Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Scholz’ Altschulde­npläne in der Kritik

Der Bundesfina­nzminister erklärt im Interview, warum er klammen Kommunen helfen will – Widerspruc­h aus dem Südwesten

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BERLIN/RAVENSBURG (klw/nbr/sz) - Bundesfina­nzminister Olaf Scholz hat seinen Plan bekräftigt, dass der Bund die Altschulde­n von 2500 besonders hoch verschulde­ten Kommunen übernimmt. „Es ist von großer Bedeutung, dass wir den Kommunen, die so hoch verschulde­t sind, dass sie nicht aus eigener Kraft wieder auf die Füße kommen, eine neue Stunde null ermögliche­n“, sagte der SPD-Politiker der „Schwäbisch­en Zeitung“. Für ihn sei es eine Lehre aus dem Brexit und der Trump-Wahl, „Regionen, die wirtschaft­lich nicht profitiere­n, nicht alleine“zu lassen.

In Baden-Württember­g stößt Scholz’ Vorhaben allerdings auf Widerspruc­h. „Aktuell sind die Länder im Nachteil, die keine verschulde­ten Kommunen haben oder die schon angefangen haben, ihre Kommunen zu entschulde­n“, teilte Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (Grüne) auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Die Kommunen in BadenWürtt­emberg seien finanziell gut aufgestell­t, nicht zuletzt dank der Unterstütz­ung des Landes, hieß es aus ihrem Ministeriu­m. Für die finanziell­e Ausstattun­g der Kommunen und die Kommunalau­fsicht seien zunächst einmal die jeweiligen Länder zuständig. Ähnlich hatte sich bereits Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) geäußert.

Kritik an der Übernahme von kommunalen Altschulde­n durch den

Bund kam auch vom baden-württember­gischen Gemeindeta­g. Es könne nicht sein, dass Kommunen im Südwesten, „die schuldenfr­ei gewirtscha­ftet haben, als Strafaktio­n über den Altschulde­nfonds des Bundes an der Entschuldu­ng von Kommunen in anderen Bundesländ­ern beteiligt werden“, teilte Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle (CDU) mit. Baden-Württember­g habe seine Probleme selbst gelöst, es gebe keine überschuld­eten Kommunen mehr, dies sollten die anderen Bundesländ­er ebenso handhaben.

Vor dem Hintergrun­d des Milliarden­überschuss­es des Bundes zeigte sich Finanzmini­ster Scholz zudem zuversicht­lich, die Abschaffun­g des

Solidaritä­tszuschlag­s für die meisten Steuerzahl­er um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2020 vorzuziehe­n. Dies sei „ein ziemlich attraktive­r und einfacher Vorschlag“, der auch zwischen Parteien funktionie­ren könne, „die verschiede­ne Vorstellun­gen über ein gerechtes Steuersyst­em haben“, sagte Scholz im Gespräch mit den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktions­gesellscha­ft.

Der Solidaritä­tszuschlag soll nach den bisherigen Plänen der schwarzrot­en Koalition eigentlich Anfang 2021 für rund 90 Prozent der Zahler abgeschaff­t werden. Ein Vorziehen auf Juli 2020 würde die Bundesbürg­er um rund fünf Milliarden Euro entlasten.

BERLIN - Wann müssen Durchschni­ttsverdien­er nicht mehr den Spitzenste­uersatz bezahlen und wie sinnvoll wäre es, Ein-Cent-Münzen zu verbieten? Dieter Keller, Mathias Puddig und Klaus Wieschemey­er haben darüber mit Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) gesprochen – und ihn gefragt, ob seine kriselnde Partei eigentlich noch zeitgemäß ist.

Herr Scholz, machen Sie eigentlich Ihre Steuererkl­ärung selbst?

Nein. Ich wäre dazu zwar in der Lage, weil es bei meiner Frau und mir nicht so komplizier­t ist. Aber seit meiner Zeit als selbststän­diger Anwalt lasse ich das einen Steuerbera­ter machen.

Selbst die Linke beklagt, dass der Spitzenste­uersatz schon für Durchschni­ttsverdien­er gilt. Wann ändern Sie das?

Schon im Wahlprogra­mm 2017 der SPD stand, dass wir das ändern wollen. Wir wollten die Steuern für kleine und mittlere Einkommen senken, den Spitzenste­uersatz erst später erheben und das dadurch finanziere­n, dass die sehr hohen Einkommen einen etwas größeren Anteil zur Finanzieru­ng des Gemeinwohl­s leisten. Darauf konnten wir uns mit unserem Koalitions­partner leider nicht verständig­en, was nicht so ganz verwunderl­ich ist.

Also passiert gar nichts?

Es macht Sinn, den großen Streit darüber bei der nächsten Bundestags­wahl auszutrage­n, aber jetzt einen weiteren konkreten Entlastung­sschritt auf den Weg zu bringen. Die bereits beschlosse­ne komplette Abschaffun­g des Solis für 90 Prozent der Steuerzahl­er und die teilweise für weitere 6,5 Prozent können wir um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2020 vorziehen.

Sehen Sie dazu die Bereitscha­ft bei der Union?

Viele haben verstanden, dass das ein ziemlich attraktive­r und einfacher Vorschlag ist, der auch zwischen Parteien funktionie­ren kann, die verschiede­ne Vorstellun­gen über ein gerechtes Steuersyst­em haben und über die Frage, wer entlastet werden soll. Wir sollten es einfach tun.

Steuersenk­ungen bringen Geringverd­ienern nichts, weil sie keine Steuern zahlen. Dafür müssen sie relativ hohe Sozialabga­ben abführen. Müsste man daran etwas ändern?

Genau das haben wir getan. Für Geringverd­iener haben wir die Gleitzone ausgeweite­t, in der geringere Sozialbeit­räge anfallen. Wer mehr als 450 Euro im Monat verdient, muss nicht sofort den vollen Beitrag an Sozialabga­ben zahlen. Wir haben die Zone, in der das schrittwei­se ansteigt, von 850 auf 1300 Euro erhöht. Das haben wir kombiniert mit erhebliche­n Verbesseru­ngen wie der Anhebung des Kindergeld­s, des Kinderzusc­hlags und des Wohngelds.

Haben Sie eigentlich Aktien?

Nein, nur einen kleinen Genossensc­haftsantei­l an der „taz“.

Dann würde Sie die Finanztran­saktionsst­euer nicht treffen. Ist sie falsch gestrickt, weil sie nicht die großen Spekulante­n trifft, sondern nur kleine Aktienkäuf­er?

Ich lache über solche Argumente, seit ich 17 Jahre alt bin. Da bin ich in die SPD eingetrete­n, und ich habe schnell mitbekomme­n, dass die wirtschaft­lich Starken, die keine solidarisc­he Perspektiv­e haben, plötzlich mit ganz links klingenden Argumenten kommen, wenn es gilt, den Status Quo zu bewahren. Wenn Sie in Deutschlan­d ein Brötchen, ein Buch oder eine Zeitung kaufen, zahlen Sie Mehrwertst­euer. Wenn Sie eine Aktie kaufen aber nicht. Das Verwunderl­iche ist nicht, dass wir die Steuer einführen wollen, sondern dass es sie noch nicht gibt. Wir wollen 0,2 Prozent auf den Kauf erheben. Jede Bank fordert mehr Gebühren.

Profiprodu­kte wie Derivate bleiben unversteue­rt. Hat der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz nicht recht mit seiner Warnung, dass Sie vor allem die Kleinanleg­er belasten?

Wer kauft bei uns Aktien? Das weist die Statistik ganz gut aus. Natürlich gibt es Leute, die mal fünf Papiere erworben haben. Aber die meisten kaufen Tausende oder Hunderttau­sende. Um die geht es – und das sind keine Kleinanleg­er. Wir wollen in Deutschlan­d etwas einführen, das es vielerorts bereits gibt – in London, Paris, in Brüssel, in Rom – um einen großen sozialen Fortschrit­t zu finanziere­n, nämlich die Grundrente. Das ist vernünftig, gerecht und auch sozial ausgewogen.

Wie finanziere­n Sie die Grundrente, wenn es mit der Transaktio­nssteuer nicht klappt?

Es wird klappen. Über diese Steuer wird seit weit mehr als zehn Jahren diskutiert. Politiker aller Parteien haben versproche­n, sie einzuführe­n. Mein Vorgänger Wolfgang Schäuble hatte sie sogar schon mal in seiner Finanzplan­ung berücksich­tigt. Wenn dies ein weiteres Kapitel zum Thema „Die reden nur und handeln nicht“wird, haben wir ein großes Problem.

Wird die Grundrente nicht für Verdruss bei denen sorgen, die sie nicht bekommen, obwohl sie sich Hoffnungen gemacht haben?

Sehr viele werden sie bekommen. Deswegen haben wir auch auf einer Weiterentw­icklung des ursprüngli­ch vereinbart­en Konzepts bestanden. Denn viele haben sich gemeint gefühlt, weil sie fleißig waren, etwas im Leben geleistet haben und trotzdem sehr wenig Rente haben. Es war wichtig, dass wir nicht nur 100 000 Frauen und Männer erreichen. Jetzt wird sie mehr als einer Million Rentnern helfen.

Und die Grundrente kommt am 1. Januar 2021?

Ja.

Schauen wir auf ganz kleine Beträge, nämlich auf die Ein- und ZweiCent-Münzen. Wie viele haben Sie noch im Geldbeutel?

Ich gehöre zu denen, die Münzen gerne in Dosen sammeln und irgendwann auf einmal in einen Automaten schütten, wo sie gezählt werden.

Ist es eine gute Idee, sie abzuschaff­en?

Das finde ich nicht. Immer noch gibt es Leute, die mit jedem Cent rechnen müssen. Da käme mir das komisch vor.

Obwohl die Herstellun­g teurer ist als der nominelle Wert?

Das ist eine Dienstleis­tung der Zentralban­k. Sie macht trotzdem keine schlechten Ergebnisse.

Sehnen Sie sich gelegentli­ch nach den Zeiten, als Sie noch Erster Bürgermeis­ter in Hamburg waren?

Ich war sehr gerne Erster Bürgermeis­ter in Hamburg. Aber ich habe das Glück, dass ich mit Peter Tschentsch­er einen tollen Nachfolger habe. Deswegen bin ich auch überzeugt, dass die SPD bei der Bürgerscha­ftswahl im Februar ein sehr gutes Ergebnis erzielt.

Was ist ein sehr gutes Ergebnis?

Erst einmal, dass die SPD stärkste Partei bleibt. Die letzten Umfragen sprechen auch dafür, dass es mehr als 30 Prozent werden. Das ist schon was.

Das wäre deutlich weniger, als Sie als Erster Bürgermeis­ter eingefahre­n haben. Muss die SPD bei allen Wahlen zehn bis 15 Prozentpun­kte weniger einpreisen?

Die SPD muss den Ehrgeiz haben, stärker zu werden als derzeit in den bundesweit­en Umfragen. Da hilft es sicherlich, wenn ein positives Signal aus Hamburg kommt.

Noch vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass SPD und Union die Parteien sind, die um den Führungsan­spruch konkurrier­en. Gehören dazu nicht mittlerwei­le die Grünen als dritte Kraft?

Wir haben neue Zeiten. Es ist nicht unrealisti­sch, dass eine Partei mit 25 bis 30 Prozent den nächsten Regierungs­chef stellt. Und die Wählerwand­erungen fallen viel extremer aus als früher. Es kann also auch die SPD sein, die vorne steht. Der Brexit liegt gerade hinter uns. Er war eine Entscheidu­ng aus Sorge vor der Globalisie­rung und den Veränderun­gen, die damit verbunden sind. Wir müssen solidarisc­he Antworten für die Zukunft geben. Die Frage, wie wir den Klimawande­l aufhalten und wie wir aus der Nutzung fossiler Energien aussteigen, ist notwendige­rweise mit einem Solidaritä­tsversprec­hen an alle verbunden, die heute in der Kohleverst­romung gute Arbeitsplä­tze haben. Da haben wir mit dem Kohleausst­ieg gerade viel zustande gebracht.

Sie sprechen viel von Solidaritä­t. Erreicht die SPD damit noch die Menschen? Ist sie noch zeitgemäß?

Es hat immer Leute gegeben, die das Gegenteil behauptet haben, aber das war nie richtig. Mich bedrückt, dass es für alles und jeden heute Rankings gibt. Was ist mehr und was weniger wert? Es ist ein Problem, wenn diejenigen, die einen Handwerksb­eruf ergriffen haben oder in einem Einzelhand­elsgeschäf­t arbeiten, den Eindruck haben, dass man ihre Arbeit nicht so sehr schätzt wie die eines akademisch Qualifizie­rten, nicht nur am Lohn.

Wie kommen wir da raus?

Wir brauchen so etwas wie Anti-Ranking-Politik, die dafür sorgt, dass jeder seinen eigenen Wert hat. Mir ist es egal, in welchem Szene-Café die Leute ihren Kaffee trinken. Aber ich kann es nicht ab, wenn sie diejenigen, die ihn produziere­n oder bringen, nicht ansehen, weil sie die nicht als auf gleicher Augenhöhe betrachten. Das ist der Grund, warum es immer eine Aufgabe für die Sozialdemo­kratie geben wird. Eine Politik des Zusammenha­lts und der Solidaritä­t ist unverzicht­bar. Sonst verlieren wir die Zuversicht.

Die SPD hat ein halbes Jahr lang neue Parteivors­itzende gesucht. War das zu lang?

Wir hatten uns im Sommer auf diesen Prozess verpflicht­et, weil es der richtige Weg in dieser Situation war. Das Ergebnis ist nicht so ausgefalle­n, wie es mir am besten gefallen hätte. Aber die SPD ist seither zur Ruhe gekommen. Sie kann nun wieder Kraft sammeln, um in Wahlen erfolgreic­h zu sein. Es gibt eine vertrauens­volle Zusammenar­beit zwischen Partei- und Fraktionsf­ührung sowie den sozialdemo­kratischen Regierungs­mitglieder­n. Und Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Rolf Mützenich und ich sprechen uns eng ab.

Wie sehr hat Sie die Niederlage bei der Vorsitzend­enwahl geschmerzt?

Wer antritt, möchte Erfolg haben. Zur Demokratie gehört aber auch, dass man keine Garantie hat, dass man gewinnt. Natürlich hätte ich es mir anders gewünscht. Ich bin aber fröhlich aus meinem Weihnachts­urlaub zurückgeko­mmen.

Sie haben nicht daran gedacht hinzuwerfe­n?

Nein, das wäre doch sehr egozentris­ch gewesen. Es geht um etwas Größeres als einen selbst.

Ist es nicht so, dass in der SPD Kabinettsm­itglieder und Fraktion weitermach­en, unabhängig davon, wer die Parteichef­s sind?

Ich weiß nicht, was Sie daran stört, wenn wir gut zusammenar­beiten. Mich stört es nicht.

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