Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Landesbank sieht Industrie vor Umbruch
LBBW-Chef Rainer Neske warnt vor zu raschem Schwenk in Richtung E-Mobilität
GSTUTTGART - Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sieht viele Branchen im Land vor einer Jahrhundertaufgabe stehen. Insbesondere die Automobilindustrie und ihre Zulieferer seien mit einer dramatischen Veränderung der Rahmenbedingungen konfrontiert, sagte Rainer Neske, Vorstandsvorsitzender der LBBW, vor Journalisten in Stuttgart. Neben einer nachlassenden Konjunktur und den Herausforderungen durch die Elektromobilität stünden die Firmen durch Klimawandel, Digitalisierung und Handelsrestriktionen gleich mehrfach unter Druck. „Dieser Umbruch trifft die Industrie mit Vehemenz“, sagte Neske, der davor warnte, die Weichen in Richtung E-Mobilität zu rasch stellen zu wollen. Stattdessen fordert er eine abgestimmte Politik, die den Auf- und Ausbau der Stromnetze und Ladestationen
systematisch vorantreibe. Neske machte klar, dass es im Zuge dieser Transformation auch Verlierer geben wird. „Wir haben eine ernste Situation“, so der LBBW-Chef. Dennoch hat er großes Zutrauen in die Leistungsfähigkeit der hiesigen Industrie, um die anstehenden Probleme bewältigen zu können.
Aufgrund der schon seit Oktober 2018 sinkenden Auftragseingänge haben die Unternehmen, die während des Booms ohnehin ihr Eigenkapitalpolster vielfach aufgestockt und damit Reserven angesammelt haben, laut Neske zunächst mit eigenen Maßnahmen klug reagiert. Dazu zählt er das Zurückfahren von Investitionen und Lagerhaltung sowie Maßnahmen zur Kostensenkung. Darunter leide zwar die Profitabilität, aber die Firmen könnten weiterhin ihre Kredite bedienen. Dies spiegele sich auch in der Risikovorsorge der LBBW wider, bei der es im vergangenen Jahr keine dramatischen Veränderungen gegeben hätte, sagte Neske. Zumindest flächendeckend erwartet hier der LBBW-Chef auch für das laufende Jahr keinen Einbruch. Zuletzt hatte die LBBW zum Halbjahr 2019 von einer Risikovorsorge für ausfallgefährdete Kredite von 63 Millionen Euro berichtet, was nahezu eine Verdopplung
gegenüber dem Vorjahreszeitraum dargestellt hat.
Als Seitenhieb auf EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die den Einsatz der Geldpolitik im Sinne der Klimapolitik erwägt, sagte Neske, die Zentralbank sollte sich nicht um politische Rahmenbedingungen kümmern. Den Kapitalmarkt selbst aber sieht er mit seinen Preismechanismen als sehr wohl geeignet, eine Lenkungswirkung von Geldströmen zugunsten nachhaltiger Kriterien zu entfalten. So seien etwa die Energiekonzerne E.ON und RWE über den Kapitalmarkt gezwungen worden, ihre Geschäftsmodelle im Sinne einer klimafreundlicheren Ausrichtung zu ändern. Der Faktor Nachhaltigkeit sei jedenfalls 2019 „mit Wucht gekommen“. Das Thema spiele neben den betriebswirtschaftlichen Kriterien bei der Neukreditvergabe inzwischen eine Rolle. Ebenso könnten sich Unternehmen wie Banken mit nachhaltig ausgerichteten Geschäftsmodellen am Kapitalmarkt grundsätzlich günstiger refinanzieren als auf konventionelle Art und Weise. Und auch die zur LBBW gehörende BW-Bank registriert bei Privatkunden eine höhere Nachfrage nach Investmentfonds, die nach ökologischen und sozialen Aspekten sowie einer guten Unternehmensführung gemanagt werden. Dabei zeigte sich der LBBW-Chef überzeugt davon, dass nachhaltige Anlagen auf lange Sicht auch mit einer besseren Performance einhergingen.
Mit Blick auf die herrschende Niedrigzinssituation sagte Neske, dass es sein Institut nicht ausschließen könne, hohe Einlagesummen vermögender Privatkunden mit einem Minuszins zu belegen. Für Kleinsparer aber stünden keine Veränderungen an. „Wir werden uns so lange wie möglich gegen Minuszinsen stemmen“, sagte Neske.