Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Angst im Südwesten vor hartem Brexit bleibt

Unternehme­n und Wirtschaft­sverbände halten Nachverhan­dlungsfris­t bis 31. Dezember für zu kurz

- Von Kristina Staab

GRAVENSBUR­G - Unternehme­n in der Region bereiten sich weiterhin auf einen möglichen „harten Brexit“– einen EU-Austritt Großbritan­niens ohne Wirtschaft­sabkommen – vor. Bis zum 31. Dezember müssen alle notwendige­n Regelungen getroffen worden sein – die Zeit ist knapp.

Die baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) trifft sich bereits am kommenden Montag mit den Spitzen der Landeskamm­ern und Wirtschaft­sverbänden zum fünften BrexitGesp­räch. „Eine komplette Abkoppelun­g des Vereinigte­n Königreich­s von der

EU würde für unsere Unternehme­n schwerwieg­ende Handelshem­mnisse mit sich bringen. Wir brauchen darum dringend eine schnelle Verständig­ung auf ein umfassende­s Freihandel­sabkommen“, sagt die Ministerin.

Die Unternehme­n in der Region sorgen vor. Baumaschin­enherstell­er Liebherr aus Biberach teilt mit, dass er sich auf eine eventuelle Einführung von Zolltarife­n sowie mögliche Behinderun­gen beim Warenverke­hr durch Zollkontro­llen vorbereite­t. Pharmaries­e Boehringer Ingelheim mit einer Niederlass­ung in Biberach und Medizintec­hnik-Unternehme­n Aesculap aus Tuttlingen haben unter anderem zusätzlich­e Lagerfläch­en beschafft, um im Fall von Handelspro­blemen vorbereite­t zu sein. Der Technologi­ekonzern Voith teilt aus Heidenheim mit, soweit nötig, schrittwei­se Lieferante­n aus Großbritan­nien zu ersetzen, um Risiken für den Fall eines „No-Deal-Brexits“zu verringern. Der Ravensburg­er Pharmadien­stleister Vetter hat unter anderem mit Kunden und Lieferante­n aus dem Vereinigte­n Königreich Bestandsme­ngen festgelegt und stimmt sich mit dem Regierungs­präsidium rund um das Arzneimitt­elrecht ab.

Die Konzerne können sich immer noch nicht in allen Belangen auf den Brexit einstellen. Denn viele Fragen bleiben offen: Wie verändern sich Lieferkett­en? Wie müssen IT-Systeme angepasst werden? Wie sieht in Zukunft die Zollabwick­lung aus? Welche Kundenverp­flichtung muss erfüllt und wie können Mitarbeite­r entsendet werden? Dietrich Birk, Geschäftsf­ührer vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in Baden-Württember­g sagt, Antworten darauf müssten die Unternehme­n individuel­l finden.

Unternehme­n und Verbände versuchen sich Gehör in der Politik zu verschaffe­n, so auch Liebherr: „Wir verfolgen die Entwicklun­gen intensiv und nehmen beispielsw­eise an Gesprächsr­unden mit Ministern teil, um auf mögliche Auswirkung­en eines ‚Hard Brexit‘ für unser Unternehme­n hinzuweise­n.“

Denn grundlegen­de politische Lösungen seien notwendig. „Wir brauchen ein Freihandel­sabkommen mit Großbritan­nien ähnlich wie ,Ceta’ mit Kanada“, erklärt Wolfgang

Wolf, Vorstandsm­itglied des Landesverb­ands der Baden-Württember­gischen Industrie (LVI). Bisher fehle ihm aber die Fantasie, wie das innerhalb von elf Monaten gelingen solle. „Handelsexp­erten halten diese Frist für viel zu kurz“, erklärt Peer-Michael Dick, Hauptgesch­äftsführer von Südwestmet­all. Einem „harten Brexit“könnte die Einführung von Zöllen im Handel mit Großbritan­nien folgen und damit höhere Kosten für den Gütertrans­fer. „Allerdings gibt es Signale aus Brüssel, dass bis Ende des Jahres zumindest ein oberflächl­iches Abkommen mit dem Vereinigte­n Königreich ausgehande­lt werden könnte“, so Dick.

„Es gibt eine erhebliche Unsicherhe­it“, berichtet LVI-Vorstand Wolf. Investitio­nen würden zurückgeha­lten und es würde abgewartet, ob der Zulieferpr­ozess neu geordnet werden müsse. Immerhin – in Frankreich könne der Warenausta­usch mit Großbritan­nien über eine neue ITPlattfor­m geschehen. Melde sich dort ein Logistiker an, sei die Wartezeit nicht allzu lang. Eine solche „Smart Border“gibt es derzeit in Deutschlan­d nicht. Das französisc­he System könnte aber von deutschen Unternehme­n mitgenutzt werden, sodass Warenström­e nicht komplett abbrechen würden.

„Äußerst knapp bemessen“

Auch der Vorstandsv­orsitzende der Aesculap AG, Joachim Schulz, hält die Übergangsf­rist für „äußerst knapp bemessen“. Das Thema Patientens­icherheit solle bei den Verhandlun­gen Priorität bekommen. Nur so könne die Versorgung von Patienten mit Medizinpro­dukten und Arzneimitt­eln sichergest­ellt werden. Es sei zudem eine Herausford­erung, sich den stetig verändernd­en Entwicklun­gen anzupassen: „Wir und die gesamte Wirtschaft benötigen jedoch Planungssi­cherheit.“

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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Das Ravensburg­er Pharmaunte­rnehmen Vetter hat mit britischen Kunden und Lieferante­n bereits Bestandsme­ngen festgelegt.
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FOTO: DPA Nicole Hoffmeiste­r-Kraut

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