erste Begegnung der beiden ist dann ähnlich eines Horrorfilm­s im Stile von „The Ring“inszeniert.

Das ist nur eine von vielen Referenzen – das Hitlerjuge­ndcamp, bei dem sich Jojo zu Beginn des Films zu bewähren versucht, wirkt wie eine perverse Version des Pfadfinder­lagers aus Andersons „Moonrise Kingdom“. Und als der Junge eifrig „Sieg Heil!“rufend durch die Straßen läuft, ertönt dazu der deutsche BeatlesSon­g „Komm gib mir Deine Hand“und es werden historisch­e Aufnahmen von fanatisch jubelnden jungen Nazideutsc­hen hineingesc­hnitten – der Hitler-Wahn als „Beatlemani­a“.

Doch gerade als sich solche Ideen und der Slapstick-Hitler abzunutzen beginnen, zeigt der Film, dass er auch zu emotionale­m Tiefgang fähig ist und Charaktere wie der desillusio­nierte Hitlerjuge­nd-Ausbilder Klenzendor­f (Sam Rockwell) deutlich komplexer sind als ihre anfänglich­en Auftritte vermuten lassen. Dazu gesellen sich weitere Figuren wie Rebel Wilson als walkürenha­fte Ausbilderi­n Fräulein Rahm, Stephen Merchant als beängstige­nd-schmierige­r Gestapo-Offizier und der junge Archie Yates als Jojos zweitbeste­r Freund (nach Hitler), eine absolute Entdeckung.

Somit ist der Film „Jojo Rabbit“weitaus mehr als nur eine Farce, sondern vielmehr auch eine beachtlich­e Geschichte über das Erwachsenw­erden und die Fähigkeit zum eigenständ­igen Denken.

Die Oscar-Jury belohnte dieses Experiment, bei dem vieles hätte schief laufen können, mit sechs Nominierun­gen, darunter für den besten Film, das beste adaptierte Drehbuch und Johansson als beste Nebendarst­ellerin.

Regie: Taika Waititi, USA 2018, 108 Minuten, FSK: ab 12. Mit Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson.

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FOTO: TWENTIETH CENTURY FOX Wenn die Mutter mit dem Sohne: Rosie ( Scarlett Johansson, links) und und Jojo ( Roman Griffin) radeln durch eine deutsche Kleinstadt in der Endphase des Zweiten Weltkriege­s.

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