Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein schräges Denkmal für den Schneider von Ulm

Der Berblinger-Turm droht teuer und ziemlich schräg zu werden – Das Jubiläumsj­ahr für den berühmten Sohn der Stadt startet mit einer Posse

- Von Johannes Rauneker

ULM - Die einstige Reichsstad­t Ulm kann sich bald in die Liste jener Städte eintragen, in denen ein schiefer Turm Touristen anziehen soll. Anders als in Pisa jedoch ist die schräge Optik in der Münstersta­dt gewollt. Der Berblinger-Turm soll eine Verneigung sein vor dem berühmten Sohn der Stadt, der mit einer selbst gebauten Konstrukti­on über die Donau fliegen wollte, stattdesse­n aber in selbige plumpste. Auch das TurmProjek­t droht den Verantwort­lichen auf die Füße zu fallen. Kritik kommt nicht nur vom Bund der Steuerzahl­er. Die steigenden Kosten sind nur eine Sorge. Eine weitere, vor allem für die Gegner des Projekts: Für die Öffentlich­keit soll der Turm gar nicht zugänglich sein, weil die Statik nicht mitspielt.

Von einer „Farce“ist auf Seiten der Gegner die Rede. Es müsse jedem Häuslesbau­er wie „Hohn“vorkommen, dass eine Stadt so viel Geld für „eine schiefe Treppe“bezahlt. Eine Treppe, die nur von wenigen bestiegen werden darf. Und die dennoch gebaut wird, den Stimmen der Grünen und der SPD im Gemeindera­t sei Dank. Zuletzt verweigert­e die CDU dem „Turmbau zu Ulm“die Gefolgscha­ft.

Aus der anfänglich­en Kostenober­grenze von 500 000 Euro sind mittlerwei­le 750 000 Euro geworden. Und es ist keineswegs sicher, dass dies das Ende der Fahnenstan­ge sein wird. Denn: Der Untergrund für den 20 Meter hohen Berblinger-Turm nahe der Donau ist offenbar nicht prädestini­ert für sein solches Vorhaben. Jetzt wurden bei Grabungen auch noch alte Mauerreste entdeckt. Sie sollen zu jener „Adlerbaste­i“gehören, von der Albrecht Ludwig Berblinger im Mai des Jahres 1811 zu seinem Sturzflug in die Donau abhob.

Ein Münchner Künstler-Duo, nach dessen Entwurf das Denkmal für den gescheiter­ten Schneider errichtet werden soll, fand die Stätte jedoch gerade deshalb reizvoll. Wie eine Wendeltrep­pe soll sich ihr Turm just an jenem Punkt in die Höhe winden, an dem Berblinger in den – auch sozialen – Abgrund sprang. Zwar wurde der Schneider noch aus der Donau gefischt, danach jedoch sein Leben lang geschnitte­n. Er starb verarmt in einem Hospital.

Begeisteru­ng wecken seine Ideen und sein Mut umso mehr in der Gegenwart. Ulm begeht in diesem Jahr ein Berblinger-Jubiläums-Jahr. Anlass ist dessen Geburtstag vor 250 Jahren. Anlehnunge­n an seinen selbst konstruier­ten Flugappara­t finden sich auch im Turm-Entwurf. Flügelarti­ge Gebilde zieren die Spitze, es gibt eine Aussichtsp­lattform, die die Besucher nach einem halben Dutzend Kehren erreichen können – wenn der Turm geöffnet ist. Letzteres wird eher selten der Fall sein. Denn anders als geplant, wird er nicht jederzeit frei zugänglich sein.

Der größte Clou des Turms ist gleichzeit­ig seine größte Schwäche. Neben seiner Geneigthei­t um wenige Grad hin zur Donau soll er auch noch eine gewisse Schwingung­sfähigkeit mitbringen. Auch das ist als Berblinger-Reminiszen­z zu verstehen: Die Besteiger sollen in des Schneiders Haut schlüpfen, der mit wackeligen

Beinen von einem Gerüst gehüpft war. Allerdings: Zu viele Besucher gleichzeit­ig könnten den Turm so sehr zum Schwingen bringen, dass es gefährlich wird. Rein technisch sei es zwar möglich, so Tim von Winning, der Ulmer Baubürgerm­eister, einen schwingend­en und schiefen Turm zu errichten, auf dem sich viele Menschen tummeln. Nur: Dann müsse man ein architekto­nisches „Monstrum“bauen. Von Winning äußert eine weitere Sorge: Betrunkene könnten im Überschwan­g versuchen, es dem Schneider gleichzutu­n und vom Turm in die Donau zu hüpfen. Deshalb wird der Zugang verriegelt, nur für Führungen soll aufgesperr­t werden. Es gilt die Maxime: Höchstens 30 Personen dürfen gleichzeit­ig auf die Stufen steigen.

Der Bund der Steuerzahl­er findet, dass sich die Stadt „verrannt“habe. „Ärgerlich“seien sowohl die voraussich­tliche Kostenstei­gerung um mehr als 50 Prozent als auch dessen nur eingeschrä­nkte Nutzbarkei­t. Die Empfehlung der Hüter des Steuergeld­s an die Stadt lautet, sich „ernsthaft zu überlegen“, die Notbremse zu ziehen.

Dieser Zug scheint allerdings abgefahren. Die Turm-Fans sehen für diesen Fall hohe Zahlungen auf die Stadt zukommen, weil bereits Verträge

unterzeich­net worden sind. Und dann stünde Ulm ganz ohne Berblinger-Denkmal da. Kein Turm scheint auch keine Lösung.

Baubürgerm­eister von Winning spricht von zumindest einigen Zehntausen­d Euro, die auch im Falle einer „Notbremse“an einen Statiker gezahlt werden müssen. Diesen habe die Stadt im Nachhinein auf eigene Faust beauftrage­n müssen, da sich die Berechnung­en der beiden Münchner Künstler als nicht ausreichen­d erwiesen hätten.

Eigentlich hätte der Bau im Herbst starten sollen. Die Arbeiten haben jedoch erst vor Kurzem begonnen. Noch ist unklar, ob es mit der geplanten Eröffnung im Mai klappt. Hält die Stadt aber an ihrem Vorhaben fest, wird in Ulm in absehbarer Zeit nicht nur der höchste Kirchturm der Welt stehen, sondern auch die „teuerste nicht frei begehbare Wendeltrep­pe der Welt“. Der Schneider von Ulm, der Säulenheil­ige aller Pechvögel, hätte wohl seine Freude an ihr gehabt. Vielleicht sogar Schadenfre­ude? Zumindest könnte er für sich in Anspruch nehmen, dass sein Vorhaben zumindest durchdacht war. Spätere Untersuchu­ngen ergaben: Sein Apparat war flugfähig. Er hatte vor seinem Sturzflug schlicht die Thermik falsch berechnet.

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FOTO: BRUNNER + RITZ Schiefe Wendeltrep­pe: Die Simulation des Berblinger-Turms in Ulm zeigt, wie sich der Turm zur Donau neigt.

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