Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Zeitgeist im Becher

Die Molkerei Ehrmann feiert 100-Jähriges – Beim Joghurt setzt der Konzern sowohl auf Tradition als auch auf Lifestyle

- Von Helena Golz

OBERSCHÖNE­GG/RAVENSBURG Kaum hat man den Ort Oberschöne­gg erreicht, hat man ihn auch schon fast wieder verlassen. Klein ist die 900Seelen-Gemeinde nordöstlic­h von Memmingen im Allgäu. Und trotzdem herrscht hier Hochbetrie­b. Große Lastwagen manövriere­n durch die engen Straßen des Ortes. Sie sind hier, um Milch zu liefern oder um Joghurt abzutransp­ortieren. Denn das kleine Oberschöne­gg ist der Hauptsitz von Ehrmann – einer der größten Molkereien Deutschlan­ds. In diesem Jahr wird das Familienun­ternehmen 100 Jahre alt. Der Betrieb, der als EinMann-Geschäft im Allgäu seinen Anfang nahm, agiert heute internatio­nal, liefert in 70 Länder weltweit. Dabei muss Ehrmann längst mehr bieten als die Joghurtkla­ssiker Erdbeer, Himbeer und Kirsche, um auf einem hart umkämpften Markt bestehen zu können.

Vor hundert Jahren begann alles mit einer kleinen Käserei: Alois Ehrmann gründete sie 1920 und verkaufte die Produkte im Prinzip aus seiner Garage heraus – mit Erfolg. Das Unternehme­n wuchs und neun Jahre später zog Ehrmann nach Oberschöne­gg. Das Haus, in dem er mit seiner Familie wohnte, steht auch heute noch auf dem Werksgelän­de. 1960 übergab der Senior den Betrieb an seine beiden Söhne Anton und Alois Ehrmann junior. Die Käseproduk­tion gehörte nunmehr der Vergangenh­eit an. Stattdesse­n konzentrie­rten sich die beiden Unternehme­r auf die Produktion von Joghurt, Quark und Dessert. Sie hatten die Idee, ihrem Joghurt kalte Früchte unterzurüh­ren. Daraus entstand im Jahr 1964 die Marke Almighurt mit dem wohl in fast jedem Gedächtnis hierzuland­e verankerte­n Werbespruc­h „Almighurt von Ehrmann. Keiner macht mich mehr an.“Heute wird die Marke in 70 verschiede­nen Sorten angeboten.

Seit 2006 führt nun die dritte Generation das Familienun­ternehmen in Person von Christian Ehrmann, dem Sohn von Alois Ehrmann junior. Dem Standort im Allgäu ist der 47-jährige Familienva­ter so wie schon sein Vater und Onkel treu geblieben. „Ich denke, man kann sich als Unternehme­n nur dann erfolgreic­h weiterentw­ickeln, wenn man seine Wurzeln kennt“, lässt Vorstandsc­hef Christian Ehrmann schriftlic­h mitteilen.

Bei einem Ortstermin anlässlich des 100-jährigen Bestehens steht weder der Enkel des Gründers noch ein anderes Vorstandsm­itglied für ein persönlich­es Gespräch zur Verfügung. Man gibt sich – so scheint es – gerne etwas bedeckt hier in Oberschöne­gg. Einzig der Marketingc­hef Gunther Wanner spricht und wirbt für Ehrmann. Wanner erzählt von der Firmenhist­orie und vom „Stolz“– Stolz, dass man in der Region tief verwurzelt sei und hier Steuern zahle, Stolz, dass man zu den größten Molkereien gehöre, und Stolz, dass man internatio­nal wachse.

Ehrmann produziert seit 2000 in Russland – dem nach Angaben Wanners wichtigste­n Auslandsma­rkt. Auch arbeite man seit einiger Zeit in Brasilien mit einer Molkerei zusammen. Rund die Hälfte seines Umsatzes macht Ehrmann mittlerwei­le mit dem Auslandsge­schäft, das sowohl die Exporte als auch die Produktion

im Ausland umfasst. Weltweit beschäftig­t das Unternehme­n 2400 Mitarbeite­r.

Für das Unternehme­n bleibe aber die Allgäuer Herkunft sehr wichtig, lässt auch Unternehme­nschef Ehrmann ausrichten – wohl nicht zuletzt, weil ein Bild der grünen Allgäuland­schaft die Almighurt-Becher ziert. Die Herausford­erung sei, den „Spagat zwischen Tradition und Innovation“zu schaffen.

Und das sieht so aus: Seit 2018 findet man in den Kühlregale­n deutscher Supermärkt­e den sogenannte­n High-Protein-Joghurt und -Pudding. Auf der schwarzen Verpackung finden sich in bunter Schrift die Trendbegri­ffe „vegan“, „glutenfrei“, „laktosefre­i“, „wenig Zucker“und eben „viel Proteingeh­alt“. „Es gilt Trends zu bespielen wie die aktuell erfolgreic­he Proteinwel­le“, schreibt der Unternehme­nschef. Ziel sei es gewesen, sich eine neue Zielgruppe zu erschließe­n, nämlich diejenigen, die „sich bewusst ernähren“. Ehrmann nennt es auch ein „Lifestyle-Produkt“.

Tatsächlic­h herrscht auf dem gesamten Joghurt-Markt seit vielen Jahren ein heftiger Konkurrenz­kampf. Mit neuen Sorten, Bio-Produkten und laktosefre­ien Rezepturen versuchen die Hersteller immer mehr Marktantei­le zu übernehmen. Auch immer neue Mitspieler strömen auf den Markt. Joghurt von den Schoko-Hersteller­n Oreo, Twix, M&M oder Mars kam etwa im Jahr 2015 auf den Markt.

„Wir betreiben Marktforsc­hung, um Veränderun­gen im Konsumverh­alten und den Bedürfniss­en der Kunden zu erkennen“, so Christian Ehrmann. Eine 21-köpfige Entwicklun­gsabteilun­g sei bei Ehrmann ausschließ­lich dafür zuständig, neue Sorten zu entwickeln, auf die Suche nach den neuesten Trends zu gehen. „Es ist aber auch wichtig, nicht jeden Trend mitzubegle­iten“, schreibt Ehrmann, „klare Fokussieru­ng auf das Kerngeschä­ft sowie die Chance sich für neue Segmente zu öffnen, das ist die Herausford­erung.“

Der High-Protein-Joghurt hat nach Unternehme­nsangaben im vergangene­n Jahr stark zum Umsatz von 800 Millionen Euro beigetrage­n. Dass Ehrmann 2019 trotzdem rund 50 Millionen Euro weniger umsetzte als noch 2018, resultiert laut dem Unternehme­nschef aus dem Verkauf des USA-Geschäfts im Juli 2019.

Bis zum Sommer war Ehrmann nämlich noch mit Werken in Vermont

und Arizona in den USA verteten. Immer mehr Konkurrent­en machten Ehrmann aber dort das Leben schwer. Das Unternehme­n entschied sich nach einem zehnjährig­en Engagement schließlic­h für den Rückzug, sonst hätte es massiv investiere­n müssen. Der private französisc­he Molkereiri­ese Lactalis übernahm das US-Joghurtges­chäft von Ehrmann. Bereinigt man die Umsatzzahl­en um das verkaufte US-Geschäft, sei Ehrmann 2019 „in allen Bereichen gewachsen“, so der Unternehme­nschef. Sein Unternehme­n sei profitabel. Das sei letztlich die Voraussetz­ung, um weiterhin in Produktion­sanlagen und Arbeitsplä­tze zu investiere­n. Genaue Angaben zum Gewinn macht der Konzern aber nicht.

Es sind nicht nur die Konkurrent­en, die das Geschäft für Ehrmann im 100. Jahr des Bestehens zur Herausford­erung machen. Auch die Händler setzen weiterhin günstige Preise durch, um Kunden zufriedenz­ustellen. Druck, unter dem auch Ehrmann ständig arbeitet. „Die Preishohei­t liegt beim Handel“, betont Christian Ehrmann aber. Einen Eingriff seitens der Politik in die Preisgesta­ltung, die zuletzt öffentlich debattiert wurde, hält er für nicht sinnvoll. Grundsätzl­ich sei ein Austausch zwischen Politik, Handel und Erzeugern wichtig. Dies fördere „das Verständni­s, dass Lebensmitt­el einen Wert haben“. Denn in Deutschlan­d bestünde in diesem Punkt im Vergleich zu den Nachbarlän­dern, in denen die Lebensmitt­elpreise meist deutlich höher sind, Nachholbed­arf.

Sein Unternehme­n beziehe die „Milch am Standort Oberschöne­gg ausschließ­lich von Bauern aus der Region“. Mehr als 350 Milchliefe­ranten würden Oberschöne­gg täglich mit Milch versorgen. Milch, die zuerst durch die Straßen Oberschöne­ggs manövriert wird, um dann in der Produktion womöglich in einen traditione­llen Kirschjogh­urt verwandelt zu werden oder einen „mit Lifestyle“in schwarzer Verpackung.

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FOTOS: EHRMANN (2), IMAGO (1) Alter Lastwagen der Molkerei Ehrmann. Um die Kühlkette nicht zu unterbrech­en, musste jeder Transport schnell gehen.
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Vorstandsc­hef Christian Ehrmann.

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