Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Schäfer aus Kurpfalz für Berlin
Andre Baumann soll als Botschafter des Landes im Bund die Energiewende voranbringen
BERLIN - Andre Baumanns Feuertaufe als Berliner Bevollmächtigter der Landesregierung stand schon am Vortag der offiziellen Amtseinführung durch den Ministerpräsidenten am Freitag an: Am Donnerstagabend marschierten 160 angereiste Hästräger der Narrenvereinigung HegauBodensee in die Landesvertretung Baden-Württembergs am Berliner Tiergarten ein, um die schwäbischalemannische Fasnacht in die Bundeshauptstadt zu bringen. Und mittendrin Baumann, der zum Dienstantritt gleich die erste Fasnachtsrede seines Lebens halten musste.
Der 46-jährige Schwetzinger hatte sich einen Schäfermantel umgelegt und stellte sich als „Schäfer aus Kurpfalz“vor. Und das ist auch schon etwas Symbolpolitik: Nicht nur, weil am nächsten Tag im Bundesrat viel über die Zuwanderung des Wolfes und den Schutz der Schäferei gesprochen wurde. Sondern auch, weil Baumann als Freund der Schäferei gilt: Promoviert hat der Doktor der Biologie über Kalkmagerrasen auf der Fränkischen Alb – eine uralte Kulturlandschaft, die ohne Beweidung nicht denkbar ist.
Und nicht zuletzt auch, weil ein Schäfer sich darum kümmert, dass die Herde zusammenhält. Und dies sei auch der Auftrag von Winfried Kretschmann an ihn gewesen: „Drum findet der Schäfer Kompromisse, weil wir die Heimat schütze müsse“, erzählt Baumann an diesem Abend von der Mission, auf die Kretschmann ihn nach Berlin geschickt habe.
Die Abordnung kam plötzlich, denn Baumanns Vorgänger Volker Ratzmann (57) hatte eine Woche zuvor überraschend seinen Abgang bekannt gegeben. Der Berliner Grüne, der seit 2016 in der Landesvertretung für den Südwesten die Strippen zog, wird Lobbyist bei der Post.
Für Regierungschef Kretschmann kam der Wechsel zur Unzeit: Der Ministerpräsident wünscht sich für die verbliebene Zeit bis zur Landtagswahl im kommenden Frühjahr eine stabile Spitzenmannschaft. Dass nach dem Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn und den GrünenMinistern Franz Untersteller und Edith Sitzmann ein weiterer zentraler Mitarbeiter verloren geht, ärgerte ihn. Und Ratzmann galt als guter Netzwerker.
Andre Baumann war bis vor zwei Wochen noch Staatssekretär bei Umweltund Energieminister Untersteller. Damit ist der Schwetzinger bereits mit Themen vertraut, die der Landesregierung in Sachen Berlin besonders unter den Nägeln brennen: Die Bauernproteste und die holpernde Energiewende. Er kann ohne lange Einarbeitung in der neuen Aufgabe durchstarten.
Der Chef der Landesvertretung ist eine Art „Botschafter“des Südwestens in Berlin. Der Bevollmächtigte soll die Interessen Baden-Württembergs in der Bundespolitik vertreten. Als einziges Land mit einem grünen Ministerpräsidenten gilt es zudem als Kraftzentrum der aktuell zehn Landesregierungen mit grüner Beteiligung.
Der Job als Beauftragter ist zwar in der Heimat oft weniger öffentlichkeitswirksam als ein exponiertes Kabinettsamt, doch die politische Bedeutung kann groß sein. Vorgänger Baumanns waren unter anderem die CDU-Politiker Willi Stächele, Rudolf Köberle oder der heutige Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart.
Am Freitag sitzt Baumann im Büro im „Spätzlesbunker“, wie manche den 2000 eröffneten weißen Kubus nennen, und schaut durch ein riesiges bodentiefes Fenster auf den Tiergarten. In der Woche schläft er im Dienstappartment darüber, doch möglichst oft will er nach Hause zu Frau und Kindern nach Schwetzingen. Dort schaut er aus dem Fenster auf das Mannheimer Kraftwerk – und will diese Perspektive auch nach Berlin bringen.
Für Baumann ist die Energiewende nämlich eines der drängendsten Themen: „Die Bundesregierung geht bei der Energiewende in die falsche Richtung. Alte Braunkohlekraftwerke mit geringer Effizienz laufen länger als Deutschlands modernste Steinkohlekraftwerke. Die wiederum sollen entschädigungslos und ohne Idee, wie die Fernwärme geliefert werden soll, vom Netz gehen. Das macht keinen Sinn“, sagt er.
Baden-Württemberg stellt nicht nur die Ausgestaltung des Kohlekompromisses infrage, sondern fordert auch: mehr Windkraft, auch im Süden. Ein Sprengen des 52-Gigawatt-Ausbaudeckels für Photovoltaik. Und einen rascheren Netzausbau, um Nordseewindstrom in den Süden zu bringen. „Wir können nicht nur aussteigen, wir müssen auch einsteigen“, sagt er. Die bisherigen Altmaier-Vorstöße wie den Windgipfel zur Hilfe für die siechende Branche kritisiert Baumann scharf: „Wenn wir die heiße Luft dieser Runden durch Turbinen leiten würden, wären wir bei der Stromerzeugung schon weiter“, sagt er.
Die Feuertaufe am Donnerstag klappte übrigens: Die Rede sei nicht außergewöhnlich schlecht gewesen, lobt Narrenpräsident Rainer Hespeler. Das ist doch schon ein guter Start für den Schäfer aus Kurpfalz.