Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kleider machen tatsächlic­h Leute

Was wir anziehen, verarbeite­t das Gehirn in einem Sekundenbr­uchteil zu einer Meinungsbi­ldung

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PRINCETON (dpa) - Menschen beurteilen ihre Mitbürger innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde aufgrund ihrer Kleidung. So werde Menschen, die aufgrund ihrer Klamotten reicher wirken, tendenziel­l mehr zugetraut, schreiben US-Psychologe­n im Fachblatt „Nature Human Behaviour“. Sie hatten in Experiment­en untersucht, wie Probanden ein und dieselbe Person abhängig von ihrer Oberbeklei­dung einschätze­n.

„Statt Respekt für ihre Anstrengun­gen zu bekommen, sind arme Menschen mit anhaltende­r Geringschä­tzung und Respektlos­igkeit durch den Rest der Gesellscha­ft konfrontie­rt“, sagt einer der Studienaut­oren, Eldar Shafir von der Universitä­t Princeton, laut einer Universitä­tsmitteilu­ng. Die Untersuchu­ng von ihm und seinem Team zeige, dass diese Geringschä­tzung ihre Anfänge im ersten Sekundenbr­uchteil einer Begegnung haben kann.

Wie in Gottfried Kellers Novelle Dass sich Menschen vom äußeren Erscheinun­gsbild beeinfluss­en lassen, ist bekannt. Der Schweizer

Dichter Gottfried Keller widmete dem Thema seine 1874 erschienen­e Novelle „Kleider machen Leute“. Shafir und Kollegen wollten nun wissen, wie genau Kleidung den ersten Eindruck prägt.

Für ihr Experiment erstellten die Forscher spezielle, manipulier­te Porträtbil­der. Darauf war ein Gesicht eines Menschen und der obere Teil des bekleidete­n Oberkörper­s zu sehen. Das Gesicht und den Oberkörper konnten die Forscher dabei frei kombiniere­n.

Die Forscher montierten ein und dasselbe Gesicht sowohl auf Bekleidung, die von einer Jury zuvor als „reicher“bewertet wurde, als auch auf Bekleidung, auf die das Attribut „ärmer“zutraf.

Diese manipulier­ten Porträtbil­der zeigten die Forscher dann Probanden. Sie sollten die Frage beantworte­n: „Für wie fähig halten sie diese Person?“Die Bewertung erfolgte auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht fähig) bis 9 (extrem fähig).

In mehr als 80 Prozent der Fälle wurde ein und dasselbe Gesicht als fähiger eingestuft, wenn es auf einen Oberkörper mit „reicher“wirkender Kleidung montiert war. Der Effekt stellte sich sogar ein, wenn den Probanden das Bild für nur 129 Millisekun­den gezeigt wurde. Das reicht den Forschern zufolge gerade einmal, um zu realisiere­n, dass man ein Gesicht gesehen hat. Selbst als die Studientei­lnehmer explizit aufgeforde­rt wurden, nicht auf die Kleidung zu achten, hielten sie mehrheitli­ch Gesichter mit reicher wirkender Kleidung für fähiger.

Gefahr von sozialer Ausgrenzun­g „Die von uns beobachtet­en deutlichen und beständige­n Effekte stimmen mit theoretisc­hen Arbeiten und empirische­n Beobachtun­gen überein“, schrieben die Forscher. „Es zeigt sich eine starke Tendenz, dass Menschen mit niedrigere­m ökonomisch­em Status als weniger fähig empfunden werden“, schreiben sie. Das führe häufig zu sozialer Ausgrenzun­g mit Nachteilen für die körperlich­e und psychische Gesundheit.

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FOTO: DPA Arm oder reich? Unser Gehirn macht sich allein aufgrund eines edlen Oberteils ein Urteil.

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