Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Können Auswirkungen auf die globalen Lieferketten nicht ausschließen“
Medien sollen Privatsphäre der Mitarbeiter respektieren, sagt Webasto-Chef Holger Engelmann - Firmenzentrale bleibt bis 11. Februar geschlossen
STOCKDORF - Mitten in der oberbayerischen Gemeinde Gauting hat der Autozulieferer Webasto seinen Stammsitz. Dort, im Ortsteil Stockdorf, sind die ersten Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland publik geworden. Vorstandsvorsitzender Holger Engelmann spricht mit Ralf Müller über Produktion, Panik und Privatsphäre.
Herr Engelmann, wie geht es denn nun weiter in der Webasto-Zentrale in Stockdorf. Wann wird wieder gearbeitet?
Aufgrund der aktuellen Entwicklungen bleibt unsere Firmenzentrale bis einschließlich 11. Februar geschlossen. Ein Großteil der mehr als 1000 Mitarbeiter arbeitet bis dahin von zu Hause aus. Das sind dann seit unserer Schließung insgesamt zwei Wochen.
Die schnelle Reaktion Ihres Hauses auf den ersten Corona-Fall wird allseits gelobt. Andererseits ist Webasto auch als der Corona-Herd in Deutschland bekannt. Ist das für das Image eher gut oder schlecht? Wir bekommen im Augenblick sehr viele positive Rückmeldungen für unsere transparente und schnelle Kommunikation und unser Krisenmanagement. Dies gibt uns viel Kraft in dieser besonderen Situation, denn für uns steht nicht nur das Wohl unserer Mitarbeiter, sondern auch der Gesellschaft insgesamt im Vordergrund. Was dabei oft untergeht ist, dass bis auf China an all unseren Standorten außerhalb von Stockdorf der Betrieb ganz normal weiterläuft. In Stockdorf können unsere Kollegen ihre Arbeit vorübergehend auch digital erledigen. Zudem stehen wir in regelmäßigem Kontakt mit unseren Kunden und Lieferanten, die großes
Verständnis für unsere Situation zeigen, und besprechen individuell mit ihnen die nächsten Schritte.
Sie haben die Ausgrenzung von Mitarbeitern Ihres Hauses in der Gesellschaft beklagt. Können Sie dafür Beispiele nennen?
Eltern und Lebenspartner von Mitarbeitern, die nicht zur Risikogruppe gehörten, wurden von ihren Arbeitgebern ins Homeoffice gesandt, bis eine negative Testbescheinigung des Kindes oder Partners vorliegt. Kindergärten haben Kindern von Webasto-Mitarbeitern den Besuch des Kindergartens bis auf Weiteres untersagt. Mitarbeiter von Werkstätten haben Reparaturen an einem Auto eines Mitarbeiters unseres Unternehmens mit Hinweis auf eine etwaige Ansteckungsgefahr verweigert. Die Steuerberaterin der Mutter einer Mitarbeiterin wurde ins Homeoffice geschickt.
Wird in Deutschland unnötig Panik verbreitet?
Ich verstehe, dass in der Öffentlichkeit viel Unsicherheit und Aufklärungsbedarf herrscht. Deshalb ist auch das mediale Interesse natürlich sehr hoch. Viele Medien berichten faktenbasiert, lassen entsprechende Experten zu Wort kommen und informieren die Öffentlichkeit objektiv über den aktuellen Status, die Risiken und die weiteren Schritte. Allerdings würde ich mir von einigen Formaten wünschen, dass sie die Privatsphäre unserer betroffenen Mitarbeiter und deren Familien stärker respektieren.
Kann man sagen, dass Webasto jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Virusträger des Unternehmens in Deutschland identifiziert hat oder können noch weitere Fälle erkannt werden?
Da wir den Standort am 29. Januar frühzeitig vorsorglich geschlossen haben, die Risikogruppen schnell eingegrenzt und die Mitarbeiter gebeten haben, im Homeoffice zu arbeiten, gehen wir davon aus, dass wir die Infektionskette im Unternehmen unterbrechen konnten. Für die Wirksamkeit unserer Maßnahmen spricht, dass wir bisher keinen Coronavirus-Fall an einem unserer anderen deutschen Webasto-Standorte haben.
Sie haben Produktionsstätten in China, auch in Wuhan. Was passiert jetzt dort? Sind sie lahm gelegt? Bis Ende Januar waren unsere chinesischen Werke im Rahmen der chinesischen Neujahrsfeierlichkeiten geschlossen. Der Start unserer Produktion wird sich voraussichtlich auf den 9. Februar verschieben, da sowohl die chinesischen Behörden
als auch unsere Kunden vor Ort die Schließung ihrer Werke verlängert haben. Für die Region Hubei, in der Wuhan liegt, werden die chinesischen Behörden die Beschränkung für den Personen- und Güterverkehr voraussichtlich am 17. Februar wieder aufheben. Wir sind täglich im engen Kontakt mit den chinesischen Behörden, da derzeit nicht auszuschließen ist, dass sich dieser Zeitplan nochmals verschieben wird. Daher können wir Auswirkungen auf die globalen automobilen Lieferketten nicht ausschließen.
Gibt es deutsche Webasto-Mitarbeiter in China, die jetzt das Land nicht mehr verlassen können? Wie kümmern Sie sich um diese?
Wir haben einige deutsche Kollegen, die ihren Arbeitsschwerpunkt in China haben. Diese sind ebenfalls von unserem Reisestopp für Reisen von und nach China betroffen. Wir stehen mit ihnen regelmäßig im Austausch, es geht ihnen gut.
Wie lange kann Webasto diese Krise aushalten, ohne dass ernsthafte wirtschaftliche Schäden eintreten? Zum heutigen Zeitpunkt sind keine Werke außerhalb von China von einer Schließung betroffen. China ist nicht nur für uns ein wichtiger Produktionsstandort und Markt, sondern auch für viele unserer Kunden. Wir stehen im täglichen Austausch mit den zuständigen Behörden sowie unseren Kunden und Lieferanten. Einen möglichen finanziellen Schaden für unser Unternehmen können wir aktuell nicht beziffern, da unklar ist, wie sich die Situation – vor allem auch die Nachfrage von unseren Kunden, die in China produzieren – weiterentwickelt.