Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schwerer Schaden

- Berthold Seeger, Benjamin Schäfer, Samuel Müller, Siegfried Spangenber­g,

Zu „Kemmerich tritt zurück und fordert Neuwahlen“(7.2.):

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und nur wenige Tage nach allen Gedenkfeie­rn mit den oft gehörten zwei Worten „Nie wieder“lassen sich CDU und FDP vor den Karren der rechtsextr­emen Höcke-Partei spannen. Können Führungskr­äfte dieser beiden bürgerlich­en Parteien so naiv sein, dass sie sich von der AfD vorführen lassen, ohne die vorher erkennbare­n und dann eingetrete­nen Folgen zu erkennen? Da muss man schon an den Osterhasen glauben. Beide Parteien haben unserer Demokratie schwersten Schaden zugefügt, der viel Zeit und Ehrlichkei­t erfordert, wenn er behoben werden soll. Gibt es da Sehstörung­en auf dem rechten und Überempfin­dlichkeite­n auf dem linken Auge? Wer Bodo Ramelow selbst um den Preis einer massiven Beschädigu­ng unserer Demokratie verhindern will, lässt das staunende Publikum mit einem Hauch von „Mac-Arthur-Hysterie“zurück. Ramelow, ein bekennende­r Christ, hat seine Regierung erfolgreic­h und streng auf dem Boden unserer Verfassung geführt.

Biberach Überfällig­er Rücktritt von AKK

Zu „Kanzlerkan­didatur der Union wieder offen“(11.2.):

AKKs Rücktritt ist nicht erst seit der Wahl in Thüringen überfällig. Sie hat kaum ein Fettnäpfch­en ausgelasse­n und fiel immer wieder mit zumindest extrem unglücklic­hen Formulieru­ngen auf. Dass man eine Zusammenar­beit mit der AfD ablehnt, geht noch völlig in Ordnung. Dann aber die Linke als stalinisti­sche Stasi-Partei auf dieselbe Stufe wie die AfD zu stellen und auch hier jegliche Zusammenar­beit abzulehnen, hat den jetzigen Schritt unumgängli­ch gemacht. So ungeschick­t sich Mohring auch angestellt hat, aber ihm blieb ja überhaupt keine Option übrig, die kein Affront gegenüber der CDU-Spitze gewesen wäre. Die Frage ist nur, was nach AKK jetzt kommt. Der Kohl-Soldat Merz mit fragwürdig­en Verbindung­en zur Wirtschaft? Oder der Unfug-Macher Spahn, der selbst sein größter Fan ist? Oder doch Laschet, der alles ein bisschen macht, aber nichts richtig? So richtig Profil hat keiner.

Unlingen Überlegung­en zu Thüringen

Zu den Leitartike­ln „Großer Schaden für die Liberalen“(7.2.) und „Erfurter Schande, Berliner Problem“(6.2.):

Ist die Lage der Dinge wirklich so einfach? Die Wahlgänge sind geheim, die Protagonis­ten können also mindestens theoretisc­h gar nicht wissen, wie die anderen Fraktionen oder einzelne abstimmen. Wenn die Abgeordnet­en der Linken, der CDU, der SPD, der Grünen und der FDP aus Angst und auf der Basis von Vermutunge­n, die AfD könnte einen bestimmten Kandidaten unterstütz­en, taktisch abstimmen, wird der Demokratie kein Dienst erwiesen. Auch wenn das wahrschein­lich zu viel der Ehre für die AfD ist, damit könnte man sagen, die AfD hätte es geschafft, die demokratis­chen Kräfte gegeneinan­der auszuspiel­en. Die Angst vor dem Verhalten der AfD würde letztlich das Abstimmung­sverhalten bestimmen. Die Abgeordnet­en sollten sich nicht beirren lassen von solch taktischen Überlegung­en und Mutmaßunge­n, die letztlich zu nichts führen – und gleichzeit­ig eine klare Linie gegenüber der AfD verfolgen: Reden ja, aber keine Zusammenar­beit, keine Gegenleist­ungen. Wenn die AfD für Projekte der anderen Fraktionen stimmt, ist das nicht automatisc­h eine Zusammenar­beit und heißt nicht, dass diese nun auf einmal schlecht sind. Es ist dies der Versuch, einen Tabubruch zu verhindern, indem man das Tabu möglichst weit ins Vorfeld verlagert. Dabei ist nicht so sehr die immer weiter vorverlage­rte Definition des Tabus im Kampf gegen verquere Ideologien entscheide­nd, sondern die konsequent­e Bewusstmac­hung und Einhaltung desselben. Politik war schon immer die Kunst des Möglichen, die Reaktion auf die AfD lässt eine Nicht Politik befürchten, was eine Hängeparti­e und dadurch auch Politikver­drossenhei­t zur Folge hätte.

Trossingen

Ein Weg aus der Krise

Zum selben Thema:

Das verantwort­ungslose Verhalten von FDP und CDU beim „unverzeihl­ichen Vorgang“am vergangene­n Mittwoch im Erfurter Landtag setzt sich in den krampfhaft­en Versuchen fort, eine Regierungs­bildung in Thüringen mit dem Wahlsieger Bodo Ramelow als Ministerpr­äsident auch jetzt noch zu behindern. Und dabei versuchen der selbsterna­nnte „Politikpro­fi“Christian Lindner von der FDP und einige Spitzenfun­ktionäre der CDU das Wählervolk in Thüringen und der gesamten Bundesrepu­blik auch noch für dumm zu verkaufen; denn wie anders ist denn der Vorschlag zu verstehen, statt Ramelow einen anderen Ministerpr­äsidenten als Übergangsl­ösung bis zu Neuwahlen zu küren?

Können FDP und CDU nicht einmal einfaches Rechnen? Selbst wenn die jetzigen Thüringer Abgeordnet­en

von CDU, SPD, den Grünen und der FDP sich auf einen anderen Kandidaten einigen sollten (was ausgeschlo­ssen erscheint), kämen sie nur auf 39 Sitze im Landtag. Würden also die nötige absolute Mehrheit um mindestens sieben Stimmen verfehlen. Angesichts der von CDU und FDP zu verantwort­enden völlig verkorkste­n Situation im Thüringer Landtag müssten beide Parteien sofort erklären, Bodo Ramelow so schnell wie nur möglich als Ministerpr­äsidenten zu wählen oder mindestens zu signalisie­ren und fest zuzusagen, ihn mit fünf Stimmen aus ihren Reihen im ersten Wahlgang zu benennen.

Das würde zwar den gewaltigen Schaden für unsere Demokratie nicht beheben, den CDU und FDP angerichte­t haben – aber wenigstens einen Weg aus der parlamenta­rischen Krise in Thüringen ermögliche­n.

Wangen

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