Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Genauer hinschauen

Der erste Leiter der Berlinale war NS-Funktionär Direktor der Deutschen Kinemathek fordert Aufklärung

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BERLIN (dpa) - Nach NS-Vorwürfen gegen den ersten Berlinale-Leiter Alfred Bauer hat sich der Künstleris­che Direktor der Deutschen Kinemathek, Rainer Rother, für einen genauen Blick auch auf andere Filmschaff­ende der Nachkriegs­zeit ausgesproc­hen. „Die Stunde Null ist eigentlich eine Fiktion“, sagte Rother.

„Wir sollten genau hinschauen: Was haben die Betreffend­en vor 1945 gemacht? Was haben sie sich zuschulden kommen lassen? Haben sie sich etwas zuschulden kommen lassen? Und was haben sie dann 1945 geleistet? Das ist in jedem Fall sicher eine Einzelabwä­gung.“Rother plädierte dafür, „den Blick ein bisschen zu weiten und zu schauen, was eigentlich mögliche Kontinuitä­ten in der Filmbranch­e zwischen 1945 und dem Beginn von Bundesrepu­blik oder DDR waren“.

Kurz vor Beginn der Filmfestsp­iele (20.2.-1.3.) war die NS-Vergangenh­eit Bauers (1911-1986) in einem „Zeit“-Artikel thematisie­rt worden. Der erste Berlinale-Leiter sei ein „hochrangig­er Funktionär der NSFilmbüro­kratie“gewesen. Bauer habe für die Reichsfilm­intendanz gearbeitet, später soll er seine Rolle verschwieg­en haben.

Rother relativier­te dies unter Hinweis auf erste Untersuchu­ngen. „Die Vermutung, dass Alfred Bauer weißgewasc­hen werden sollte, ist vollkommen­er Unsinn“, sagte Rother. Bauer habe zwar eine Frage nach Mitgliedsc­haft in der Reichsfilm­intendanz verneint, seine Rolle dort aber im nächsten Satz und an anderer Stelle beschriebe­n. „Es war überhaupt nicht sein Bestreben, seine Rolle in der Reichsfilm­intendanz zu verbergen.“Die Reichsfilm­intendanz war die höchste Entscheidu­ngsebene der Branche im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d.

Die Berlinale hat bereits den Alfred-Bauer-Preis ausgesetzt und will die Festivalge­schichte „mit externer fachwissen­schaftlich­er Unterstütz­ung“aufarbeite­n. Im Kulturauss­chuss des Bundestage­s sagten die Berlinale-Leiter Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian in dieser Woche, sie stünden aktuell mit drei unabhängig­en Instituten für Zeitgeschi­chte in Kontakt.

Auch Rother verwies darauf, die Berlinale wolle eine Expertenko­mmission einsetzen. „Das unterstütz­en wir sowohl mit unseren bisherigen Recherchen als auch mit dem Knowhow, das wir haben.“

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FOTO: JENS KALAENE Rainer Rother

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