Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Ikea-Prinzip“für die Bundeswehr

Wehrbeauft­ragter will einfachere Materialbe­schaffung – und muss um seinen Job bangen

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BERLIN (AFP) - Der Mangel an Personal und Ausrüstung stellt nach Einschätzu­ng des Wehrbeauft­ragten Hans-Peter Bartels die Einsatzfäh­igkeit der Bundeswehr infrage. Es gebe „zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag bei der Vorstellun­g des Wehrberich­ts. Bartels forderte, die Beschaffun­g von Material radikal zu vereinfach­en. Bei einfacher Ausrüstung – Stiefel, Westen oder Helme – müsse die Bundeswehr nach dem „Ikea-Prinzip“verfahren: „Aussuchen, bezahlen und mitnehmen“, so Bartels.

Von Klaus Wieschemey­er, Ludger Möllers und Sabine Lennartz

BERLIN - Gerne würde er „über eine durchgreif­ende, spürbare Verbesseru­ng“für die Soldaten berichten, sagt der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels am Dienstag in Berlin. Doch daraus wird auch an diesem Tag, an dem er seinen fünften Jahresberi­cht vorstellt, nichts. Die versproche­nen „Trendwende­n“seien meistentei­ls noch nicht spürbar. Dabei sind die Themen alles andere als neu. „Alle zu lösenden Probleme sind bekannt, beschriebe­n, analysiert, bewertet und konzeption­ell irgendwie eingepreis­t“, sagt Bartels auch mit Blick auf eine Studie zur „Inneren Führung“von 2017, die bis heute unveröffen­tlicht sei. Bei jedem Truppenbes­uch höre er von den gleichen Sorgen: zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie. „Für die enormen Kosten, die Deutschlan­ds Steuerzahl­er für ihre Streitkräf­te aufwenden, ist die Bundeswehr als Ganzes bemerkensw­ert wenig einsatzfäh­ig“, sagte Bartels. Demnach:

sind 20 000 Dienstpost­en oberhalb der Mannschaft­sebene unbesetzt. Die Neueinstel­lungen fielen 2019 mit 20 172 auf ein Allzeittie­f.

leiden wichtige Waffensyst­eme weiter unter Materialma­ngel. Während es beim Eurofighte­r Verbesseru­ngen gebe, fehlten vor allem der Marine Schiffe.

können steigende Rüstungsbu­dgets oft nicht abgerufen werden. 1,1 Milliarden Euro blieben 2019 liegen, weil Projekte sich verzögerte­n.

Vor allem bei der Materialbe­schaffung fordert Bartels mehr Flexibilit­ät: Nicht alles müsse umständlic­h definiert, ausgeschri­eben, neu erfunden, vergeben, getestet, zertifizie­rt und nach und nach eingeführt werden. „Man kann es auch einfach kaufen“, sagt Bartels und fordert mehr Einkauf nach dem „Ikea-Prinzip“: „Aussuchen, Bezahlen und Mitnehmen.“Dazu brauche es Verantwort­ung vor Ort. „Die radikale Zentralisi­erung aus der Ära des Schrumpfen­s ist kontraprod­uktiv geworden“, sagt er und warnt: „Ohne innere Reformen werden die Trendwende­n scheitern.“

Bartels droht die Ablösung

Für Bartels ist es möglicherw­eise der letzte Bericht: Seine Amtszeit endet nach fünf Jahren, im Mai bestimmt die Koalition den neuen Wehrbeauft­ragten. Bartels will weitermach­en, aber es gibt auch andere Interessen­ten. Dem SPD-Mann Johannes Kahrs werden Ambitionen nachgesagt.

Der CDU-Verteidigu­ngspolitik­er Roderich Kiesewette­r stärkt Bartels den Rücken: „Wir haben einen Wehrbeauft­ragten, der seine Arbeit sehr ernst nimmt und sich mit großem Engagement und Herzblut um die Belange der Soldaten kümmert und der mit einem sicherheit­spolitisch­en Grundverst­ändnis an die Arbeit

herangeht“, sagt der CDU-Bundestags­abgeordnet­e der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bartels habe seit 2015 die Trendwende kritisch begleitet. Diese Wende sei wichtig, „aber sie ist noch nicht bei der Bundeswehr angekommen, sie muss bei der Truppe noch spürbar werden.“Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) habe aber ein Gespür dafür, was in den vergangene­n Jahren schief lief und bereits erfolgreic­h nachjustie­rt.

Ganz anders sieht das die GrünenAbge­ordnete Agnieszka Brugger. Der Bericht zeige, dass alte Missstände auch unter der Nachfolger­in von Ursula von der Leyen fortbestün­den. „Die Verteidigu­ngsministe­rin hat ihre Energie für unnötige Debatte über unrealisti­sche Militärein­sätze verschwend­et, statt die realen Herausford­erungen der Bundeswehr anzugehen“, sagte sie. Auch beim Thema Rechtsextr­emismus in der Truppe habe die Ministerin „viel zu spät erkannt, wie groß dieses Problem ist und erst jetzt Maßnahmen ergriffen“, klagt Brugger. Allein 2019 waren 45 Soldaten wegen rechtsextr­emistische­r Umtriebe vorzeitig aus dem Dienst entlassen worden.

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FOTO: CHRISTIAN THIEL/ IMAGO IMAGES Zu wenig Material, zu wenig Personal: Die Probleme bei der Bundeswehr sind hinlänglic­h bekannt – in seinem jährlichen Bericht wies der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels erneut darauf hin.

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