Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
König Kunde
Der Softwarekonzern SAP will sich künftig stärker um seine zuletzt etwas vernachlässigten Abnehmer kümmern
Von Mischa Ehrhardt
GFRANKFURT - Der Andrang bei der diesjährigen Jahrespressekonferenz war besonders hoch. „Ich sehe das als ein großes Interesse an der guten Entwicklung von SAP“, sagte CoChef Christian Klein zur Begrüßung am Hauptsitz in Walldorf. Gewollt oder nicht – es war ein Understatement. Natürlich galt das Interesse auch ihm als einem der beiden neuen SAP-Chefs. Mit 39 Jahren ist Klein der bislang jüngste Dax-Chef. Vor allem galt das Interesse aber auch seiner Kollegin, Jennifer Morgan. Sie ist die erste Chefin eines Dax-Unternehmens überhaupt.
Die Amerikanerin war vorher bei SAP für das Cloud-Geschäft zuständig. Deswegen hat sie mit rasantem Wachstum Erfahrung. „40 Prozent Umsatzwachstum in der Cloud, der Fokus liegt auf der Marge und dem Ausweiten der S4/Hana-Kundenbasis“, fasste die Amerikanerin den Stand der Dinge zusammen. S4/Hana ist das neue Kernprodukt von SAP und ersetzt mehr und mehr das alte System R3. Mit den SAP-Lösungen können Unternehmen in ihren Datenbanken digital mehr oder weniger alle alltäglichen Prozesse steuern und auswerten. Dabei spielt die Cloud eine immer zentralere Rolle.
In der Cloud sind zumindest Teile der Unternehmensanwendungen und -daten ausgelagert. Sie liegen also nicht mehr auf lokalen Servern in den Betrieben, sondern auf Servern, die etwa SAP zur Verfügung stellt. Bei SAP heißt Cloud auch, dass Unternehmen keine Softwarelizenzen für die jeweiligen Programme mehr kaufen müssen. Stattdessen mieten sie die Anwendungen über das Internet. In den vergangenen Jahren hat SAP stark in diese Richtung umgesteuert – und sieht sich nun in guter Position. „Schon 2019 haben wir gesehen, dass unser Cloud-Geschäft der Haupttreiber unsere Profitabilitätsverbesserung
war“, sagte Finanzchef Luka Mucic. „Wir sind hier auf einem sehr guten Weg.“
In den vergangenen Jahren waren die Gewinnmargen spärlicher ausgefallen. Das liegt daran, dass beispielsweise Investitionen in Rechenzentren gestemmt werden mussten. Zum anderen aber verteilen sich die Gewinne beim Geschäft mit Mietsoftware über längere Zeiträume. „Es ist überhaupt nicht einfach, eine Firma mal eben von links nach rechts zu ziehen und in die Cloud-Welt zu bringen“, sagte Co-Chef Christian Klein. Diese Transformation aber habe SAP nun geschafft.
Um für diese und andere Themen in Zukunft gerüstet zu sein, hat SAP im vergangenen Jahr ein paar Tausend Stellen abgebaut. In zukunftsträchtigen anderen Bereichen hat
Europas größter Softwarekonzern zugleich aber mehr Stellen neu geschaffen. So ist die Mitarbeiterzahl des Konzerns insgesamt um rund 4000 auf etwas über 100 000 weltweit gestiegen. Der Umbau allerdings hat Geld gekostet – etwa für Abfindungen. Und so ist der Gewinn von SAP unter dem Strich im vergangenen Jahr um 17 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro zurückgegangen. Demgegenüber
sind die Umsätze weiter gestiegen – um satte zwölf Prozent auf 27,6 Milliarden Euro.
Beigetragen dazu haben auch Übernahmen. 2019 beispielsweise die Übernahme des US-Marktforschers Qualtrics. Die Kehrseite der zahlreichen Übernahmen in den vergangenen Jahren: Zuletzt beschwerten sich vermehrt Unternehmenskunden, weil die unterschiedlichen Komponenten im SAP-SoftwareUniversum schlecht integriert seien. Deswegen hat sich das neue Führungstandem zum Ziel gesetzt, die Verzahnung der unterschiedlichen SAP-Anwendungen voranzutreiben und sich mehr auf die Kunden zuzubewegen.
„Sie müssen ihre Kunden in Tagen und Wochen überzeugen und halten, nicht in Jahren und Jahrzehnten“, sagte Jennifer Morgan. Christian Klein ergänzte, das SAP-Geschäftsmodell höre künftig nicht mehr mit dem Verkauf des Produktes auf. „Wir müssen mit den Kunden auf die letzte Meile gehen.“Lag das Geschäftsmodell von SAP in den vergangenen Jahrzehnten darin, Software zu entwickeln und sie an Unternehmen zu verkaufen, will sich SAP im Zuge der Umstellung auf Cloud-Lösungen zu einem Rund-um-die-Uhr-Dienstleister entwickeln. Dazu schreibt die SAP-Führung künftig in den Bonusplänen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ziele wie Kundenzufriedenheit groß.
Die Notwendigkeit, den Kundenservice und gegebenenfalls auch die Produkte selbst zu verbessern, sehen auch Beobachter wie Frank Rothauge. Er ist Branchenanalyst beim Finanzdienstleister AHP Capital. So sei im letzten Jahr zum ersten Mal der „Net Promoter Score“negativ gewesen. Der misst, ob Kunden der SAP deren Produkte an andere Kunden weiterempfehlen. „Das darf natürlich kein Dauerzustand sein. Das muss SAP wieder verbessern.“