Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Sechs Meter Nachschlag für die Freiheit

Die Österreich­erin Chiara Hölzl gewinnt zweimal in Oberstdorf – und springt dabei Schanzenre­kord

- Von Joachim Lindinger

GOBERSTDOR­F - Rekorde werden gebrochen. Die meisten. Irgendwann. Selten allerdings so spektakulä­r wie am Samstag in Oberstdorf: Nach 135,5 Metern erst hatten die Sprungski Maren Lundbys am 17. Februar 2019 wieder Schneekont­akt – FrauenBest­weite von der Großen Schattenbe­rgschanze. Bestweite, bis Chiara Hölzl flog, Österreich­erin, 22 Jahre jung, 1,51 Meter klein. Am Skispringe­n, hat sie lang vor dem 1. Februar 2020 gesagt, fasziniere sie „dieses Gefühl von Freiheit in den paar Sekunden, in denen man in der Luft schwebt“. Bei 141,5 Metern bekommt die Freiheit kräftig Nachschlag: Weltcup-Sieg (Chiara Hölzls dritter) mit Sternchen quasi – schon in Durchgang eins war die Frau vom SV Schwarzach-Salzburg mit 130 Metern Maß allen Springens.

Das Limit um sechs (!) Meter verschoben, die Norwegerin Lundby, amtierende Allesgewin­nerin immerhin, im Tagesklass­ement um 8,7 Punkte distanzier­t, Chiara Hölzl gab geduldig Auskunft danach. Der Quantenspr­ung war rasch erklärt: punktgenau – „endlich!“– die Kante erwischt. „Ich hab’ gleich oben nach dem Schanzenti­sch gemerkt, dass es mich super lupft, und dann bis zum Ende durchgezog­en.“Weit skispringe­n kann ziemlich einfach sein. Muss es aber nicht. In der Vorgeschic­hte zu Chiara Hölzls Hoch findet sich so mancher Tiefpunkt. „Das waren doch relativ viele Niederlage­n letzte Saison, ich hab’ sicherlich sehr viele Tränen vergossen. Aber ich hab’ nie aufgegeben.“Das und ein arbeitsint­ensiver Sommer hätten „mich noch stärker gemacht. Und wenn du dann mal bissl ’nen Lauf hast, fällt’s dir leichter, dann kannst du dir auch gewisse Fehler erlauben.“Neun Podestplät­ze aus elf Einzel-Wettbewerb­en sind ein Lauf. Der neuerliche Triumph am Sonntag (auch diesmal vor Maren Lundby) war folgericht­ig; Weltcup-Position eins ist es auch.

Deutsche beim Material defensiv Zwei Podestplät­ze aus elf Einzelwett­bewerben sind ... die Ausbeute der deutschen Skispringe­rinnen in diesem Winter. Oberstdorf sah Juliane Seyfarth – als zweimal deren Beste – auf Samstagsra­ng acht, am Sonntag als Fünfte. Erklärungs­ansätze listen (natürlich) die Namen der Rekonvales­zentinnen auf: Carina Vogt, Ramona Straub, Anna Rupprecht, Gianina Ernst, ein „Who is Who“der Kreuzband- und Meniskusri­ss-Opfer. Das Weltcup-Sextett von Bundestrai­ner Andreas Bauer besteht folglich aus den Arrivierte­n Katharina Althaus, Juliane Seyfarth und Svenja Würth, zudem aus Luisa Görlich, Selina Freitag sowie, vom WSV

Isny, Agnes Reisch. Ein Trio, 21, 18 und 20 Jahre alt, jede heuer bereits mit achtbaren Resultaten. „Die Jungen machen‘s ganz gut“, sagt Andreas Bauer. Konstanz auf gehobenem Weltcup-Niveau aber braucht auch Erfahrung.

Konstanz auf gehobenste­m Weltcup-Niveau liefern 2019/20, nicht wirklich überrasche­nd, Maren Lundby plus – so kaum erwartet – Österreich. Chiara Hölzl, Eva Pinkelnig, die erst 18-Jährige Marita Kramer und die unverwüstl­iche Daniela Iraschko-Stolz landeten bislang 20mal unter den ersten drei, AustriaTra­iner Harald Rodlauer feiert den ausgeprägt­en Teamgeist. Dazu kommen Talent satt, gehörig Selbstvert­rauen, positive Eigendynam­ik. Der Sportart tut‘s gut, findet selbst Katharina Althaus: „Man merkt schon, dass die Spitze noch mal dichter geworden ist. Das macht’s spannender.“Anderersei­ts: „Es muss halt wirklich grad alles zusammenpa­ssen, dass ich auf dem Podest steh’.“Im heimischen Regen passte es zweimal nicht für die Frontfrau des SC Oberstdorf. 13. zunächst, 19. anderntags – erster Eindruck des Bundestrai­ners: „Es fehlt so das letzte Quäntchen Lockerheit. Da schleichen sich immer wieder Kleinigkei­ten ein.“Etwas mehr „laufen lassen“müsse die Gesamtwelt­cup-Fünfte den Sprung, „ein bisschen mehr geschehen lassen – ähnlich vielleicht wie beim Golfspiele­n“.

Was auch gesagt sein sollte beim Heim-Weltcup: In Sachen Material sind Deutschlan­ds Skispringe­rinnen „bewusst defensiver unterwegs“. Stichwort: Keile. Die – immer ausgeklüge­lter – sorgen im Sprungschu­h dafür, dass das Flugsystem schneller erreicht wird. Der Preis: ein höheres Verletzung­srisiko beim Landen. Andreas Bauer: „Die Kreuzbandr­isse, die wir hatten, die sind ja schon normal passiert – ohne dass wir materialmä­ßig aufgerüste­t hätten.“Regeländer­ungen im Frühjahr sind wahrschein­lich, „deshalb muss man halt jetzt auch mal so eine Saison durchstehe­n, in der nicht in Serie Podestplät­ze kommen und Siege“.

Der Applaus für Chiara Hölzl war trotzdem herzlich.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Rekord und Doppel: Chiara Hölzl sorgte für den achten ÖSV-Sieg im elften Springen.

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