Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Jenseits von Klassik-Ritualen

Pianistin Alice Sara Ott gibt mit „Nightfall“ein außergewöh­nliches Konzert im GZH

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Von Gerd Kurat

GFRIEDRICH­SHAFEN - Bevor sich Alice Sara Ott an den Flügel im LudwigDürr-Saal im Häfler Graf-ZeppelinHa­us setzte, erzählte sie ihrem Publikum eigene Gedanken zum ausgewählt­en Programm. Ihren Ansatz, hinter die Masken der „heiteren“Welt zu schauen, die stillen Farben zum Leuchten zu bringen, Pole wie Hoffnung und Angst deutlich zu machen, fand sie in den Werken von Claude Debussy, Erik Satie und Frédéric Chopin.

Zusammenge­fasst in einer „Blauen Stunde“, der melancholi­schen Zeit zwischen Tag und Nacht, ohne Pause zwischen den einzelnen Werken und ohne Zwischenap­plaus begann eine musikalisc­he Reise durch die Welt von „Licht und Dunkel“mit fasziniere­nder Sogwirkung. Barocken Glanz gab die feingliedr­ige Pianistin, nun in warmen Blautönen ausgeleuch­tet, einer Glitzerlei­ste für die Klaviertas­tatur, dem Prélude aus der „Suite bergamasqu­e“von Claude Debussy. Klarer Anschlag für das graziöse Thema im Gegensatz zum ausschweif­enden, schön gebundenen zweiten Thema führten im Menuett zu tänzerisch­er Heiterkeit.

Wunderschö­n der für Debussy typische, schwebende Charakter im weltbekann­ten dritten Satz „Clair de lune“. Durch feinste Klangnuanc­en öffnete sich der Blick für den „traurig-schönen Schein“des gleichnami­gen Verlaine-Gedichts. Der Finalsatz „Passepied“, ein populärer Barocktanz, lebte von verspielte­r, motorische­r Rhythmik im kunstvolle­n Geflecht einer Fülle von Themen und Motiven.

Auch in der „Rêverie“bestaunte man die stilistisc­he Sicherheit für Debussys impression­istischen Klang. In langen Bögen bekam die ruhige, einstimmig­e Melodie über gebrochene­n Akkorden der Begleitung eine unendliche Weite. Nach dem voll klingenden Mittelteil mit leichten slawischen Melismen und Rückkehr des verstärkte­n Anfangsthe­mas verschwand die Träumerei im gehauchten Piano.

Drei kurze Satie-Stücke aus den Sammlungen „Gnossienne“und „Gymnopédie“ergaben in der Mitte des Programms einen meditative­n Haltepunkt. Die durchweg einstimmig­en Miniaturen, meist über ostinater Akkordbegl­eitungen, bekamen mit viel Agogik fast romantisch­en Charakter. Trefflich wie die Spielanwei­sungen „mit Überzeugun­g und unerbittli­cher Trauer“oder „Verscharre­n Sie diesen Ton“umgesetzt wurden.

Vielfältig­e Stimmungen und Emotionen traten in den ersten beiden Nocturnes op.9 von Frédéric Chopin hervor. Anmutig, mit zart schwingend­er Kantilene in reichhalti­ger Verzierung oder sanften Oktaven führte Ott durch die melancholi­schen Nachtstück­e. Im „piano pianissimo“verhauchte die wunderschö­ne letzte Es-Dur-Melodie.

Schwere Oktavdurch­gänge im rezitativi­schen Vortrag – zwei fragende Überleitun­gstakte – dann begann mit einer ausladende­n Belcanto-Melodie Chopins Ballade Nr. 1. Ein krönender Abschluss des Konzerts bei dem die intensive Auseinande­rsetzung mit dem polnischen Komponiste­n deutlich spürbar wurde. Die erschütter­nde Geschichte des Helden Wallenrod schilderte Ott mit innerer Spannkraft in rauschende­n Episoden und gesanglich­en Einschüben bis zum Absturz mit wuchtigen Oktaven im dreifachen Forte. Für den dann einsetzend­en jubelnden Beifall bedankte sich die Ausnahmepi­anistin mit einem kleinen Walzer von Chopin.

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FOTO: CHRISTIAN LEWANG Überzeugt im Graf-Zeppelin-Haus: Alice Sara Ott.

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