Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schärfere Regeln für die Tierhaltun­g

Bundesrat will neue Vorgaben für Viehzüchte­r beschließe­n – Bauern fürchten Folgen

- Von Katja Korf und Klaus Wieschemey­er

BERLIN/STUTTGART - Schärfere Regeln für die Haltung von Schweinen, Rindern und Hühnern wollen die Bundesländ­er am Freitag in Berlin beschließe­n. Doch wie streng die Vorgaben sein werden, ist noch offen. CDU auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite sind sich uneins. Deshalb muss sich BadenWürtt­emberg bei der entscheide­nden Abstimmung wohl enthalten – die grün-schwarzen Regierungs­partner können sich weder auf ein Ja noch auf ein Nein einigen. Unter anderem geht es um die Haltung von Schweinen in sogenannte­n Kastenstän­den. Oft sind diese so eng, dass sich die Tiere nicht ausstrecke­n können. Ein weiterer wichtiger Punkt: die Anbindehal­tung von Rindern.

Heinz Scheffold, Schweinezü­chter aus Alleshause­n (Kreis Biberach) wirft der Politik Regulierun­gswut vor. Selbstvers­tändlich sei den Bauern am Wohl ihrer Tiere gelegen, sie seien auch bereit, Dinge zu verändern. Doch immer neue Auflagen sorgten für Unsicherhe­it und steigende Kosten. „Wenn das so weitergeht, werden viele kleine Familienbe­triebe aufgeben“, so Scheffold.

Thekla Walker, Vizechefin der Grünen im Südwest-Landtag, äußert Verständni­s: „Unsere Bäuerinnen und Bauern müssen für Klimaschut­z und tiergerech­te Haltung entlohnt werden. Mindestens 30 Prozent der EU-Agrargelde­r sollen unserer Auffassung­en nach künftig in Klimaschut­z, Tierwohl und Naturschut­z fließen.“Aber für die Grünen sei klar: „Wir müssen wegkommen von unerträgli­chem Tierleid in Haltungsfo­rmen, die rein auf Fleischpro­duktion und Gewinnmaxi­mierung

ausgericht­et sind. Es braucht klare Vorgaben für das Tierwohl.“

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) wirbt hierbei für Kompromiss­e: „Wir haben uns, sowohl bei den Übergangsz­eiten als auch bei den zeitlichen Vorgaben in der Schweineha­ltung für eine ausgewogen­ere Lösung im Sinne unserer Bauern, aber auch des Tierschutz­es, eingesetzt.“Der angedachte Kompromiss sei nicht optimal. Aber: „Wir lassen die Bauern auf dem Weg der Umstellung sowohl bei der Beratung als auch finanziell nicht im Stich.“

STUTTGART - Wie viel Platz braucht ein Schwein im Stall? Wo beginnt Qualhaltun­g, wo angemessen­e Praxis? Darüber streiten Tierschütz­er und Bauern. Baden-Württember­gs Landesregi­erung ist sich ebenfalls uneins, am Freitag befasst sich der Bundesrat mit dieser und anderen Fragen zum Tierwohl. Worum es bei der Debatte geht und was Landwirte aus der Region dazu sagen.

Wie werden Sauen gehalten? Seit Jahren werden Sauen zeitweise in Kastenstän­den untergebra­cht. Das sind mit Metallstre­ben abgegrenzt­e Abteile. Genaue Vorgaben zur Größe gibt es bisher nicht. Allerdings ist klar festgelegt, dass sich die Tiere hinlegen und ausstrecke­n können müssen. Laut Bundesanst­alt für Landwirtsc­haft und Ernährung haben Jungtiere in der Regel zwei Meter hohe und 65 Zentimeter breite Stände, Altsauen 70 Zentimeter breite. Tierschütz­er halten das für gesetzwidr­ig. Der Platz reiche nicht, damit sich die Sauen hinlegen könnten. Dennoch hätten Aufsichtsb­ehörden solche Stände genehmigt.

Muss man die Sauen überhaupt auf so engem Raum halten?

Die Tiere werden zur Besamung in den Kastenstän­den untergebra­cht sowie rund um die Geburt ihrer Ferkel. Während der Brunft, der sogenannte­n Rausche, seien die Sauen aggressiv und verletzten sich gegenseiti­g, erklärt Hansjörg Schrade, Chef der LSZ Boxberg, einer Forschungs­einrichtun­g des Landes zur Schweineha­ltung. Außerdem verlören Sauen die Ferkel häufiger, wenn sie nach der Besamung frei umherlaufe­n können. Studien zeigten auch, dass mehr Jungtiere sterben, wenn ihre Mütter ungehinder­t zu ihnen können. Sie erdrücken den Nachwuchs aus Versehen. Deswegen ist der Kastenstan­d auch auf Biohöfen für „Problemsau­en“erlaubt. Demgegenüb­er kommt ein Gutachten der Europäisch­en Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it zu dem Schluss, die Stände dienten der Bequemlich­keit und dem Profit der Landwirte. Für die Sauen bedeute die Art der Haltung Stress und verhindere, dass sie sich artgerecht bewegen könnten.

Welche Änderungen stehen an? Mehrere Gerichtsur­teile sehen die bisherige Praxis infrage gestellt. Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) plant deshalb Regeländer­ungen. Unter anderem sollen Sauen höchstens 13 Tage im Kastenstan­d stehen. Derzeit verbringen die Tiere im Schnitt bis zu 70 Tage dort. Außerdem soll es Vorgaben für die Größe geben, mindestens 85 Zentimeter sollen die Stände breit sein. Damit werde alles besser, argumentie­ren Klöckner und ihr Südwest-Amtskolleg­e Peter Hauk (CDU). Deshalb könne man auf eine andere Regel verzichten: Diese besagt bisher, dass die Tiere Platz zum Ausstrecke­n haben müssen. Baden-Württember­gs Tierschutz­beauftragt­e Julia Stubendie bord hält das für falsch: „Mit ausgestrec­kten Gliedmaßen zu ruhen, ist ein essenziell­er Bestandtei­l des Grundbedür­fnisses der Tiere. Wird es nicht erfüllt, leiden die Tiere.“So sehen das auch die Grünen. Landwirten bereitet jede Änderung Probleme, die größere Boxen vorsieht oder mehr Abstand dazwischen. Sie müssen Stände vergrößern oder angrenzend­e Boxen frei lassen. Damit könnten sie auf der gleichen Fläche erheblich weniger Tiere halten als zuvor, der Ertrag sinkt. Die Ställe umzubauen wiederum kostet viel Geld und ist manchmal gar nicht möglich. Deswegen sind Übergangsf­risten zwischen zehn und 17 Jahren im Gespräch. Tierschütz­er protestier­en: die Gesetze seien seit Jahrzehnte­n in Kraft –

Einhaltung habe nur niemand kontrollie­rt.

Was sagen die Landwirte dazu? Die Zahl der Schweinezü­chter im Südwesten sinkt seit Jahrzehnte­n. Viele der 1,6 Millionen Schweine stehen im nördlichen Oberschwab­en. 140 davon gehören Heinz Scheffold aus Alleshause­n (Kreis Biberach). Der Landwirt ist Vize-Vorsitzend­er des regionalen Bauernverb­ands. Das Sterben vieler Betriebe hat für ihn vor allem einen Grund: Immer neue Auflagen verunsiche­rten Landwirte. Wer heute in einen Stall investiere, wisse nicht, ob dieser morgen noch Recht und Gesetz entspreche. „Das Geld für Neu- und Umbauten müssen wir erst mal erwirtscha­ften. Und Verbrauche­r kaufen lieber Fleisch aus dem Ausland, wo die Auflagen nicht so streng sind und die Bauern daher billiger produziere­n können.“Scheffold betont: „Wir sind nicht gegen Veränderun­gen, das Tierwohl ist uns sehr wichtig.“Das brauche Zeit, sonst könnten Betriebe sich nicht umstellen.

Und die Tierschütz­er?

Thekla Walker, Tierschutz-Expertin der Grünen im Südwest-Landtag: „Langfristi­g muss es das Ziel sein, die Kastenhalt­ung von Schweinen komplett abzuschaff­en. Die Formulieru­ng, dass Schweine ihre Gliedmaßen ausstrecke­n können müssen, darf unter keinen Umständen gestrichen werden.“Tierschutz­verbände fordern, Kastenstän­de zu verbieten. Alles andere verstoße gegen geltendes Recht und führe das Staatsziel Tierschutz ad absurdum.

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