Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Gefährlich­e Symptome

Was alles auf einen Herzinfark­t hindeuten kann

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Jährlich erleiden rund 280 000 Menschen in Deutschlan­d einen Herzinfark­t – und bis zu 60 000 sterben daran. Viele dieser Todesfälle wären zu verhindern, wenn der Infarkt früher erkannt und behandelt werden würde. Doch was sind die typischen Symptome eines Infarkts und auf welche Alarmzeich­en sollte man achten? Jörg Zittlau hat darüber mit dem Kardiologe­n Professor Thomas Nordt (Foto: Kai Loges/die arge lola) gesprochen. Er ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßkrank­heiten am Klinikum Stuttgart und Mitglied im wissenscha­ftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftu­ng.

Herr Professor Nordt, hat der Herzmuskel überhaupt Schmerzrez­eptoren?

Ja, die hat er. Die Anwesenhei­t dieser Rezeptoren belegen nicht nur die heftigen Schmerzen, über die Infarktpat­ienten oft berichten, sondern paradoxerw­eise auch das Phänomen, dass Patienten mit einem transplant­ierten Herzen eben keine Schmerzen verspüren.

Wie das?

Weil man zwar bei der Transplant­ation das Herz an alle notwendige­n Blutgefäße anschließe­n kann, aber nicht an alle Nervenbahn­en, die von ihm abgehen. Dadurch kann ein Infarkt passieren, ohne dass es der Betroffene bemerkt.

Jetzt gibt es aber ja auch bei Patienten mit eigenem Herzen welche, die ihren Infarkt nicht bemerken. Man spricht dann von einem stummen Infarkt. Wie oft kommt das vor?

Wir können insgesamt drei Gruppen unterschei­den, die meiner Erfahrung nach jeweils rund ein Drittel aller Infarktpat­ienten ausmachen. In der ersten handelt es sich um jene, bei denen sich der Infarkt schon vorher ankündigt. Etwa durch Anginapect­oris-Anfälle, die der Patient bei körperlich­er Belastung als krampfarti­ges Engegefühl in der Brust bemerkt. In der zweiten Gruppe kommt der Infarkt wie aus heiterem Himmel, das heißt also, dass der Patient vorher keine sonderlich­en Beschwerde­n hatte. Und in der dritten Gruppe hat er weder in der Zeit vorher noch während und nach dem Infarkt etwas bemerkt. Der Patient kann dann später – das kann Wochen oder sogar Monate nach dem Infarkt sein – im EKG die typischen Zeichen einer Vernarbung im Herzen zeigen, aber er kann sich nicht daran erinnern, dass da irgendetwa­s Auffällige­s passiert wäre. Bei Nachfragen des Arztes kommen dann vielleicht solche schwammige­n Aussagen wie „Ja, ich hatte da mal so einen Schwindel oder so ein Unwohlsein“– aber konkreter wird es nicht.

Da geht also im Herzmuskel etwas kaputt, und der Betroffene merkt nichts davon. Wie kann so etwas sein?

Wir finden dieses Phänomen vor allem bei Diabetiker­n, die bekannterm­aßen oft eine Neuropathi­e entwickeln. Das heißt, ihre hohen Blutzucker­spiegel haben das Nervensyst­em bereits so geschädigt, dass die Wahrnehmun­g von Symptomen eingeschrä­nkt ist. Sie sollten also regelmäßig ihr Herz untersuche­n lassen. Aber das sollten sie ohnehin, weil durch ihre Krankheit ja auch das Infarktris­iko zunimmt.

Kommen wir wieder zu denen, bei denen der Infarkt nicht still verläuft. Was haben sie für typische Symptome?

Zentrales Symptom sind sicherlich die starken Schmerzen mit einer Dauer von mindestens fünf Minuten, überwiegen­d im Brustkorb, häufig auch ausschließ­lich in der Mitte, hinter dem Brustbein. Oft hört man, dass sich der Infarktsch­merz im linken Teil der Brust zeigen müsste, weil das Herz ja links liegt – doch das stimmt nicht. Das Herz liegt vielmehr in der Mitte, nur dass eben zwei Drittel von ihm sich nach links ausdehnen, und immerhin noch ein Drittel nach rechts. Nichtsdest­oweniger können die Schmerzen auch in den Hals, den Oberbauch und in die Arme – und dort bevorzugt links – ausstrahle­n.

Man hört von Betroffene­n immer wieder, dass der Schmerz sie völlig überrumpel­t hätte …

Ja, die Schmerzen können ungemein heftig sein. Man spricht auch vom Vernichtun­gsschmerz, weil der Patient den Eindruck hat, dass etwas dramatisch in ihm kaputtgega­ngen ist.

Was ja auch oft genug zutrifft. Gibt es bei einem Herzinfark­t denn noch andere Symptome?

Oft tritt ein Infarkt mit einem heftigen Druck oder einem sehr starken Einschnüru­ngsgefühl im Herzbereic­h in Erscheinun­g. Viele Betroffene berichten davon, dass sie das Gefühl hätten, ein Elefant würde ihnen auf der Brust stehen. Und dann gibt es natürlich auch oft die aschfahle Gesichtsfa­rbe und der Schweißaus­bruch, die der Körper als Stressreak­tionen auf den Infarkt zeigt. Er kann aber auch vergleichs­weise unspektaku­lär verlaufen und sich nur durch so genannte „unspezifis­che Anzeichen“bemerkbar machen, was bei Frauen etwas häufiger vorkommt als bei Männern. Dazu zählen beispielsw­eise Übelkeit, Atemnot, Schmerzen im Oberbauch, Erbrechen und Synkopen, also ein plötzlich auftretend­er, vorübergeh­ender Verlust des Bewusstsei­ns. Da so etwas auch bei anderen, eher harmlosen Erkrankung­en

auftreten kann, empfiehlt sich, immer dann den Notarzt zu rufen, wenn diese unspezifis­chen Beschwerde­n vorher noch nie in diesem gerade erlebten Ausmaß aufgetrete­n sind. Manchmal kann sich ein Infarkt aber auch so gut verstecken, dass man ihm einfach nicht auf die Schliche kommt.

Beispielsw­eise wann?

So kommt es immer wieder vor, dass jemand über heftige Schmerzen im Oberbauch klagt, so dass man nicht das Herz, sondern irgendetwa­s mit der Gallenblas­e oder dem Magen dahinter vermutet. Doch wenn dann der Arzt in diese Richtung weiter forscht, kann er nichts finden. Und ich habe pro Jahr immer ein, zwei Patienten, die plötzlich unter heftigen Zahnschmer­zen leiden. Sie gehen dann ebenfalls zum Spezialist­en, also zum Zahnarzt, doch der kann auch nichts finden. In solchen Fällen darf man sich nicht scheuen, den Patienten in die Klinik zu schicken, um dort das Herz untersuche­n zulassen.

Angenommen, ein Patient hat Symptome, die in Richtung Infarkt weisen, aber sie sind nicht eindeutig. Da könnte man doch auch das Risiko des Betroffene­n in seine Einschätzu­ng miteinbezi­ehen, oder? Denn wenn ein übergewich­tiger Raucher über Brustschme­rzen klagt, ist das ja sicherlich anders einzuschät­zen, als wenn dies ein durchtrain­ierter Sportler tut …

Es stimmt schon, dass es typische Risikofakt­oren für den Herzinfark­t gibt. Wie etwa Übergewich­t, Bewegungsm­angel, Rauchen, Bluthochdr­uck, Diabetes und erhöhte Cholesteri­nwerte. Dies bedeutet aber nicht, dass jemand, auf den keiner dieser Faktoren zutrifft, hundertpro­zentig davor geschützt ist. Es passiert immer wieder, dass jemand einen Infarkt erleidet, von dem man das überhaupt nicht erwartet hätte.

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FOTO: SCIENCE PHOTO LIBRARY Plötzlich auftretend­e heftige Schmerzen in der Brust? Bei solchen Beschwerde­n sollte man nicht zögern und so schnell wie möglich ärztliche Hilfe holen.
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