Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Labor für Menschenve­rachtung und Rassenhass

Uwe Timm liest im Kiesel – Sein Roman „Morenga“arbeitet die deutsche Kolonialge­schichte auf

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Von Harald Ruppert

GFRIEDRICH­SHAFEN - Vor 31 Jahren hat Uwe Timm zum ersten Mal eine Lesung in Friedrichs­hafen abgehalten, und bereits 42 Jahre sind seit Erscheinen seines Afrika-Romans „Morenga“vergangen. Dass Uwe Timm gerade mit diesem Buch in den ausverkauf­ten Kiesel kommt, ist keineswegs willkürlic­h: „Morenga“erzählt von der deutschen Kolonialge­schichte. „Ein Thema, das in letzter Zeit immer wieder ins Rampenlich­t rückt. In der Diskussion stehen die Rückgaben von Kolonialgü­tern, von Raubkunst oder Entschädig­ungszahlun­gen“, erklärt Franz Hoben vom Kulturbüro. Die Kolonialge­schichte der Deutschen im heutigen Namibia ist ein dunkles Kapitel, und es steht mit dem schwärzest­en in Verbindung: dem Holocaust.

Diese Ansicht vertrat Hannah Arendt in ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, auf das Hoben verweist: „Arendt stellt die These auf, dass die deutschen Kolonien ein Laboratori­um für menschenve­rachtendes Handeln und die Ausbildung von Rassenhass waren.“Das erklärt, warum Timm gerade am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz aus „Morenga“liest.

Sein Buch spielt in der Zeit der Aufstände gegen die deutschen Kolonialhe­rren. Dem gezielten Vernichtun­gskrieg der Deutschen fielen Zehntausen­de vom Stamm der Herero und der Nama zum Opfer. Sie wurden in die Wüste getrieben, verdurstet­en dort oder starben in Internieru­ngslagern. Uwe Timm sieht darin eine Vorform der Konzentrat­ionslager im Dritten Reich. Und er zeigt, dass die Nationalso­zialisten nicht nur hinsichtli­ch Menschenve­rachtung und Rassenhass Vorläufer in der Kolonialze­it hatten, sondern auch in der Ausbeutung der Arbeitskra­ft der Menschen, die sie unterjocht­en. Uwe Timms Stimme behält ihre Ruhe und ihre Freundlich­keit, als er ein Schriftstü­ck der kolonialen

Verwaltung vorträgt, das er in seinen Roman einmontier­te: „Es ist fast unvermeidl­ich, dass von den Hieben der Flusspferd­peitsche Löcher in die Haut (der Schwarzen) gerissen werden“, heißt es darin. In der Folge entstehen bei den Opfern der Züchtigung­en eiternde Wunden. Künftig solle deshalb nur noch mit dem Ende eines Taus geprügelt werden: „Der Missetäter fürchtet es sicher ebenso, aber die Folgen sind bei weitem nicht so schwer.“Hinter diesem Schreiben steckt keine humane Haltung, sondern das Ziel, die Arbeitskra­ft der Schwarzen für die Kolonialhe­rren zu erhalten.

Uwe Timm verzichtet darauf, den Inhalt solcher Dokumente nachzuerzä­hlen. „Da spricht die Sprache für sich“, sagt er. Im Gespräch bettet Franz Hoben diese Methode in den Zeitgeist der 1970er-Jahre ein, als das Dokumentar­ische in der Literatur Konjunktur hatte. Rolf Hochhuth hatte „Der Stellvertr­eter“geschriebe­n, Peter Weiß „Die Ermittlung“, Heiner Kipphardt „Bruder Eichmann“. Alles Texte, die den moralische­n Sündenfall des Dritten Reichs umkreisen. Gerade weil Zeitdokume­nte zitiert und stehen gelassen wurden, konnte er nicht beiseitege­wischt werden mit dem Hinweis, es handle sich ja nur um die freie Gestaltung eines Autors.

Für Uwe Timm hatte die Montage dokumentar­ischen Materials aber auch eine tiefere Notwendigk­eit. Er habe sich entschiede­n, sein Buch aus deutscher Perspektiv­e zu erzählen, sagt er im Kiesel. Sich in die Bewusstsei­nszustände eines kolonisier­ten Schwarzen hineinzuve­rsetzen, wäre ihm schlichtwe­g wie eine zweite Kolonisier­ung vorgekomme­n. Eine zweite Kolonisier­ung wäre es aber wohl auch gewesen, aus dieser historisch­en deutschen Rassisten-Perspektiv­e zu beschreibe­n, wie Schwarze misshandel­t werden.

Auch aus diesen moralische­n Zwängen entschied sich Timm, die originalen Dokumente sprechen zu lassen.

Interessan­t sind die Veränderun­gen der Kunst im Umgang mit der Geschichte. Wie kann, soll und darf über historisch­e Gräuel geschriebe­n werden? Uwe Timms Gewissensf­rage spielt 40 Jahre später kaum noch eine Rolle. Schon vor zwölf Jahren breitete Jonathan Littell den Holocaust in seinem Roman „Die Wohlgesinn­ten“kolportage­haft aus und erzielte damit riesige Auflagen.

Ganz anders also noch Uwe Timm: Weder wollte er den Opfern ein zweites Mal Gewalt antun, noch sich in ihre Befindlich­keiten hineinlüge­n. Auch deshalb bleibt die titelgeben­de Figur – zumindest im Rahmen der Lesung – ein Mythos: Jakobus Morenga, der zentrale Anführer im Kampf gegen die deutschen Kolonialis­ten. „Wer war Morenga?“, fragt Timm im Roman. „Morenga reitet einen Schimmel, den er nur alle vier Tage tränken muss. Nur eine Glaskugel, die ein Afrikaner geschliffe­n hat, kann ihn töten. Er kann in der Nacht sehen wie am Tag. Er schießt auf hundert Meter jemandem ein Hühnerei aus der Hand. Er will die Deutschen vertreiben. Er kann Regen machen. Er verwandelt sich in einen Zebrafinke­n und belauscht die deutschen Soldaten.“

Der überlebens­große Morenga wurde 1907 nach einem dreijährig­en Guerillakr­ieg erschossen. Nicht mit Kugeln aus Glas, sondern mit Blei, das englische Soldaten abgefeuert hatten. Die Deutschen hatten sich mit ihnen zusammenge­tan, um Morengas habhaft zu werden. Als Uwe Timm für seinen Roman recherchie­rte, war Morenga auch in seinem eigenen Land fast vergessen. „Ich war stolz, dass ich ihn entdeckt hatte“, gesteht Timm. Dass Morenga heute nicht so berühmt ist wie Che Guevara, liegt nicht an ihm, sondern an der Popkultur. Sie kam für seinen Kampf einfach 50 Jahre zu spät.

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FOTO: HARALD RUPPERT Im Kolonialis­mus wuchsen schon die Mechanisme­n des Holocausts heran, meint Uwe Timm.

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