Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Erasmus könnte Brexit-Opfer werden

Tausende Studierend­e gehen nach Großbritan­nien – Kommt das Schweizer Modell?

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Von Mathias Puddig und Sebastian Heinrich

GLONDON/BERLIN - Droht das Erasmus-Programm der Europäisch­en Union unter die Räder der BrexitVerh­andlungen zu kommen? Anfang Januar hat das britische Unterhaus einen Antrag abgelehnt, der die Regierung dazu verpflicht­et hätte, das Programm fortzusetz­en. Nun ist unklar, ob der rege Austausch zwischen dem Königreich und den anderen EU-Staaten auch künftig fortgesetz­t werden kann. Sicher ist bisher: Während der Übergangsp­hase bis Ende 2020 werden sich keine Veränderun­gen ergeben. Wie es danach weitergeht, muss im Rahmen der Austrittsv­erhandlung­en ab 1. Februar noch verhandelt werden – Ausgang offen.

Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) hat dafür geworben, Großbritan­nien in dem Programm, das seit sechs Jahren offiziell den Namen Erasmus+ trägt, zu halten. „Erasmus+ verbindet Menschen und steht wie kaum ein anderes EU-Programm für europäisch­e Verständig­ung“, sagte sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Deshalb wünschen wir uns, dass Erasmus+ auch nach dem Brexit Brücken zwischen Europa und dem Vereinigte­n Königreich baut.“Auch die britische Regierung verfolge die weitere Teilnahme an Erasmus, erklärte das Londoner Bildungsmi­nisterium.

Erasmus+ ist eine der großen Erfolgsges­chichten der EU. Als das Programm 2017 sein 30-jähriges Bestehen feierte, hatten schon 650 000 Studierend­e aus Deutschlan­d daran teilgenomm­en. Insgesamt waren bis vor drei Jahren rund 4,4 Millionen junge Menschen unterstütz­t worden. Großbritan­nien ist dabei für deutsche Studierend­e stets nach Spanien und Frankreich das wichtigste Zielland gewesen. Für Praktikant­en, die sich ebenfalls über das Programm fördern lassen können, ist es sogar das wichtigste Land gewesen.

Auch im Süden nehmen jährlich Tausende junger Menschen an Erasmus+ teil. 28 968 Studierend­e allein von Hochschule­n in Baden-Württember­g waren es nach Informatio­nen des Stuttgarte­r Wissenscha­ftsministe­riums von 2014 bis 2019, davon 23 358 für Studienauf­enthalte und 5610 für Praktika. 4444 Personen gingen demnach nach Großbritan­nien – 1273 davon für ein Praktikum, das ist ein vergleichs­weise großer Anteil. Aus Großbritan­nien in den Südwesten kamen durch Erasmus+ im selben Zeitraum 1335 Personen.

Ähnlich hoch sind die Zahlen für Bayern. Laut der Nationalen Agentur für EU-Hochschulz­usammenarb­eit im Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienst (DAAD) haben zwischen 2014 und 2019 28 665 Studierend­e an Erasmus+ teilgenomm­en, die Teilnahmez­ahlen steigen demnach Jahr für Jahr. 4063 Studierend­e und Lehrkräfte gingen in diesem Zeitraum aus bayerische­n Hochschule­n nach Großbritan­nien, 938 aus Großbritan­nien an bayerische Hochschule­n.

Großbritan­nien könnte indes trotz Brexit an Erasmus+ festhalten. Darauf weist auch die European University Associatio­n (EUA) in einem Papier zum Brexit hin. Der zeitliche Rahmen sei aber „sehr eng und könnte durch ein drittes Element komplizier­ter werden: den Wunsch der EU nach Gegenseiti­gkeit“, heißt es in dem Briefing. Ähnlich wie Norwegen, Liechtenst­ein oder Island könnte auch das Vereinigte Königreich ein Programmla­nd außerhalb der EU werden. Dazu sind aber Verhandlun­gen nötig.

Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsek­retär des Deutschen Studentenw­erks, weist darauf hin, dass eine „Schweizer Lösung“denkbar wäre. 2014 stimmten die Schweizer in einer Volksabsti­mmung gegen eine Teilnahme am Programm. Anstatt Erasmus aber aufzugeben, haben die Schweizer Hochschule­n die Kosten für Erasmus-Mobilitäte­n einfach selbst übernommen.

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