Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schwerer Schaden
Zu „Kemmerich tritt zurück und fordert Neuwahlen“(7.2.):
75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und nur wenige Tage nach allen Gedenkfeiern mit den oft gehörten zwei Worten „Nie wieder“lassen sich CDU und FDP vor den Karren der rechtsextremen Höcke-Partei spannen. Können Führungskräfte dieser beiden bürgerlichen Parteien so naiv sein, dass sie sich von der AfD vorführen lassen, ohne die vorher erkennbaren und dann eingetretenen Folgen zu erkennen? Da muss man schon an den Osterhasen glauben. Beide Parteien haben unserer Demokratie schwersten Schaden zugefügt, der viel Zeit und Ehrlichkeit erfordert, wenn er behoben werden soll. Gibt es da Sehstörungen auf dem rechten und Überempfindlichkeiten auf dem linken Auge? Wer Bodo Ramelow selbst um den Preis einer massiven Beschädigung unserer Demokratie verhindern will, lässt das staunende Publikum mit einem Hauch von „Mac-Arthur-Hysterie“zurück. Ramelow, ein bekennender Christ, hat seine Regierung erfolgreich und streng auf dem Boden unserer Verfassung geführt.
Biberach Überfälliger Rücktritt von AKK
Zu „Kanzlerkandidatur der Union wieder offen“(11.2.):
AKKs Rücktritt ist nicht erst seit der Wahl in Thüringen überfällig. Sie hat kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen und fiel immer wieder mit zumindest extrem unglücklichen Formulierungen auf. Dass man eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, geht noch völlig in Ordnung. Dann aber die Linke als stalinistische Stasi-Partei auf dieselbe Stufe wie die AfD zu stellen und auch hier jegliche Zusammenarbeit abzulehnen, hat den jetzigen Schritt unumgänglich gemacht. So ungeschickt sich Mohring auch angestellt hat, aber ihm blieb ja überhaupt keine Option übrig, die kein Affront gegenüber der CDU-Spitze gewesen wäre. Die Frage ist nur, was nach AKK jetzt kommt. Der Kohl-Soldat Merz mit fragwürdigen Verbindungen zur Wirtschaft? Oder der Unfug-Macher Spahn, der selbst sein größter Fan ist? Oder doch Laschet, der alles ein bisschen macht, aber nichts richtig? So richtig Profil hat keiner.
Unlingen Überlegungen zu Thüringen
Zu den Leitartikeln „Großer Schaden für die Liberalen“(7.2.) und „Erfurter Schande, Berliner Problem“(6.2.):
Ist die Lage der Dinge wirklich so einfach? Die Wahlgänge sind geheim, die Protagonisten können also mindestens theoretisch gar nicht wissen, wie die anderen Fraktionen oder einzelne abstimmen. Wenn die Abgeordneten der Linken, der CDU, der SPD, der Grünen und der FDP aus Angst und auf der Basis von Vermutungen, die AfD könnte einen bestimmten Kandidaten unterstützen, taktisch abstimmen, wird der Demokratie kein Dienst erwiesen. Auch wenn das wahrscheinlich zu viel der Ehre für die AfD ist, damit könnte man sagen, die AfD hätte es geschafft, die demokratischen Kräfte gegeneinander auszuspielen. Die Angst vor dem Verhalten der AfD würde letztlich das Abstimmungsverhalten bestimmen. Die Abgeordneten sollten sich nicht beirren lassen von solch taktischen Überlegungen und Mutmaßungen, die letztlich zu nichts führen – und gleichzeitig eine klare Linie gegenüber der AfD verfolgen: Reden ja, aber keine Zusammenarbeit, keine Gegenleistungen. Wenn die AfD für Projekte der anderen Fraktionen stimmt, ist das nicht automatisch eine Zusammenarbeit und heißt nicht, dass diese nun auf einmal schlecht sind. Es ist dies der Versuch, einen Tabubruch zu verhindern, indem man das Tabu möglichst weit ins Vorfeld verlagert. Dabei ist nicht so sehr die immer weiter vorverlagerte Definition des Tabus im Kampf gegen verquere Ideologien entscheidend, sondern die konsequente Bewusstmachung und Einhaltung desselben. Politik war schon immer die Kunst des Möglichen, die Reaktion auf die AfD lässt eine Nicht Politik befürchten, was eine Hängepartie und dadurch auch Politikverdrossenheit zur Folge hätte.
Trossingen
Ein Weg aus der Krise
Zum selben Thema:
Das verantwortungslose Verhalten von FDP und CDU beim „unverzeihlichen Vorgang“am vergangenen Mittwoch im Erfurter Landtag setzt sich in den krampfhaften Versuchen fort, eine Regierungsbildung in Thüringen mit dem Wahlsieger Bodo Ramelow als Ministerpräsident auch jetzt noch zu behindern. Und dabei versuchen der selbsternannte „Politikprofi“Christian Lindner von der FDP und einige Spitzenfunktionäre der CDU das Wählervolk in Thüringen und der gesamten Bundesrepublik auch noch für dumm zu verkaufen; denn wie anders ist denn der Vorschlag zu verstehen, statt Ramelow einen anderen Ministerpräsidenten als Übergangslösung bis zu Neuwahlen zu küren?
Können FDP und CDU nicht einmal einfaches Rechnen? Selbst wenn die jetzigen Thüringer Abgeordneten
von CDU, SPD, den Grünen und der FDP sich auf einen anderen Kandidaten einigen sollten (was ausgeschlossen erscheint), kämen sie nur auf 39 Sitze im Landtag. Würden also die nötige absolute Mehrheit um mindestens sieben Stimmen verfehlen. Angesichts der von CDU und FDP zu verantwortenden völlig verkorksten Situation im Thüringer Landtag müssten beide Parteien sofort erklären, Bodo Ramelow so schnell wie nur möglich als Ministerpräsidenten zu wählen oder mindestens zu signalisieren und fest zuzusagen, ihn mit fünf Stimmen aus ihren Reihen im ersten Wahlgang zu benennen.
Das würde zwar den gewaltigen Schaden für unsere Demokratie nicht beheben, den CDU und FDP angerichtet haben – aber wenigstens einen Weg aus der parlamentarischen Krise in Thüringen ermöglichen.
Wangen