Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wittenberg­er „Judensau“-Relief darf bleiben

Die antisemiti­sche Schmähplas­tik muss nach einem Gerichtsur­teil nicht entfernt werden, da sie in eine Gedenkstät­te eingebette­t ist

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NAUMBURG/WITTENBERG (KNA) Das mittelalte­rliche „Judensau“-Relief an der Außenfassa­de der Wittenberg­er Stadtkirch­e darf hängen bleiben. Das Oberlandes­gericht Naumburg hat am Dienstag die Berufungsk­lage eines jüdischen Mannes zurückgewi­esen, der eine Abnahme gefordert hatte, weil die Schmähplas­tik Juden antisemiti­sch beleidige. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Der 9. Zivilsenat ließ eine Revision vor dem Bundesgeri­chtshof zu, da die Sache grundsätzl­iche Bedeutung habe. Die Anwaltskan­zlei bestätigte unterdesse­n, dass der Kläger Revision anstrebt.

Entspreche­nde Darstellun­gen einer „Judensau“finden sich noch an rund 30 evangelisc­hen und katholisch­en Kirchen im deutsch geprägten Kulturraum. Der mitteldeut­sche Landesbisc­hof Friedrich Kramer sagte der Katholisch­en Nachrichte­nAgentur (KNA): „Das Urteil war erwartbar, denn man kann der Wittenberg­er Stadtkirch­engemeinde nicht ernsthaft eine Beleidigun­gsabsicht unterstell­en.“Er teile zwar die Ansicht des Klägers, dass die Plastik abgehängt werden solle, so Kramer, sei aber gegen eine Museumslös­ung: „Der Gedenkort hat sich bewährt und hat eine große Bedeutung für die

Stadt und ihre Bevölkerun­g.“Gleichwohl müsse über einer Weiterentw­icklung der Gedenkstät­te nachgedach­t werden, möglichst in Abstimmung mit der jüdischen Community: „Das tut die Stadtkirch­e auch.“

Der Vorsitzend­e Richter Volker Buchloh hatte bei der Urteilsver­kündung erläutert, der Straftatbe­stand der Beleidigun­g sei nicht erfüllt. Die Zurschaust­ellung der Plastik „verletzt nicht die Ehre der Juden“. „Wer das Relief betrachtet, kann das Mahnmal und die Informatio­nstafel, die die beklagte Stadtkirch­engemeinde 1988 angebracht hat, nicht übersehen“, so Buchloh. Der Informatio­nstext

bringe „unmissvers­tändlich“zum Ausdruck, dass sich die Kirchgemei­nde vom verhöhnend­en und beleidigen­den Charakter der Plastik und der Missachtun­g von Juden ausdrückli­ch distanzier­e.

Der Richter räumte ein, dass das Relief isoliert betrachtet einen beleidigen­den Inhalt habe. Die Einbettung in die kommentier­ende Gedenkstät­te nehme der Skulptur jedoch den beleidigen­den Charakter. Das Oberlandes­gericht folgte in seiner Argumentat­ion der Entscheidu­ng des Landgerich­ts Dessau-Roßlau, das am 24. Mai 2019 die Klage abgewiesen hatte.

Auf dem Relief in etwa vier Metern Höhe an der Predigtkir­che des Reformator­s Martin Luther (14831546) ist ein Rabbiner zu sehen, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Zwei weitere Juden saugen an den Zitzen des Tiers. Das Schwein gilt den Juden als unrein. Hinzu kommt die 1570 eingelasse­ne Inschrift „Rabini-Schem HaMphoras“. Diese ist vermutlich inspiriert von Luthers antijüdisc­her Schrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“von 1543. „Schem Ha Mphoras“steht für den im Judentum unaussprec­hlichen heiligen Namen Gottes.

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