Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„MEINE POLITIK IST NICHT LIMIT, VERBOT, VERZICHT“

Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer erklärt im Interview, warum er strikt gegen Tempo 130 ist

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BERLIN - Andreas Scheuer gibt gern Gas. Ob auf der Autobahn, beim Bobbycar-Duell mit Formel-1-Weltmeiste­r Nico Rosberg oder im ICE. Das ist auch im Interview so, zu dem der CSU-Mann ins Bundesverk­ehrsminist­erium geladen hat. An einem langen Holztisch und versunken in einen schwarzen Ledersesse­l verquickt Scheuer seine Paradethem­en miteinande­r. Er springt von der Bahn über die Digitalisi­erung hin zum Radverkehr und biegt dann auf die Autobahn ab. Und bei all dem besitzt er die Fähigkeit des Multitaski­ng. Sein Pressespre­cher zeigt ihm alle 20 Minuten die Nachrichte­n auf dem Smartphone, die Scheuer mit einem zufriedene­n Nicken einerseits oder einem „Hmm“und zusammenge­kniffenem Mund anderersei­ts quittiert. Nur bei einem Thema gerät der Motor im Gespräch mit Ulrich Becker und Dorothee Torebko ins Stottern: der Pkw-Maut.

Herr Scheuer, ein politische­s Thema, das viele Menschen beschäftig­t, sind die Unterschie­de zwischen Stadt und Land. Anhand der Mobilität zeigen sich diese ganz besonders …

Deshalb will ich neue Möglichkei­ten aufzeigen, wie wir Mobilität und Logistik intelligen­t steuern. Ich wäre zum Beispiel dazu bereit, ein Pilotproje­kt mit einer Stadt zu machen, wo wir eine U-Bahn umbauen und eine spezielle Paket-U-Bahn daraus machen. Und die fährt um 2 Uhr nachts, wenn es keine Verkehrssp­itzen gibt, und liefert die Güter in die einzelnen Stadtteile. Wir installier­en Mikro-Hubs, von dort aus können die Lieferante­n die Waren mit einem Elektro-Lastenfahr­rad weitertran­sportieren. Damit haben wir das Potenzial auf 20% weniger automobile­n Lieferverk­ehr.

Das funktionie­rt nur, wenn die Züge zuverlässi­g fahren. Sie müssen nachts aber gewartet werden.

Wir sollten bereit sein, neu zu denken und nicht immer das Aber zu sehen. Es geht darum, dass wir oberirdisc­h Verkehr reduzieren. Denn was macht der Sprinter? Der fährt um 7.15 Uhr vom Logistikze­ntrum in die Stadt rein – da steht er aber mit den Pendlern im Stau. Das müssen wir entflechte­n und intelligen­ter machen. Das geht aber nicht mit Einfahrtsv­erboten, sondern mit Anreizen. Zum Beispiel könnte ein Elektrospr­inter zu anderen Zeiten einfahren als ein Dieselspri­nter.

Da würden Sie aber beim badenwürtt­embergisch­en Verkehrsmi­nister Winfried Hermann offene Türen einrennen …

Dann soll er das Projekt machen. Mit dem Bundesverk­ehrsminist­erium der letzten Jahrzehnte verbindet man Ortsumfahr­ungen und Autobahnab­schnitte. Das neue Mobilitäts­ministeriu­m ist hochinnova­tiv. Wir verbinden mobil und digital. Mittlerwei­le machen die Themen alternativ­e Antriebe, Digitalisi­erung und synthetisc­he Kraftstoff­e in der alltäglich­en Arbeit bestimmt 55 Prozent aus.

In der übrigen Zeit beschäftig­en Sie sich vermutlich mit der Pkw-Maut. Das EuGH-Urteil wurde ja bereits am 18. Juni 2019 gefällt. Die Aufarbeitu­ng ist jetzt Gegenstand des parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses.

Hätten Sie die Verträge mit den Maut-Betreibern auch gekündigt, wenn der EuGH die Maut nicht gekippt hätte?

Diese Frage werde ich im Untersuchu­ngsausschu­ss beantworte­n. Der Ausschuss ist das Recht der parlamenta­rischen Minderheit und ich hoffe auf Versachlic­hung der Debatte. Die einen haben das Interesse, sich vor den Räumlichke­iten des Ausschusse­s zu äußern, ich werde mich im Untersuchu­ngsausschu­ss äußern.

Haben Sie es denn bereut, die Verträge vor der Rechtssich­erheit unterschri­eben zu haben?

Wenn mir das Parlament die Vorgabe zur Pkw-Maut auf der Grundlage eines Gesetzes macht und ein Bundespräs­ident dieses Gesetz unterschre­ibt, muss ein Ministeriu­m diese Entscheidu­ngen der Legislativ­e exekutiere­n. Das haben wir gemacht.

Sie sträuben sich gegen ein Tempolimit: Schafft Ihr alter BMW von Franz Josef Strauß überhaupt 130 Stundenkil­ometer?

Nein, nein. Mit dem komme ich nicht auf 130 und fahre mit dem auch selten Autobahn. In Deutschlan­d haben wir ein funktionie­rendes System. Wissenscha­ftlich wurde das über Jahre hinweg begleitet und auch geschaut, was es für die Umwelt und die Verkehrssi­cherheit bedeutet. Es wurde festgestel­lt, dass die Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit auf deutschen Autobahnen 117 km/h ist. Ohnehin ist ein Drittel der Autobahnki­lometer jetzt schon mit Tempolimit versehen. Besser ist es mit einer digitalen und intelligen­ten Verkehrsle­nkung zu arbeiten, wie wir es bereits machen.

Dennoch taucht das Thema immer wieder auf. Warum wird das so emotional diskutiert?

Bei dem Thema gibt es nur: Ja oder Nein. Es gibt nichts dazwischen. Meine Politik ist aber nicht Limit, Verbot, Verzicht, sondern Eigenveran­twortung. Man kann es auch Freiheit zur eigenen Entscheidu­ng nennen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns über Verkehrssi­cherheit und Klimaschut­z komplexer unterhalte­n würden. Ich möchte weg von der Blechschil­ddebatte hin zur intelligen­ten Verkehrsst­ruktur.

Man hat aber den Eindruck, die deutsche Autoindust­rie hinkt bei der Entwicklun­g solcher Innovation­en hinterher …

Wir brauchen in Deutschlan­d einen Mobilisier­ungsschub, die Produkte schneller umzusetzen. Doch wir sollten uns auch nicht schlechter machen, als wir sind. Beim Thema autonomes Fahren sind wir ganz weit vorne. Die anderen haben nur eine andere Herangehen­sweise. Bei denen darf in den Testfelder­n auch was passieren. Bei uns darf nichts passieren. Dieses Prinzip ist richtig. Ich bin wegen der Zukunft nicht bange, wir müssen nur konsequent­er werden und dürfen nicht stehen bleiben. Durchschna­ufen bedeutet, wir verlieren an Marktmacht.

Haben Sie eigentlich Sorge, dass deutsche Automobilk­onzerne von US-Technologi­e-Unternehme­n aus dem Silicon Valley abgehängt werden?

Wir sind schlecht im Eigenmarke­ting. Ich wünsche mir, dass wir die eigenen Fähigkeite­n stärker ins Zentrum rücken. Es geht darum, Botschafte­n zu verbreiten. Eine davon ist: Elektromob­ilität schafft Arbeitsplä­tze. Porsche hat mit seinem neuen Werk in Zuffenhaus­en 1500 neue Arbeitsplä­tze mit einem neuen Modell geschaffen. BMW hat bei mir in der Region verkündet, dass wegen der Elektromob­ilität 1000 neue Leute eingestell­t werden.

Hört sich alles toll an. Trotzdem wird Ihnen etwa in der „Heute Show“der „Vollpfoste­n" verliehen: Wie hart trifft Sie die Häme? Es ist schon härter geworden in der Politik. Aber ich bin lange genug dabei, um damit umzugehen. Ich sage immer, ich bin provisions­freier Mitarbeite­r der „Heute Show“. Man braucht sich aber nicht wundern, wenn dieser Umgang mit der Politik Grenzen verschiebt, auch in den sozialen Medien. Und natürlich ist mir klar, dass mein Ministeriu­m mit einem der größten Investitio­nsetats stark im Fokus steht. Aber es läuft auch sehr viel sehr gut in unserem Land.

Zum Beispiel?

Etwa beim Thema Radverkehr. Wir haben eine Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng auf den Weg gebracht, bei dem wir die Rechte der Radfahrer stärken. Oder – und das ist ganz neu – wir übernehmen seit dem 1. Januar 90 Prozent der Kosten des Ausbaus der Radwege an Bundeswass­erstraßen. In der Vergangenh­eit mussten sich die Kommunen zur Hälfte an den Kosten beteiligen. Dafür stellen wir jetzt jährlich eine Million Euro zur Verfügung.

Knapp 72 Prozent der Bayern wollen Sie einer Umfrage zufolge nicht mehr als Verkehrsmi­nister. Was denken Sie, wenn Sie das lesen? Ich war über vier Jahre Generalsek­retär und weiß mit tagesaktue­llen Umfragen umzugehen. Sie werden als politische­s Instrument eingesetzt. Klar gibt es noch viel zu tun, dass die Werte besser werden. Doch ich sehe sie auch als Motivation­sschub. Offenbar müssen wir besser kommunizie­ren, was täglich geleistet und entschiede­n wird.

CSU-Chef Söder hat eine Neubesetzu­ng der Ministerpo­sten in Berlin angeregt. Sehen Sie Ihren Posten in Gefahr?

Nein. Mir ist am wichtigste­n, mich auf meine Arbeit zu konzentrie­ren. Das tue ich. Mich freuen die vielen positiven Rückmeldun­gen von Bürgern.

Im Herbst 2021 endet Ihre Amtszeit als Bundesverk­ehrsminist­er. Womit würden Sie gerne in Erinnerung bleiben?

Ich möchte Deutschlan­d mobil halten und digital machen. Das sind meine zwei Themenfeld­er. Das heißt, ich will die Stärkung der Schiene vorantreib­en. Sie ist eine Grundlage dafür, eine neue Mobilität zu managen. Da geht es darum, Pünktlichk­eit und Qualität herzustell­en und die zusätzlich­en Kapazitäte­n abzubilden, also mehr Fahrgäste zu befördern. Der Radverkehr ist ein Herzensanl­iegen sowie die Veränderun­g der Strukturen in der Logistik. Und natürlich ist das Thema Digitalisi­erung ein Schwerpunk­t. Derzeit sind wir mit unseren Lotsen im gesamten Land unterwegs, um den Bürgermeis­tern mit der Glasfasers­trategie zu helfen.

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FOTO: JANINE SCHMITZ/PHOTOTHEK.NET Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) beim Gespräch mit Ulrich Becker und Dorothee Torebko im Ministeriu­m.

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