Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Temperaturrekord in der Antarktis
Temperaturrekord mit 20,75 Grad - Forscher warnen vor Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter
SÃO PAULO (AFP) - Forscher haben eine neue Rekordtemperatur in der Antarktis verzeichnet. Am 9. Februar wurden 20,75 Grad gemessen. Erstmals seit Messungsbeginn im Jahr 1961 sei die 20-Grad-Marke überschritten worden.
POTSDAM/SÃO PAULO (AFP) - Forscher haben einen neuen Temperaturrekord in der Antarktis verzeichnet. Wie der brasilianische Bodenwissenschaftler Carlos Schaefer am Donnerstag sagte, wurde an der Nordspitze der Antarktis am 9. Februar eine Temperatur von 20,75 Grad gemessen. „Noch nie hat es in der Antarktis eine so hohe Temperatur gegeben“, sagte Schaefer. Es sei das erste Mal, dass die 20-Grad-Marke überschritten worden sei.
Die Temperaturmessung auf der argentinischen Forschungsstation Marambio sei Teil eines auf 20 Jahre angelegten Forschungsprojekts zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Permafrost in der Region, sagte Schaefer. Der letzte Temperaturrekord habe bei etwa 19 Grad gelegen, fügte er hinzu.
Schaefer betonte, dass der Temperaturrekord keine Schlussfolgerungen hinsichtlich künftiger KlimaEntwicklungen zulasse. Es handele sich sich lediglich um einen Datenpunkt.
Erst vor einer Woche hatte die argentinische Wetterbehörde den wärmsten Tag auf der argentinischen Antarktis seit Beginn der Wetteraufzeichnungen verzeichnet. Auf der Forschungsstation Esperanza wurde eine Temperatur von 18,3 Grad gemessen. Argentinien ist seit 114 Jahren in der Antarktis vertreten und dokumentiert seit 1961 an mehreren Forschungsstationen die Temperaturen auf dem Kontinent.
Nach Angaben der UN war das vergangene Jahrzehnt das wärmste auf der Antarktis seit Beginn der Aufzeichnungen. Das Abschmelzen der Gletscher und Eisschilde in der Antarktis infolge der Erderwärmung ist ein wesentlicher Faktor für den Anstieg der Meeresspiegel weltweit.
Daher schlagen Forscher Alarm: Die Folgen der Eisschmelze in der Antarktis für den Anstieg des Meeresspiegels könnten bereits in diesem Jahrhundert deutlich stärker ausfallen als bisher erwartet. Laut der neuen Studie eines internationalen Wissenschaftlerteams könnte bis zum Jahr 2100 allein dieser Faktor einen Anstieg um 58 Zentimeter bewirken. Darauf wies am Freitag Leitautor Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hin.
Allerdings gibt es bei den Prognosen der Experten hinsichtlich der Antarktis eine große Bandbreite. Bei unvermindertem Treibhausgasausstoß liege der wahrscheinliche Effekt für den Anstieg des Meeresspiegels zwischen sechs und 58 Zentimetern, heißt es in der Studie. Gelinge es dagegen, die Emissionen rasch zu verringern, liege die Spanne zwischen vier und 37 Zentimetern.
„Der Antarktis-Faktor erweist sich als die größte Unbekannte, aber dadurch auch als das größte Risiko für den Meeresspiegel weltweit“, erklärte dazu Levermann. Er betonte, die neuen Forschungsergebnisse lieferten vor allem wichtige Informationen für den Küstenschutz. Eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt es demnach, dass der Wert von 58 Zentimetern nicht überschritten wird.
„Je mehr Computer simulations modelle wir verwenden, die alle leicht unterschiedliche dynamische Repräsentationen des antarktischen Eisschildes sind, desto größer ist die Bandbreite der Ergebnisse, die wir bekommen – aber desto robuster sind auch die Schätzungen, die wir der Gesellschaft liefern können“, erklärte Co-Autorin Sophie Nowicki vom Nasa Goddard Space Flight Center. Zwar gebe es „immer noch große Unsicherheiten“, doch sei es gelungen, das Verständnis des größten Eisschildes der Erde beständig zu verbessern.
Auf längere Sicht, also in den kommenden Jahrhunderten bis Jahrtausenden, hat das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes der Studie zufolge das Potenzial, den Meeresspiegel um mehrere zehn Meter anzuheben. „Was wir mit Sicherheit wissen, ist dass das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas die Risiken für die Küstenmetropolen von New York bis nach Mumbai, Hamburg oder Shanghai weiter in die Höhe treibt“, warnte Levermann.
Bisherige Prognosen zum Anstieg des Meeresspiegels aufgrund der globalen Erwärmung berücksichtigten vor allem die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Meerwassers sowie schmelzende Gebirgsgletscher als wichtigste Faktoren für den Anstieg des Meeresspiegels. Auch das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds spielt eine Rolle.
Den jetzt in der Zeitschrift „Earth System Dynamics“der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) veröffentlichten neuen Forschungsergebnissen zufolge dürfte jedoch der Anteil der Antarktis bereits in absehbarer Zeit zum wichtigsten Faktor werden.
Alle Faktoren zusammen ergeben dann das Gesamtrisiko des Meeresspiegelanstiegs. „Die Einbeziehung der anderen Beiträge zum Meeresspiegelanstieg von Grönland, Gebirgsgletschern und der Ausdehnung der Ozeane kann zu einem Meeresspiegelanstieg bis zu 150 Zentimeter führen“, sagte Levermann mit Blick auf den Zeitraum bis Ende des Jahrhunderts.
In den zurückliegenden 100 Jahren hatte es einen Anstieg um insgesamt etwa 19 Zentimeter gegeben.
Der UN-Ozeanbeauftragte Peter Thomson verglich die Gefahr für die Weltmeere durch den Klimawandel mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. „Was passiert, wenn große Städte überflutet werden, wenn die Meeresspiegel steigen?“, sagte Thomson. „Man muss sich das so vorstellen, dass man angegriffen wird.“